Alle Artikel mit dem Schlagwort " Demokratie"

NRW-Ministerpräsidentin über Information, Demokratie und die Teilhabe der Bürger (Zitat der Woche)

Geschrieben am 14. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 14. Januar 2016 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, G. Wie Journalisten informieren.

Information ist das Grundrauschen der Demokratie

SAnzeige BdZVagte Hannelore Kraft, NRW-Ministerpräsidentin, bei einem Hintergrund-Gespräch mit Chefredakteuren. Sie meint „seriöse, glaubwürdige Information“, schreibt Wolfram Kiwit, der Chefredakteur der Ruhr-Nachrichten, in seinem morgendlichen Newsletter und fügt an:

„Hannelore Kraft sorgt sich um unsere Demokratie. Um das Wissen der Menschen, um die Teilhabe an politischen Prozessen.“

 

Passend dazu, in Kiwits Newsletter,  eine Anzeige der Zeitungsverleger:

 

Lügenpresse (9) Meine Chronik des Jahres: Wie Regionalzeitungen reagieren

Geschrieben am 31. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Das posteten Leser zum Thema „Lügenpresse“ auf unserer Facebook-Seite.

Thomas Bärsch reagierte mit fünf Punkten in der Zeitung:

1. Unser oberster Anspruch heißt Wahrhaftigkeit

Wer jemanden der Lüge bezichtigt, der beschuldigt ihn, vorsätzlich wahrheitswidrig zu reden oder zu schreiben. Er nimmt zugleich für sich in Anspruch zu wissen, was die Wahrheit ist.Wir Journalisten erheben diesen Anspruch für uns nicht – vor allem aus der Erkenntnis heraus, dass es die eine objektive und unveränderliche Wahrheit oft nicht gibt. Stattdessen haben wir uns die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit zur Aufgabe gemacht.Wahrhaftigkeit heißt, nach der Wahrheit zu streben. Es heißt nicht, in ihrem vollständigen Besitz zu sein oder dies von sich zu behaupten. Wenn wir berichten, dann im Ergebnis von Recherchen, von Informationen aus verschiedenen Quellen und oft auch auf der Grundlage unserer Beobachtungen – zum Beispiel bei Demonstrationen.

2. Wir reklamieren für uns keine Vollständigkeit

Es gehört zur journalistischen Sorgfalt, dass wir unsere Leser erkennen lassen, was recherchierte Fakten, was Aussagen Dritter und was unsere eigenen Beobachtungen sind. Dabei vermeiden wir es, den Eindruck zu erwecken, der von uns gelieferte Bericht, das von uns gezeichnete Bild spiegele die Wirklichkeit bis ins letzte Detail wider. Vielmehr wählen wir oft aus einer Vielzahl von Fakten und Aussagen aus, die es den Lesern ermöglichen, sich ein möglichst ausgewogenes und umfassendes Bild zu machen und eine eigene Meinung zu entwickeln.Wichtig ist dabei für uns vor allem, dass wir keine Fakten weglassen, die entscheidend für das Verständnis eines Sachverhalts sind oder diesen sogar konterkarieren.

3. Weglassen ist keine Fälschung und keine Lüge

Immer wieder sehen wir uns mit dem Vorwurf konfrontiert, wir würden die Wirklichkeit verfälschen, indem wir Fakten oder auch einzelne Meinungsäußerungen nicht veröffentlichen. Dann ist das Wort „Lügenpresse“ schnell gesagt.Tatsache ist, dass wir Fakten und Aussagen nach ihrer Relevanz für die Beurteilung eines Sachverhalts wichten. Darüber, ob unsere jeweilige Entscheidung richtig ist, wird vor allem in der aktuellen Flüchtlingsdebatte oft gestritten – übrigens auch während der Entscheidungsfindung innerhalb der Redaktion.Entscheidend ist für uns, ob Informationen nachprüfbar oder glaubhaft sind. Wenn es etwa  einen Polizeieinsatz in Flüchtlingsheimen gibt, berichten wir darüber.

4. Facebook & Co. sind nicht die Wirklichkeit

Wir berichten nicht über alles, was wir hören oder lesen. Das gilt vor allem dann, wenn es auf Gerüchten beruht, die sich über die sozialen Netzwerke verbreiten. Für uns gilt: dass eine Behauptung oft wiederholt wird, macht sie nicht wahr.Leider beobachten wir eine gewisse Neigung mancher Menschen, Gerüchten und Mutmaßungen zu glauben, dagegen aber von Journalisten recherchierte oder hinterfragte Informationen als Lüge abzustempeln. Stammen diese Informationen gar aus offiziellen Quellen – also zum Beispiel von Behörden –, lässt der Vorwurf der Staatsnähe meist nicht lange auf sich warten.

5. Meinungs- und Pressefreiheit sind zwei Dinge

Gern wird jetzt von diesen beiden Freiheiten gesprochen. Die erste ist ein Grundrecht, das den Bürgern garantiert, ihre Meinung frei und offen zu äußern – auch gegen den Staat. Der AfD-Fraktionschef Björn Höcke nutzt dieses Recht, wenn er etwa auf Demonstrationen spricht.Die Pressefreiheit dagegen ist das Recht der Presse auf freie Ausübung ihrer Tätigkeit – ohne staatliche Zensur oder jedwede andere Form der Einmischung von außen. Zu dieser Freiheit gehört für uns, dass wir selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang wir von der Aktuellen Stunde und der Demonstration am Mittwoch berichten. Schon jetzt können wir versprechen, dass wir dies ausführlich tun werden. Nicht versprechen können wir dagegen, dass unsere Berichterstattung allen passen wird.

**

Zum guten Schluss für alle Chefredakteure, die 2015 wenig zu lachen hatten. Thomas Bärsch ist amtierender Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, der das Schmunzeln nicht verlernt hat; er schrieb am 13. Dezember diesen Tweet

Ist das laute Abspielen von Heino eigentlich noch Ruhestörung oder schon Landfriedensbruch?

**

Im Dezember ist dieser Blog zum Tausender geworden: Über tausend Blog sind  seit der Gründung 2012 von 160.000 Besuchern gelesen worden. Es ist ein kleiner Blog geblieben, bewusst auf eine kleine feine Leserschaft von Journalisten konzentriert und auf Leser, die  Journalismus als Garanten der Demokratie verstehen.

Ich wünsche allen Lesern, Kommentatoren und Kritikern meines Blogs ein gutes Jahr 2016, in dem sie das Lachen und Lächeln nicht verlernen sollten.

Christoph Dieckmann in der ZEIT über Raue als Aufbauhelfer Ost – und über Bräutigam und Ludewig

Geschrieben am 15. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Paul-Josef Raue: Die Unvollendete Revolution. Ost und West - Die Geschichte einer schwierigen Beziehung. - Klartext-Verlag, 14.95 Euro

Paul-Josef Raue: Die Unvollendete Revolution. Ost und West – Die Geschichte einer schwierigen Beziehung. – Klartext-Verlag, 14.95 Euro

Raue weiß: Gefühle sind Fakten.

Der Satz hat mir gefallen im Porträt von Christoph Dieckmann zu meinem Buch „Die unvollendete Revolution“ – erschienen in der Zeit im Osten.

