„Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser“

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

„Ein Problem in der Summe der im Internet kursierenden Informationen ist ja, das vieles nicht stimmt. Es gibt moderne Märchen, die sich imInternet schnell verbreiten“, sagt WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus (52) im Interview mit BZ-Chefredakteur Armin Maus. „Der Nutzer muss sich genau ansehen, aus welcher Quelle die Informationen stammen, und er braucht die Sicherheit, dass Informationen aus unseren Medien verlässlich sind.

Zu lesen ist das auführliche Interview in der Beilage „65 Jahre Innovation“, in dem die Braunschweiger Zeitung ihren neuen Internetauftritt vorstellt.

Nienhaus plädiert, besonders auf die Glaubwürdigkeit im Journalismus zu achten:

„Was als journalistischer Beitrag gekennzeichnet ist, darf niemals parteiisch und gefärbt oder den wirtschaftlichen Interessen anderer untergeordnet sein… Die Pflicht zur guten Recherche, zu ordentlicher, sauberer Arbeit und vor allen Dingen zur Bekämpfung der eigenen Vorurteile gehören zum freien Journalismus.
Aber der Verlag muss eine Brandmauer errichten, um die Interessen der von uns ebenfalls geschätzten Anzeigenkunden deutlich abzutrennen.“

Die Kernleistung der Zeitungen ist für Nienhaus das Lokale und Regionale:

„Man kann Synergien auf allem möglichen Feldern schaffen, aber muss vor Ort aktiv mit eigenen Journalisten tätig sein. Wir brauchen in den Städten der Region Journalisten, die unabhängig sind, die unabhängig von Interessengruppen schreiben, ob die Haushaltsrede des Bürgermeisters im Stadtrat ordentlich war oder nicht, und ob der Sportverein gut gespielt hat, und ob die Sanierung der Fußgängerzone vernünftig von statten geht, oder wo zu viele Baustellen sind.
Das alles sind Dinge, die man nicht über Blogs im Internet, mit staatlichen Pressestellen und interessengesteuerten Einträgen organisieren kann. Da braucht man eine Instanz, von der man weiß, dass sie unabhängig ist. Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser, sind deswegen nur dem Leser verpflichtet. Guten kritischen Journalismus – den wird es auch in 35 Jahren geben.“

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“ und Kapitel 3 „“Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)

Rücktritt nach Redaktionsschluss: Wie es der „Spiegel“ machte

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Ein Meisterstück präsentierte der „Spiegel“, der wegen des Rosenmontags schon am Samstag erschien: Als Wulff seinen Rücktritt erklärte, wurde die aktuelle Ausgabe schon gedruckt mit dem Titel „Der unvermeidliche Rücktritt“. Gleichwohl negert die Redaktion nicht, tut nicht so, als habe sie seinen Rücktritt erlebt (was ja gewaltig ins Auge gehen kann). Wer den glänzend geschriebenen Aufmacher liest, liest ihn mit dem Wissen des tatsächlichen Rücktritts; aber an keiner Stelle arbeitet die Redaktion unsauber, sie spricht nur von der Möglichkeit und Unvermeidlichkeit des Rücktritts. Eine Lehrstunde des Konjunktivs!

„Focus“ brachte auf dem Titel zwar auch etwas über Trennung und Abschied, aber nichts über Wulff: „Die 25 härtesten Scheidungstricks“.

Die Bundestags-Wochenzeitung „Das Parlament“ wurde vom Rücktritt offenbar kurz vor Redaktionsschluss überrascht. Sie brachte zwei Titelseiten: Die eigentliche zum Rücktritt „Bellevue sucht Nachmietert“; die dritte Seite zeigte die ursprünglich produzierte Titelseite zur EU: „Schluss mit den Zweifeln!“

 

 

Wulffs Staatsanwalt: Ich will meinen Namen nicht in der Zeitung lesen

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Den Namen des Staatsanwalts in Hannover, der die Aufhebung der Immunität Wulffs beantragte, nennt der „Spiegel“ nicht in der aktuellen, schon am Samstag erschienenen Ausgabe – mit dem Hinweis: „Dieser Mann ist seit nicht einmal einem Vierteljahr auf seinem Posten. Er ist Oberstaatsanwalt, seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.“

Am Samstag, als der „Spiegel“ erscheint, schreibt die Süddeutsche ein Porträt über Clemens Eimterbäumer – mit Foto.

Die FAZ bringt das Eimterbäumer-Porträt erst am Montag, eingeleitet mit dem Satz: „Noch zur Wochenmitte hatte Clemens Eimterbäumer großen Wert darauf gelegt, dass zum Schutz seiner Famili sein Name nicht genannt werde – Ende der Woche aber gab die hannoversche Staatsanwaltschaft dem Drängen der Medien nach.“

 

(zu: Handbuch-Kapitel 50 „Presserecht“)

Kommentare zu: Medien und Christian und Bettina Wulff

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Medien und den Rücktritt des Bundespräsidenten  thematisieren nur wenige Kommentatoren. Auf der Titelseite des Samstag-Feuilletons der FAZ greift Michael Hanfeld, nach achtzig Zeilen „Ende einer Hetzjagd?“, eine sensible Frage auf: Warum beschäftigte sich selbst die Bildzeitung nicht mit Frau Wulff und ihrer Vergangenheit?