Drei westdeutsche „Aufbauhelfer der Nachwendezeit“, die ein Buch über ihre Ost-Zeit geschrieben haben, porträtiert Christoph Dieckmann in der Ost-Regionalausgabe der Zeit, in der oft gute Geschichten zu lesen sind – und man sich fragt: Warum werden die den westdeutschen Lesern nicht zugemutet? Für die Zeit-Leser gibt es immer noch eine Mauer.

Das sind die drei Aufbauhelfer, die Dieckmann porträtiert:

  • Der Politiker Hans Otto Bräutigam: Er war in Ostberlin Leiter der Ständigen Vertretung und nach der Wende Justizminister in Stolpes Brandenburger Kabinett
  • Der „Wirtschaftsdirigent“ Johannes Ludewig: Er koordinierte für Kohl die Treuhand
  • Der Chefredakteur Paul-Josef Raue – der Autor dieses Blogs -, der in Eisenach, Magdeburg und Erfurt Zeitung machte.

Anlass für den Artikel des Ostdeutschen Dieckmann sind „drei merkwürdige Erinnerungsbücher“:

Drei Westdeutsche verfassten ostdeutsche Memoiren… Ich las ihre Geschichten meines Landes mit Eifersucht. Beschrieb je ein Ostler die westdeutsche Übergangsgesellschaft? Gab es die überhaupt nach 1990?

Im Porträt  geht Christoph Dieckmann ausführlich auf den spektakulären Wechsel in der Erfurter Chefredaktion 2009 ein: Ein Westdeutscher löst den Ostdeutschen Lochthofen ab, den Dieckmann als „orientales Organ“ und „unbotmäßigen Ossi“ ehrt.

Es war in der Tat „ein Donnerschlag“:

Unvergesslich bleibt Raue, wie er sich 2009 der TA -Redaktion als Lochthofens Nachfolger vorstellte. Er blickte in 120 Augenpaare und sah Hass. Ähnlich wütend hätten die Leser reagiert.

Die Leser haben in der Tat wütend reagiert. Eine Auswahl der Leserbriefe kann jeder in meinem Buch zu Dieckmanns Porträt lesen: Die unvollendete Revolution. Dem Hass in den Augen der Redakteure widerspricht ein anonymer Kommentator, offenbar vor sechs Jahren in der Redaktion dabei:

Ich für meinen Teil habe nicht hasserfüllt geschaut, als sich Paul-Josef Raue vorgestellt hat. Dazu hatte sich viel zu viel Frust über das unumschränkt totalitäre Kalifat seines Vorgängers angesammelt. Es ist ein schier unausrottbares Märchen, dass sich *alle* TA-Journalisten bis 2009 wie Nibelungen (oder Stockholm-Effekt-Betroffene) vor ihren Meister geworfen haben/hätten. (Spielbergtor)

Lob liest jeder Autor gerne, und Christoph Dieckmann ist eine ostdeutsche Autorität:

Raues Buch Die unvollendete Revolution liest sich als kundiges Kompendium ostdeutscher Übergangsdebatten. Raue weiß: Gefühle sind Fakten. Sozialpsychologisch spürsam schreibt er über Neonazismus und den Nährboden des NSU, über Besser-Wessis und die heimattreue Abwehr des Fremden, über die Töpfchen-Debatte und die erheblichen Generationsunterschiede Ost. Die Thüringer Allgemeine habe er zum Leserforum gemacht. Seine Überzeugung laute: Keine Tagesschau auf Seite 1!

„Raue weiß: Gefühle sind Fakten.“ Das ist ein schöner, aber ungewöhnlicher Satz für Journalisten, die auf Fakten schauen, auf Nachrichten und Informationen pur. Aber: Zwar müssen die Nachrichten stimmen, aber du musst als Journalist auch die menschliche Seele kennen, um die Menschen wirklich zu erreichen. Du musst die Menschen respektieren.

Das Ende des Porträts ist ein Potpourri: Stichworte auf Stichworte aus einem vierstündigen Gespräch. Es ist in der Tat eine Tortur, aus einem solch langen Gespräch einen roten Faden zu stricken.

Auf dem Platz im Erfurter „Willy B.“, auf dem Dieckmann beim Interview gesessen hatte, saß vor einigen Jahren Steffen Grimberg als taz-Redakteur. Nach einem offenen Brief, den 80 Redakteure unterschrieben hatte, wollte er herausfinden, wie ich auf das Misstrauen der Redaktion reagiere. Das war schon ein Fortschritt: Als ich in Erfurt als Chefredakteur begann, schrieb er über mich, ohne auch nur einmal mit mir zu sprechen. Da verwandelte Grimberg die Medienseite der taz in eine recherchefreie Zone, wohl wissend: Recherche ist bisweilen hinderlich, wenn man eine Mission hat.

Steffen Grimberg sprach im Willy B. lange mit mir, charmant, offen – und schrieb ein Interview, das mit unserem Gespräch wenig gemein hatte. Wir hatten Autorisierung vereinbart, ich schrieb das Interview um, und er druckte es nach einigen Tagen des Zögerns mit dem Hinweis:

Das Interview ist von ihm (Raue) noch überarbeitet und verdichtet worden. Das ist nicht unüblich, geht aber in diesem Fall über das übliche Maß hinaus.

Das war okay.

Grimbergs Thema war die Regionalisierung der Zeitung. Es ist abschließend auch ein Thema für Dieckmann:

Regionalität als Tugend? Nicht als enge Welt? Die Menschen leben, wo sie leben. Putsch in Indonesien? Du hast das Land nie gesehen. Raue kommt soeben aus Simbabwe. Demnächst will er nach Eritrea. Seit Sommer 2015 ist er Unruheständler. Große Vorhaben: Stiftungen…

Das Porträt endet mit einer Art Raueschem Credo:

Der Grundauftrag des Journalismus, erklärt Raue, ist Kontrolle der Macht…Der Leser, der Bürger müsse begreifen, dass er selbst Träger der Demokratie ist. Viele Ostler fühlten sich nicht als Gesamtdeutsche, dabei sei der Osten Deutschlands stärkerer Teil. Hier bewältige man Veränderungen, wie sie der Westen nicht ertrüge.

Ich hätte gerne mehr gelesen, aber das ist vermessen.

Meine ostdeutschen Freunde und Kollegen können mit dem Porträt nichts anfangen: Was ist nur Dieckmanns Botschaft?, fragen sie. Eine typisch ostdeutsche Frage?

Meinen westdeutschen gefällt es, einer schrieb:

Lochthofen wird als “unbotmäßiger Ossi” geadelt. Naja, bisschen komplizierter war es wohl doch. Dabei fällt mir der Bedeutungswandel auf, den das Wort “unbotmäßig” durchgemacht hat: bis weit in die 60er Jahre hinein war es eindeutig negativ besetzt. Jetzt aber darf sich rühmen, wer als “unbotmäßig” klassifiziert wird.

 

 

Nico Fried tritt zurück: Der letzte „Spreebogen“ mit viel Geschwurbel

Geschrieben am 25. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Als Kurt Kister seine Samstags-Kolumne in der SZ  aufgab, um sich als Chefredakteur in vielen  Konferenzen zu langweilen, da war ich sicher: Das ist der Tod der besten Politik-Kolumne unserer Republik. Wer konnte es wagen, sich mit Kisters feiner Ironie und seinem Wissen des Politik-Betriebs zu messen, mit Kisters eigenem Erzähl-Ton und einer Melancholie, die überdeckt, wie einer an dieser Demokratie und ihren Akteuren leidet.

Fried NicoNico Fried wagte es, ein Kister-Schüler, der in die meisten seiner „Spreebogen“-Kolumnen einen Satz einschob als Running-Gag: „Wenn man einen Chefredakteur hat, der früher mal mein Büroleiter war…“ Nico Fried, seit acht Jahren SZ-Chef in Berlin, hat nicht versucht, Kister zu kopieren; er hat seinen eigenen Ton gefunden, ein wenig milder, ein wenig liebevoller. Er selbst sah sich so in einem „Spreebogen“, als sein Kollege Hulverscheidt nach Amerika ging:

Gelegentlich haben Claus Hulverscheidt und ich auch gemeinsam Artikel geschrieben, besonders gerne über Wolfgang Schäuble. Hulverscheidt war für die Fakten zuständig, ich fürs Geschwurbel. Einmal kamen wir mit so einem Text unter die letzten ichweißnichtwievielten beim Henri-Nannen-Preis, einer renommierten Auszeichnung für Journalisten. Weil die Geschichte keine Reportage war, nahm uns die Jury in die Kategorie Essay. Das war ungefähr so, als würde man bei einem Kochwettbewerb einen Toast Hawaii mit Knäckebrot zulassen. Wir haben den Preis am Ende nicht gewonnen, uns aber gegenseitig fortan voller Ehrfurcht als Essayisten angesprochen.

Eines hat Fried mit Kister doch gemeinsam: Die Liebe zu unserem Land, zur Freiheit und zur Demokratie. Beide würden abstreiten, dass es Liebe ist, Kister noch mehr als Fried. Liebe wäre zu viel Gefühl, meinten sie, wahrscheinlich.

Nun hört auch Fried auf: Welch ein Verlust! Der Samstag hatte immer ein großes Versprechen parat: Den „Spreebogen“. Wer klug war unter den Lesern, überblätterte fünfzig Seiten und schaute zuerst auf den linken Rand im Gesellschaftsteil. In seinem letzten „Spreebogen“ spricht Fried über – Rücktritte; er erzählt von den Politikern, mit denen er über ihren Rücktritt gesprochen hat: Müntfering, Merkel, Seehofer. Und dann verkündet ein großer Kolumnist seinen Rücktritt, seinen eigenen:

Ich habe neulich ein ernstes Gespräch mit mir geführt. Ich habe nicht gesagt: Tritt zurück. Ich wollte nicht blöd dastehen, wenn ich geantwortet hätte: Nö. Stattdessen habe ich mich dazu gebracht, von selbst draufzukommen. Deshalb ist dieser Spreebogen der letzte. Sonst schreibt noch einer, es sei auch höchste Zeit gewesen.

Ich schreibe es nicht, ich weiß, mir wird etwas fehlen am Samstagmorgen.

Ein westdeutscher Journalist erlebt die drei Epochen der deutschen Revolution (Teil 2)

Geschrieben am 3. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 3. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.
Paul-Josef Raue: Die Unvollendete Revolution. Ost und West - Die Geschichte einer schwierigen Beziehung. - Klartext-Verlag, 14.95 Euro

Paul-Josef Raue: Die Unvollendete Revolution. Ost und West – Die Geschichte einer schwierigen Beziehung. – Klartext-Verlag, 14.95 Euro

Fünfundzwanzig Jahre danach wundern sich die Deutschen im Westen, dass die Deutschen im Osten nicht so denken wie sie; und es wundern sich die Deutschen im Osten, dass die Deutschen im Westen sie nicht verstehen. „Das ist doch nicht normal“, sagen die im Westen und halten die im Osten für widerborstig und undankbar. „Das ist doch nicht normal“, sagen die im Osten und halten die im Westen für arrogant und geizig.

Noch schwieriger sind die, die das Sprechen über West und Ost verbieten wollen. Sie argumentieren: Wenn wir nicht mehr über die Trennung sprechen, bauen wir nicht weiter mehr an der unsichtbaren Mauer. Als ob die Wirklichkeit sich an solch gute Ratschläge hält.

Die innere Einheit ist bestenfalls eine fragile Angelegenheit, meint der Berliner Journalist Markus Decker, der sich selbst einen „Ostdeutschen mit westdeutschem Migrationshintergrund“ nennt. Er hat dreißig Westdeutsche interviewt, die in den Osten gezogen sind; selbst über alle, die sich im Osten heimisch fühlen, schreibt er: „Mühelos ist es eigentlich nie“.

Und was für Zahlen! Die Völkerwanderung innerhalb von Deutschland ist beeindruckend:

—— Fast vier Millionen kamen aus der DDR in den Westen; jeder Zehnte ging allerdings wieder zurück;

—— über vier Millionen wanderten nach der Einheit vom Osten in den Westen;

—— Aber auch in die andere Richtung setzte sich vor der Einheit eine halbe Million in Bewegung, meist um die Familie zusammenzuführen.

—— Weit über zwei Millionen wechselte nach 1989 vom Westen in den Osten.

So viele Millionen! Aber die Einheit wartet noch immer. „Merkwürdig, unnatürlich und entsetzlich“ findet ein Engländer den „sogenannten Ossi-Wessi-Konflikt“ und nennt ihn eine Verbitterung: Frederick Taylor kommt aus dem Mutterland der Demokratie, spricht deutsch und schrieb ein dickes Buch über die Mauer und ihre Geschichte. Er erzählt beispielhaft von einer Veranstaltung in Berlin, in der zwei „gebildete Individuen“ aneinander geraten waren:

„Ein Veteran der früheren ostdeutschen Medien behauptete lautstark und der Wahrheit keineswegs entsprechend, dass er noch nie einen Westdeutschen getroffen habe, der auch nur mit einem Cent zum Wiederaufbau des Ostens beigetragen hatte. Woraufhin ein noch bekannterer Medienmann mit einem Schwall von Beschimpfungen reagierte und seinerseits einige farbige Ansichten zum Besten gab über die östlichen Defizite im Umgang mit dem Westen.“

Als Taylor nachher einen deutschen Historiker fragte, der den Streit auch beobachtet hatte, antwortete dieser mit einem verlegenen Lächeln: Herr Taylor, Sie müssen sich wie ein Anthropologe vorgekommen sein beim Studium der Kämpfe primitiver Volksstämme.

Wann hat das angefangen, dieses Misstrauen, dieses Vorurteilen? Wenige Wochen nach den Revolutions-Feiern, dem Klopfen auf die Trabbis, dem Umarmen, dem Glück der Einheit stehe ich geduldig in der Schlange vor einer Eisenacher Metzgerei. Es ist Samstag, ein kalter Wintermorgen mit dem typischen Schwefelgeruch im Eisenacher Tal, der in Nase und Augen beißt, es ist noch DDR.

Ein Mann, knapp fünfzig, in einen Wintermantel mit Pelzkragen gehüllt, kommt in die Metzgerei. Er ist ein Westdeutscher: Jeder konnte damals den anderen an seiner Kleidung und seinem Gang identifizieren. Der Mann geht langsam an der Schlange vorbei zur Theke und legt zwei, drei Hundertmark-Scheine auf das Glas und sagt: „Alles!“ Die Verkäuferin sieht das westdeutsche Geld und packt dem Mann, einem Wirt aus dem nahen Herleshausen, wirklich alles ein. Die Auslagen sind leer geräumt, die Wartenden gehen nach Hause, ohne zu murren.

So hat es begonnen. Erst kam dieser Wirt, dann kamen die Versicherungs-Vertreter und die Verkäufer, die ihre alten Autos zu Neupreisen verkauften, dann die Treuhand und die Unternehmer, die viele arbeitslos nach Hause schickten.

Sicher gab es auch die anderen im Westen – wie den Lebkuchen-Unternehmer aus Bayern, an den sich Katrin Göring-Eckardt erinnert. Er schickte vor Weihnachten 1989 viele Kisten zu einer Kirchgemeinde im Osten. Es waren nicht allein die mit Lebkuchen gefüllten Dosen, die die Menschen rührten, es war die Geste. Göring-Eckardt erinnerte sich später: „Diese Dose gewinnt ihren Wert dadurch, das sich jemand im Westen die Frage gestellt hat: Wie können wir zeigen, dass wir zusammengehören? Man hatte einfach an uns gedacht, und das war schön. Ich weiß, dass viele diese Dose noch heute besitzen.“

Viele aus dem Westen kamen als Idealisten, als Freunde der Revolution in das Land, das immer noch DDR hieß. Viele – als Unternehmer oder in der Treuhand – mussten etwas tun, was unausweichlich war als Konsequenz eines beispiellos verfehlten Experiments, das man sozialistisch nannte. Aber wer urteilt schon gerecht, wenn er nach der Euphorie der Freiheit ohne Arbeit dasteht, mit wenig Geld und noch weniger Zukunft?

Nur – was ist schon normal in einer Revolution? Und erst recht danach?

Die Deutschen haben Erfahrungen mit großen Kriegen und schweren Niederlagen, aber sie haben keine Erfahrung mit Revolutionen. So glauben wir, im Osten wie im Westen, nach dem Knall kommt die neue Zeit, einfach so, vielleicht ein wenig holprig, aber sie kommt. Doch eine Revolution ist keine Bundesliga-Saison, in der nach zehn Monaten der Meister seinen Triumph feiert und der Absteiger seinen Trainer feuert. Revolutionen brauchen Zeit, viel Zeit, und ihr wahrer Erfolg kommt erst spät, für viele zu spät. Deshalb ist der Osten immer noch anders: Die Menschen in Erfurt und Neubrandenburg, in Görlitz und Magdeburg denken, handeln und träumen nicht wie die Menschen in Essen und Braunschweig, in Konstanz und Flensburg.

In diesem Buch „Die unvollendete Revolution“ werde ich die Geschichte der Revolution als eine lange deutsch-deutsche Geschichte erzählen, als meine Geschichte, als mein Erleben – angefangen von den Kerzen in den Fenstern, die ich als Kind für die Brüder und Schwestern in der Zone angezündet hatte. Es sind die Geschichten eines Westdeutschen, den die Zone, die DDR, die Revolution und die nachrevolutionären Wirren in den Bann geschlagen hatte.

Wann hatte ein Deutscher schon mal die Gelegenheit, all dies unmittelbar zu erleben? Die Tyrannei der Unfreiheit und den Rausch der Freiheit und den Kater danach und die Knospen in den blühenden Landschaften? Und dies alles in einem Leben.

Auch eine Revolution hat ihre Zeiten: Das Vorher und Nachher. Unsere Revolution hatte drei Epochen:

> Die erste Epoche war die DDR des Todesstreifens, etabliert als sozialistischer Gegenentwurf zur kapitalistischen Bundesrepublik; beide deutschen Staaten waren entstanden aus dem Erbe des Nationalsozialismus, des Weltkriegs, des Völkermords, der zerstörten Städte, der Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen. Es war die Zeit des Stacheldrahts zwischen der sowjetischen und den westlichen Zonen, dem der Mauer folgte, die erste, die wirkliche Mauer. Revolutionen fallen nicht vom Himmel, sondern durchleben eine lange Vorbereitung. Sie erlebte ich – als skeptischer Achtundsechziger – durch einen Freund, der als linker Pfarrer den Sozialismus in der DDR als das bessere Deutschland sah; als Chefredakteur der Oberhessischen Presse in Marburg, das mit Eisenach eine der ersten und durchaus funktionierenden Städtepartnerschaften schuf; als Korrespondent im Bezirk Erfurt, der vieles erlebte und wieder vergaß, aber nachher alles in seiner Stasi-Akte nachlesen konnte.

> Die zweite Epoche war die Revolution, in der sich rasend schnell die zweite Mauer, die unsichtbare, die Trauma-Mauer aufbaute: Verlust des gewohnten Alltags, in dem alles geregelt war; Verlust der gewohnten Arbeit, die planmäßig organisiert war; Verlust des fürsorglichen Staates, der dem treuen Bürger alle Entscheidungen abnahm – und stattdessen eine Dominanz der Westdeutschen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Ich erlebte sie als Chefredakteur der ersten deutsch-deutschen Zeitung, der Eisenacher Presse,
die erstmals am 18. Januar 1990 erschien, und in der Jahrtausendwende als Chefredakteur der Volksstimme in Magdeburg mit Fremdenhass, Töpfchen-Debatte und Menschen, die kollektiv und aggressiv um Haltung kämpften, um das Erbe der Revolution.

> Die dritte Epoche ist die aktuelle, in der sich die dritte Mauer der Resignation und der Ungeduld aufbaut: Den meisten Menschen geht die Angleichung an den Westen nicht schnell genug, sie beklagen das Desinteresse oder den Überdruss des Westens, weiter in den Osten zu investieren – und sehen den Westen als Fremden. Gleichzeitig brechen die Generationen im Osten auseinander, viel leiser als in den Zeiten der Achtundsechziger des Westens: Die Kinder ziehen fort und kommen erst einmal nicht wieder. Es stagniert die Zustimmung zur Demokratie, es wächst der Unmut, sich mit der Geschichte der Diktatur und der eigenen Geschichte zu befassen – im Gegensatz zu den Jungen, die fragen: Wie war das damals, Vater und Mutter, mit Euch in der DDR? Im Osten steigt, wenn auch langsam, die Abneigung gegenüber dem, was man „Politik“ nennt, und es nimmt die Verweigerung zu, sich zu engagieren.

Aber die dritte Mauer hat viele Durchgänge, sie trennt nicht mehr wirklich, sie bröckelt – und sie gefährdet keinen inneren Frieden. Ungefährlich ist sie trotzdem nicht: Die Demokratie im Osten ist weniger stabil als die Demokratie im Westen. Bis zur Revolution 1989 hat der Osten nur Kaiser und Diktatoren erlebt, unterbrochen von der fragilen Weimarer Demokratie. Der Osten hat zwar bereitwillig die äußeren Formen der Demokratie angenommen: Wahlen und Rechtsstaat, Kontrolle der Macht und Mächtigen sowie Freiheit für Presse, Vereine und Berufswahl, Schule ohne Ideologie und die Freiheit, überallhin reisen zu können.

Doch die Ostdeutschen sind so verwirrt, dass vielen in der Rückschau die Diktatur wärmer, gar kuscheliger erscheint, dass der Zusammenhalt stärker war – ob wirklich oder eingebildet. Sie wundern sich: Die Demokratie ist kühl, sachlich und kennt keine Aufmärsche wie die Diktatur. Die Demokratie muss erst langsam die Seelen wärmen. Im Osten wärmt noch wenig. Denn dieses Feuer muss von den Bürgern selbst entfacht werden; das Holz dafür müssen die Politiker, die Regierungen besorgen. Beide Seiten, Bürger wie Politiker, sind noch überfordert: Ein bisschen weniger Adenauer, ein bisschen mehr Willy Brandt täte gut. Demokratie wagen – wäre dafür ein sinnvolles Motto.

Diese Demokratie-Defizite erlebe ich als Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, einer der großen Zeitungen im Osten. Die Beschreibung der drei Epochen wirkt wie ein Holzschnitt. Die Widersprüche und Details folgen in  Buch „Die unvollendete Revolution“, sie sind Gegenstand der Erzählungen und Debatten.

**

Aus dem Editorial des Buchs „Die unvollendete Revolution“

Die Revolution war nicht die Revolution der Redakteure, gleichwohl begeisterte sie die Freiheit (Interview: 25 Jahre Einheit)

Geschrieben am 29. September 2015 von Paul-Josef Raue.
„Wir feiern 25 Jahre Deutsche Einheit – doch das Land sieht wenig geeint aus. Warum wächst nicht richtig zusammen, was einem Bonmot nach zusammen gehört?“ Mit dieser Frage eröffnet Stefan Wirner ein Interview für den Newsletter der Drehscheibe mit dem Autor dieses Blogs – “ über seinlokalesGrenzgängertum und seine Sicht auf das geeinte Deutschland“. Meine Antwort:

Das ist eine Frage, die im Westen gestellt wird: Warum, liebe Ostdeutsche, seid Ihr noch nicht wie wir? Diese Frage mögen Ostdeutsche nicht, weil ein Unterton mitschwingt: Wir haben Euch eine Billion Euro Entwicklungshilfe gegeben, so dass Eure Straßen besser sind als unsere; wir erwarten auch ein wenig Dank und wollen nicht mehr das ewige Genörgel hören!

Viele Westdeutsche vergessen: Es gab vor der Revolution keinen DDR-Bürger, der etwas anderes als Diktatur erfahren hatte – erst die Nazis, dann die sowjetischen Besatzer, dann die SED. Das steckt in der Seele, das können sie mit noch so viel Euros und Autobahnen nicht heilen. Und nach der Revolution mussten die Ostdeutschen komplett ihr Leben und ihren Alltag ändern, nichts, wirklich nichts blieb mehr, wie es vorher war. Und irgendwann konnten die Ostdeutschen all die guten Ratschläge aus dem Westen nicht mehr hören. Kurz: Sie vermissten und vermissen Respekt.

Gerade in der aktuellen Frage der Aufnahme von Flüchtlingen scheint das Land extrem gespalten: Während im sächsischen Heidenau ein Mob das Flüchtlingslager angreift, gehen die Bilder der Münchner um die Welt, die am Bahnhof Flüchtlinge willkommen heißen. Trügen diese Bidler? Oder woher kommen diese Unterschiede?

So extrem gespalten sind wir nicht. Die Angst vor den Fremden ist im Westen ähnlich verbreitet wie im Osten – und in anderen Ländern Europas übrigens noch stärker. Aber Sie bedienen mit Ihrer Frage ein typisch westdeutsches Vorurteil: Der Osten ist braun. Sie können München und Heidenau vergleichen, aber sie könnten auch Erfurt mit Weissach und Remchingen vergleichen: In Thüringen ein herzlicher Empfang und große Hilfe, im Südwesten brennende Asylbewerber-Heime. Aber das Aufrechnen bringt wenig: Wir haben ein gesamtdeutsches Problem und ein noch viel größeres europäisches.

Belegen nicht sämtliche Zahlen, dass die Fremdenfeindlichkeit im Osten um einiges höher ist als im Westen?  In keiner westdeutschen Stadt gab es pogromartige Vorkommnisse wie in Hoyerswerda, Rostock oder zuletzt Heidenau.

Generalisierung ist in der Tat falsch. Die meisten Ostdeutschen sind nicht fremdenfeindlich, auch wenn korrekt ist: Es sind mehr als im Westen. Aber die schiefe Darstellung fängt schon in der „Tagesschau“ und in den Zeitungen an: Heidenau bekommt einen Spitzenplatz in den Nachrichten, während ein brennendes Flüchtlingsheim in Baden-Württemberg hinten im Meldungsblock zu finden ist.  Auch Medien folgen ihren Vorurteilen und Vorlieben. Selbst der Bundespräsident sprach wieder von „Dunkeldeutschland“ – und suggerierte: Der Osten ist der dunkle Teil Deutschlands.

Teilen Sie die Ansicht, dass die Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern ein Erbe der DDR, des selbsternannten „besseren Deutschlands“ ist?

In der Tat wirkt im Osten die SED-Propaganda nach, die den Menschen suggerierte: Wir in der DDR haben aufgeräumt, wir sind die saubere, das nazifreie Deutschland.

Was ist daran korrekt? Im Adenauer-Deutschland wollte man schnell den Wohlstand, kümmerte sich kaum um die Nazi-Vergangenheit, berief Nazis sogar zum  Generalbundesanwalt oder als Bundesminister; es gab mehr Nazis in hohen Ämtern als in der DDR, die allerdings in den Aufbau-Jahren auch auf Nazis nicht verzichtet hat.

Im Westen stellten die Achtundsechziger dann ihren Eltern unbarmherzig Fragen wie: Was habt Ihr gemacht, als die SS die Juden aus Eurer Nachbarschaft vertrieb? Diese Debatten haben die westliche Gesellschaft massiv verändert. In der DDR musste sich keiner die Fragen stellen, der Staat nahm die Antwort ab: Macht Euch keine Gedanken, wir haben alles richtig gemacht – im Gegensatz zum revanchistischen und kapitalistischen Westen! Gleichzeitig sperrte man die Gastarbeiter in Gettos, zwang Frauen aus Vietnam oder Angola, die schwanger wurden, zur Abtreibung oder zum Verlassen der DDR: Also keine Spur von Willkommenskultur in der DDR, sondern nur aufgesetzte Freundschafts-Parolen.

Der Gesellschaft im Osten fehlt die Erfahrung, die Fragen nach dem richtigen Leben in einer Diktatur, gleich welcher, zu stellen. Das war und ist eine Aufgabe für Politiker, Lehrer und Redakteure – auch wenn sie dabei niemals in begeisterte Gesichter schauen: Die Menschen wittern gleich Gefahr, wenn diese Debatte droht. Sie reagieren durchweg mit Abwehr: Ihr wollt unser Leben miesmachen, wollt Jahrzehnte unseres Lebens entwerten  – übrigens ein Vorwurf, den Westdeutsche schnell zu hören bekommen, wenn sie mitreden wollen.

Die Reaktion ist verständlich: Was die Seele bedrückt, wird  als Tabu in die Kulissen geschoben. Aber dieses Tabu taugt nicht in einer offenen Gesellschaft, schadet der Demokratie. So sieht der Magdeburger Psychoanalytiker Jörg Frommer auch ein „kleines 68“ im Osten, sieht die Jungen, die hellwach sind, aber nicht laut aufbegehren gegen die Älteren,  sondern einfach aufbrechen – und machen.

TA Erstausgabw

ERSTAUSGABE TA nach der Wende – als Teil einer aktuellen Serie „25 Jahre Thüringen“ in der Thüringer Allgemeine

Thomas Schmid äußerte in der Welt die Befürchtung, dass bei den anstehenden Einheitsfeierlichkeiten diese Konflikte unter den Tisch gekehrt würden. Fehlt uns eine offene und ehrliche Diskussion über die Einheit?

Ja. Es geht dabei weniger um Offenheit und Ehrlichkeit, also um die Debatte überhaupt: Die meisten im Westen interessieren sich nicht für den Osten, und je weiter sie gen Westen oder Süden kommen, umso erschreckender ist das Unwissen, von Empathie ganz zu schweigen.

Andererseits ist die Diskussion auch nicht einfach zu führen: Die Älteren im Osten haben sich meist abgeschottet, empfinden die Westdeutschen als arrogant und besserwisserisch – und haben sich hinter einer unsichtbaren Mauer angenehm eingerichtet. Bisweilen glaube ich: In dem Leben der meisten Ostdeutschen ist so viel geschehen, dass sie müde geworden sind, dass sie meinen: Es reicht für ein Leben, nun soll es mir einfach nur mal gut gehen.

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die Unvollendete Revolution“ geschrieben. Darin sagen Sie aber auch, selten sei eine Revolution im Abendland so gelungen wie diese. Wie passt das zusammen?

Es ist ein realistischer Blick. Keine der Revolutionen nach Ende des Kalten Kriegs war erfolgreich: Schauen Sie nach Russland, in die Ukraine, in den Balkan, nach Nordafrika. Nur eine gelang wirklich;  dabei hatten wir Deutschen keine Erfahrung mit Revolutionen, aber gleich die erste gelang. Und wir sollten stets bedenken: Diese erfolgreiche Revolution haben die DDR-Bürger hinbekommen, nicht die Westdeutschen;  die schauten nur im Fernsehen zu.

Wir sind unbestritten ein Staat und in ein, zwei Generationen auch ein Volk. Es mag noch einige Unverbesserliche geben, die sich nach der DDR zurücksehnen, die überwältigende Mehrheit fühlt sich wohl in dem neuen Deutschland. Wir haben nicht die Probleme wie die Briten mit Schottland oder Spanien mit Katalonien.

Deutschland ist einfach reicher geworden, an Menschen, an Erfahrung, an Kultur (ein Drittel des deutschen Welterbes liegt im kleinen Osten), an Natur. Viele in Europa und der Welt beneiden uns.

Sie haben die Vereinigung journalistisch begleitet, ja sie journalistisch mitgestaltet. Sie waren Korrespondent in der DDR, gründeten als Chefredakteur der Oberhessischen Presse die Eisenacher Presse, waren Chefredakteur in Magdeburg und Braunschweig und schließlich bei der Thüringer Allgemeinen in Erfurt. Welchen Lokaljournalismus fanden Sie 1989/90 im Osten Deutschlands vor?

Einen ängstlichen – auch wenn die DDR-Redakteure im Lokalteil ein wenig mehr zwischen den Zeilen schreiben konnten als im politischen Teil. So war der Lokalteil der meistgelesene in den DDR-Zeitungen; das war auch der Grund für den Erfolg der gewendeten SED-Zeitungen, während die Neugründungen aus dem Westen durchweg scheiterten.

Die Lokalredakteure schrieben in der DDR vor allem über ihre Funktionäre und Helden der Arbeit, priesen den Sozialismus und waren, im heutigen Verständnis, Pressesprecher der Partei. Da viele DDR-Bürger zwar West-Fernsehen schauen konnten, aber keine West-Zeitungen lesen durften, war der Lokaljournalismus, vor allem der politische, völlig unbekannt – auch bei den Redakteuren.

Das Buch zu 25 Jahre Einheit ist im Klartext-Verlag erschienen.

Als Sie als Westdeutscher Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen wurden, der ersten Zeitung, die sich in der DDR für unabhängig erklärt hatte, gab es jede Menge ablehnende Leserzuschriften, wie man Ihrem Buch entnehmen kann. Was haben Sie da gedacht?

Wenig. Einsam war’s, und da besinnt man sich auf seine Professionalität und verlangt sie auch von den Mitarbeitern.

Sie haben bei der Braunschweiger Zeitung das Konzept Bürgerzeitung entwickelt – mit großem Erfolg. Wie wurde das Konzept später in Erfurt, als Sie bei der Thüringer Allgemeinen waren, angenommen?

Die Ostdeutschen diskutieren gerne. Das taten sie schon in der DDR reichlich, schrieben unentwegt Eingaben; das war auch möglich, wenn sie die Tabus beachteten. So nutzten die Leser der TA sehr schnell die Möglichkeiten, mit ihren Meinungen in die Zeitung zu kommen, auch die Querdenker, Nörgler und Besserwisser. Schon nach wenigen Wochen haben wir die tägliche „Leser-Seite“ eingeführt, auf der – gestaltet wie eine schöne redaktionelle Seite – nur unsere Leser zu Wort kommen. Den Redakteuren war das anfangs unheimlich, bei einigen ist das heute noch so.

Es blieb nicht bei der Leser-Seite, immer wieder beziehen wir unsere Leser mit ein, so dass die Thüringer Allgemeine mittlerweile eine exzellente Bürgerzeitung ist, das beweisen uns auch alle Leser-Untersuchungen: Die Menschen wollen nicht nur wissen, was Redakteure und Politiker meinen, sondern auch wie und was ihre Nachbarn denken und wie sie sich in der Gesellschaft engagieren.

Sie sprechen von einem „Demokratie-Defizit“, das Sie als Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen erlebt hätten. Inwiefern?

Die Redakteure waren nach der Revolution, die ja nicht die Revolution der Redakteure war, gleichwohl von der Freiheit begeistert, so wie sie in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Aber die meisten Redakteure schauten auf den ersten Satz, auf die Meinungsfreiheit. Endlich durften sie kommentieren, was die Druckerschwärze hergab.

Dass aber die Pressefreiheit nicht nur Sonderrechte bietet, sondern auch Pflichten, war weniger bekannt: Die Demokratie zu stärken, die Bürger zu beteiligen und ihnen eine Stimme zu geben, die Mächtigen zu kontrollieren und die Leser verständlich und umfassend zu informieren – vor allem in den Städten und Kreisen – und in die Hinterzimmer der Macht zu leuchten. Nur so lebt die Demokratie.

Die Menschen sind 1989 für Demokratie, die D-Mark, die Wiedervereinigung auf die Straße gegangen. Wie konnte das alles so schnell wieder in ein Ressentiment gegen Demokratie und Marktwirtschaft kippen? War der Westen zu wenig feinfühlig?

Feinfühligkeit war nicht die Stärke des Westens, aber sie war auch nicht vonnöten: Der Westen spielte in der Revolution nur eine Zuschauer-Rolle. Die Menschen im Osten waren die Akteure, die haben nicht für Bananen, die haben für die Freiheit gekämpft, alles andere war hübsches  Beiwerk. Für eine Reise nach Mallorca riskiere ich nicht mein Leben, für die Freiheit, mein Leben selber planen zu können, riskiere ich es schon, wenn ich genügend Mitstreiter finde.

Und da ist auch nichts umgekippt: Nur eine Minderheit im Osten will zurück in die Diktatur; die Hälfte fühlt sich als Gewinner der Einheit, nur – oder immerhin – ein Viertel als Verlierer. Allerdings haben die Ostdeutschen, zum Teil schmerzhaft, die Kehrseite der Freiheit erleiden müssen: Die Demokratie, die sie bekamen, war nicht die des Werbe-Fernsehens, sondern die der „Tagesschau“, in der auch Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit ein Thema war.

Offenbar laufen Revolutionen nach dem Muster ab: Die Diktatur steigert die Sehnsucht nach Freiheit, die Revolution übersteigt sie, es folgt der Jammer. So war das auch nach der deutschen  Revolution: Sanfte Träume und Utopien prallten gegen die harte Wand der Wirklichkeit. Die Ostdeutschen wollten Freiheit und bekamen Westdeutsche, die mit Buschzulage Verwaltung und Justiz einführten.

Ich zitiere in meinem Buch eine Reihe von Umfragen, die belegen: Es gibt so gut wie keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West, wenn  es um die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben geht (sie ist hoch); geht es um die Zuversicht, ist sie im Osten sogar höher als im Westen, vor allem bei den 16- bis 29-Jährigen.

Wenn Sie heute in die Zukunft blicken: Was stimmt Sie dennoch hoffnungsfroh?

Kein „dennoch“! Für Revolutionen gibt es keine Generalproben, „Fehler“ entdeckt man erst im Nachhinein: Wer in rund neun Monaten eine Demokratie, Marktwirtschaft, freie Medien und einen Rechtstaat einführt, der müsste eigentlich scheitern. Deutschland ist nicht gescheitert, wir haben vieles richtig gemacht und können das, was nicht rund läuft, verbessern – und sollten es auch tun.

Thüringen zum Beispiel hat, relativ gesehen, weniger Arbeitslose als Nordrhein-Westfalen und auch weit mehr Menschen in Beschäftigung. Die Liste der Erfolge ist lang, die der Defizite ist allerdings auch nicht klein.

Wer uns große Hoffnung verspricht, sind die Jungen, die Dritte Generation Ost – das sind die zweieinhalb Millionen, die zur Wende noch in die Schule gingen. Die sind der Jammerei überdrüssig, sie sind hungrig, viel hungriger als die meisten im Westen, sie wollen raus in die Welt, wo immer sie einen Platz für sich sehen, aber sie schätzen ihre Heimat. Was für eine Chance für unser Land!

Sie sagen, Ihr Buch sei kein Geschichtsbuch, eher aber ein Geschichtenbuch. Ich finde, es ist auch ein Erinnerungsbuch. Welche Rolle wird die Erinnerung zukünftig in einer Welt von Facebook, Google und Smartphones spielen?

Erinnerung ist das halbe Leben oder noch mehr. Da spielt es keine Rolle, ob sie die Geschichten am Lagerfeuer erzählen, in Moritaten, Büchern, Zeitungen oder auf Smartphones. Und die jungen Leute, die Smartphone-Generation,  sind geradezu begehrlich, wenn es um die Erfahrungen der Alten geht. Wenn Sie mit Ostdeutschen sprechen, hören sie von den Älteren oft das Argument: „Macht ein Ende mit der Rückschau, mit den Stasi- und Opfern-Geschichten! Die wollen die jungen Leute einfach nicht hören.“ Aber das Gegenteil ist der Fall, die Jungen wollen wissen, wie das Leben in der Diktatur war – nicht als Vorlage für eine Anklage, sondern als Erfahrung, von der sie lernen wollen in der Freiheit, die sie genießen.

**

Quelle: Drehscheibe „Die Ostdeutschen vermissen Respekt“

Sternstunden der deutschen Sprache: Schreib und sprich, dass dich die Menschen verstehen!

Geschrieben am 10. August 2015 von Paul-Josef Raue.

„Faruuazzit“ heißt verflucht, „tuncli“ die Dunkelheit, „samftmoat“ sanftmütig und „friuntscaffi“ die Freundschaft. So steht es im ersten Wörterbuch der deutschen Sprache mit dem Titel „Abrogans“. Das lateinische Wort für „demütig“ ist das erste Wort im Buch und gab ihm den Titel.

Wir verstehen kaum die ersten deutschen Wörter, die wir althochdeutsch nennen, aber sie haben einen Wert bis in unsere Zeit hinein: Sie übersetzen eine Sprache, die nur wenige verstehen, in eine Sprache, die alle verstehen. Das Lateinische war im achten Jahrhundert, als Mönche aus Freising das Wörterbuch schrieben, die Sprache der Mächtigen und der Priester.

Was Mönchen vor vielen Jahrhunderten gelang, ist auch heute – erst recht in unserer Demokratie – eine Aufgabe von Wert: Schreib so und sprich so, dass dich die Menschen verstehen! Nicht die Kirche ist noch der Verursacher der Unverständlichkeit, sondern alle, die ihren Jargon sprechen, um ihre Absichten zu verschleiern oder sich abzugrenzen oder einfach – wie die Liebhaber der Anglizismen – modern zu wirken.

„Abrogans“ zählt zu den Sternstunden deutscher Sprache, ist eine von 107, die in dem Buch „Edelsteine“ beschrieben werden: Von den Merseburger Zaubersprüchen über Luthers Übersetzung der Bibel und Bachs „Matthäus-Passion“ zu Kants „Was ist Aufklärung?“ und Goethes „Faust“.

Wie oft ist die Gegenwart zu nah, um schon ein klares Urteil zu fassen. Dennoch ist die Auswahl der „Sternstunden“ zeitgenössischer Texte sinnvoll: Das Grundgesetz beispielsweise oder Erwin Strittmatters „Notstandsliebe aus der Zeit der Bomben“, die Micky-Maus-Übersetzungen von Erika Fuchs („dem Ingenör ist nichts zu schwör“), aber auch die Herbert Zimmermanns Reportage vom WM-Endspiel in Bern 1954 – auch oder gerade weil der Kommentator in den letzten Minuten komplett die Fassung verlor: „Logik, Grammatik und Aussprache gingen ganz eigene Wege, die aber genau den irrationalen Windungen folgten, in denen sich die Gefühle der Zuhörer bewegten.“ Ergänzt sei: Man muss es hören, nicht lesen.

Andere „Sternstunden“ sind historische, aber keine sprachlichen – wie  der Beipack-Zettel zur ersten Antibaby-Pille in Deutschland: Zwar „eine Revolution der Sozialgeschichte“, aber wegen der ungelenk formulierten Lüge auf dem Zettel keine Sternstunde der Sprache ebenso wenig wie der „2+4-Vertrag“; die Präambel besteht aus einem Satz mit über 400 Wörtern, „der das Verständnis mehr erschwert als fördert“.

So wird, ähnlich wie mit Gaucks Rede auf der Westerplatte 2014, der Sprachliebhaber zum Historiker: „Wie wichtig diese Worte sind“, begründet Walter Krämer die Wahl der Gauck-Rede. Aber da schreiben sie schon ein anderes Buch, das mit der Sprache nur am Rande zu tun hat.

Max Behland, Walter Krämer, Reiner Pogarell (Hg): Edelsteine – 107 Sternstunden deutscher Sprache. IFB-Verlag, 672 Seiten, 25 Euro

**

Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter,  10. August 2015, erweiterte Fassung

Wie lange will die Redaktion noch von Beate Zschäpe berichten? Es reicht (Leser fragen)

Geschrieben am 1. August 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 1. August 2015 von Paul-Josef Raue in G. Wie Journalisten informieren.
Eine „treue Leserin“, die ihren Namen verschweigt, schickt an den Chefredakteur der Thüringer Allgemeine eineTrauerkarte, wie man sie zu einem Todesfall versendet, packt dazu einen Bericht über den Zschäpe-Prozess und fragt: „Wie lange werden noch Seiten von Ihrer Zeitung damit gefüllt?“Sie ergänzt die Frage mit diesen Kommentaren: „Das Geld könnte wirklich an anderen Stellen nötiger gebraucht werden. Die Dame spielt doch mit der Justiz.“
Der Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“:
Werte treue Leserin,Sie haben Recht: Beate Zschäpe spielt mit Richtern, Opfern, Nebenklägern und mit ihren Verteidigern – und sie spielt mit unserem Rechtsstaat. Sie hasst offenbar unsere Demokratie, sie zählt sich zu einer Bande, die mit Menschen, die sie zu Opfern erklären, kurzen Prozess machen; wahrscheinlich verachtet sie auch uns, die mit ihr im Gerichtssaal und in der Öffentlichkeit fair umgehen.

Wenn Zschäpe und ihre Mitstreiter, wenn Neonazis und Terroristen die Macht hätten, dann bekämen wir eine Justiz der kurzen Prozesse. Wir wissen von den Diktaturen in Deutschland, wie ein Staat das Recht beugt: Die Urteile stehen schon vorher fest, sie werden von oben den Richtern diktiert; es geht nicht um die Wahrheit, es geht um Exempel, die statuiert werden, es geht um das Schüren von Angst. Solch einen Unrechtsstaat wollen wir nicht mehr.

Es würde Beate Zschäpe so passen, wenn wir nichts mehr berichteten, wenn der Prozess platzte, wenn wir einfach zur Tagesordnung übergingen. Doch wir bleiben dabei, wir hören aufmerksam zu. Der Prozess macht an nahezu jedem Tag deutlich: Es geht nicht nur um eine Frau, die uns nicht in die Augen blicken will, sondern um einen großen Kreis von Sympathisanten, der eine beispiellose Mordserie ermöglicht hat.

Wir schauen in den Untergrund unserer Gesellschaft, der noch lebendig ist. Das ist ein Grund, warum wir weiter berichten müssen: Dieser Hass auf unsere Gesellschaft verschwindet ja nicht, wenn wir ihn nicht mehr wahrnehmen – im Gegenteil: Er wuchert noch schneller.

Der zweite Grund ist unser Rechtsstaat: Wir zeigen, dass sich unsere Demokratie nicht von ihren Feinden verbiegen lässt. Und wir, als unabhängige Journalisten, und Sie als wache Leser und Bürger, achten darauf, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

Wir stellen zudem Öffentlichkeit her, damit die Unbelehrbaren sehen, wie fair wir mit denen umgehen, die unseren Staat zerstören wollen.

Sicher kostet das Geld. Aber Recht ist am Ende viel preiswerter als Unrecht.

**

Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 1. August 2015

Deutschland ist demokratischer als die USA, sagt Laura Poitras – und: „Wir haben noch die Freiheit der Rede“

Geschrieben am 19. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

Mit einem optimistischen Satz über den Wert der Freiheit beschließt Laura Poitras ihre lange Klage gegen ein Amerika, das Grundsätze seiner Demokratie immer mehr verrät, den Bürgern Freiheiten nimmt und sie sogar bespitzelt. Die US-Bürgerin Poitras bekam den Oscar für ihren Dokumentarfilm über Snowden; sie ist Gründerin der Stiftung „Freedom of the Press“.

Sie beklagt:

  • Der US-Staat verletzt seine eigenen Gesetze wie die Freiheit der Presse, weil er beispielsweise ihre Unterlagen bei jeder Einreise kopieren lässt;
  • er beantwortet ihre Fragen nicht, wie intensiv sie überwacht wird:
  • er lässt keine Klagen zu von Menschen, die er entführt und gefoltert hat;
  • er unterhält seit 13 Jahren das illegale Guantanamo, tötet Menschen ohne Gerichtsurteil durch Drohnen, führt Angriffskriege;
  • er zerstört Teile des Rechtsstaates – und das steht in keinem Verhältnis zu der Gefahr durch den  IS und andere;
  • er ist nicht das demokratische Vorbild, das er vorgibt, sein zu wollen.

Relativ sicher fühlt sie sich in Deutschland, wo sie ihre Tagebücher und verschlüsselten Festplatten versteckt. „Ich denke, die Erfahrungen des Sozialismus und die Stasi-Vergangenheit haben dazu geführt, dass man in Deutschland geschützter ist. Das Land hat aus seiner dunklen Vergangenheit gelernt.“ Aber die bleibt auch – im Vergleich zum Schrecken, der anderswo herrscht – eine Optimistin mit Blick auf ihr Land:

Trotz der ernsten Bedenken, die ich habe, wenn ich darüber nachdenke, in welche Richtung sich mein Land bewegt: Wir haben immer noch die Freiheit der Rede. Anders als viele andere Länder, in denen Journalisten um ihr Leben bangen müssen, wenn sie die Wahrheit öffentlich machen. Ich hätte diese Fragen (im Interview) nicht beantworten können, wenn ich nicht diese Freiheit hätte.

***

Quelle: FAZ, 18. Juli 2015, Interview von Ursula Scheer „Amerikas Politik schafft Terror und Chaos“

Nienhaus stellt Lokalzeitungen heraus als „bedeutend für die politische Kultur“

Geschrieben am 16. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 16. Juli 2015 von Paul-Josef Raue in C 5 Internet-Revolution, Lokaljournalismus.

Wer in einer Zeitungsredaktion arbeitet, möchte sich in Diskussionen am liebsten verkriechen: Belächelt von den Hohepriestern des Online, verspottet als Frau oder Mann einer untergehenden Welt, bemitleidet von Kollegen, die schon im Netz krabbeln wie ein Baby in der Badewanne. Christian Nienhaus (54), der mächtige Vertriebs-Chef von Springer, schlägt in einem Horizont-Interview dagegen wohlwollend optimistische Töne an – Mut- und Muntermacher also:

Der Vertrieb von Printprodukten ist ein sehr gut funktionierendes Geschäftsmodell und wird noch viele Jahre ein einträgliches und sehr lohnendes Geschäft sein.

Nienhaus erinnert auch daran – was viele vergessen haben -, dass Zeitungen der Motor der Demokratie sind:

Die Bedeutung der Zeitungen für die politische Kultur, insbesondere für die kommunale Ebene, wird medienpolitisch nicht ausreichend Rechnung getragen.

Seiten:«123456789»

Journalisten-Handbuch.de ist ein Marktplatz für journalistische Profis. Wir debattieren über "Das neue Handbuch des Journalismus", kritisieren, korrigieren und ergänzen die einzelnen Kapitel, Thesen und Regeln, regen Neues an, bringen gute und schlechte Beispiele und berichten aus der Praxis.

Kritik und Anregungen bitte an: mail@journalisten-handbuch.de

Rubriken

Letzte Kommentare

  • Daniel Grosse: Die Sendung mit der Maus sollte uns „ja so erwachsenen und klugen“ Autoren und...
  • Sportreporter: In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten...
  • Udo Heinze: Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort...
  • Härtel: Ich bin von den viel verwendeten Anglizismen genervt. Im Berufsleben begegnet mir jetzt „content“, „hashtag“,...
  • Oliver Horvath: Männliche Zuschauerinnen sehen wohl aus wie weibliche Zuschauer – wie eine Gruppe eben...

Meistgelesen (Monat)

Sorry. No data so far.