„Von ehrverletzenden Gerüchten über Bettina Wulff, die man bei einer Google-Suche im Internet sofort angezeigt bekommt, war, wenn wir es richtig überblicken, in der deutschen Qualitätspresse nirgends zu lesen, nicht einmal in der „Bild“-Zeitung. Blogs hingegen sind voll davon. Und hingedeutet darauf hat niemand anderes als Wulff selbst – in seinem Interview mit ARD und ZDF.“

Im englischen oder amerikanischen Boulevard wäre die Vergangenheit der First Lady schnell ein Thema gewesen, vielleicht als Pretty-Woman-Story, vielleicht als Skandal. Niedersächsische Zeitungen wussten schon davon zu Zeiten, als Wulff Ministerpräsident in Hannover war. Sie brachten nichts darüber trotz der Verärgerung, dass Wulff seine Trennung, Scheidung und neue Freundin exklusiv über „Bild“ öffentlich gemacht hatte.

Michael Hanfeld verteidigt, nach einigen Seitenhieben, die Recherche-Leistung der deutschen Zeitungen: „Es sind ohne Zweifel Pharisäer unter uns. Es gibt auch keinen Grund, zu jubeln. Doch eine Presse, die ihre Arbeit ernst nimmt, kann auf Recherchen und auf die entsprechenden Berichte und Kommentare nicht verzichten. Den Gegenstand dafür hat Christian Wulff produziert. Er hat sich politisch selbst zerstört.“

Dass auch Zeitungsleser die Medien genau beobachten,  zeigt ein Leserbrief aus Gotha, den die „Thüringer Allgemeine“ in der Dienstag-Ausgabe (21.2.2012)  veröffentlicht:

„Unfraglich hat sich Christian Wulff mehr als ungeschickt und in keiner Weise auf dieses Amt vorbereitet verhalten. Wahrscheinlich sollte man die Stellenbeschreibung für das Amt des Bundespräsidenten bis ins Detail präzisieren. Denn wer immer auch bereit sein sollte, für dieses Amt zu kandidieren, muss wissen, dass es für ihn keine Privatspäre und keinen Datenschutz geben wird.

Er muss wissen, dass der große Bruder, die Presse, ihm ständig über die Schulter schaut und auch die kleineste Verfehlung in Vergangenheit und Gegenwart bis ins Detail zu recherchieren vermag. Und die Macht der letzteren ist nicht zu unterschätzen, denn wer mit uns im Fahrstuhl hochfährt, fährt auch wieder mit uns runter, lautet eine eiserne Regel der Klatschpresse.“

Positiv über die Leistung der Journalisten urteilt auch Kurt Kister, der Chefredakteur der „Süddeutschen“, im Leitartikel am Samstag:

„Die Medien übrigens, vor allem die Printmedien, haben in der Angelegenheit Wulff im Großen und Ganzen jene Rolle gespielt, die sie spielen sollten: Es waren professionelle Journalisten, die jene hundert Kleinigkeiten, aber auch die paar sehr relevanten größeren Dinge herausgefunden und veröffentlicht haben. Gewiss, auch dabei gab es Fehler. Übertreibungen und Bizzarrerien wie etwa einen Reime schmiedenden FAZ-Herausgeber oder die Vielzahl der posaunierenden Kollegen, die ein Bobbycar für 30 Silberlinge hielten und jeden Tag dreimal Wulffs Rücktritt forderten.

Ohne die manchmal auch in Sackgassen führende Recherche und durchaus auch das Räsonieren der Journalisten aber hätten die Kontrollmechanismen so versagt, wie sie über Jahre hinaus in Niedersachsen nicht funktioniert haben.“

(zu: Handbuch-Kapiteln 2-3  „Die Journalisten“ und 91 „Recherche“)

 

Früh? Oder zeitig? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 20. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Zum dritten Mal begraben wir die wirklichen Unwörter, also unbrauchbare, missglückte, abgenutzte und aufgeblähte, die wir dennoch immer wieder hören und lesen:

Eigeninitiative
„Kleine und mittlere Unternehmen schätzen Eigeninitiative bei ihren Mitarbeitern“, schreibt eine Zeitung in ihrem „Karriere“-Teil. Wer, wenn nicht der Mitarbeiter selber, sollte mit der Arbeit beginnen, für die er bezahlt wird?
Initiative ist dem lateinischen Wort „Initium“ entsprungen, und das bedeutet: Anfang. „Eigeninitiative“ ist also eine törichte Verdoppelung: Initiative heißt ja, dass einer den Anfang macht.

Frontlinie
Noch eine Verdoppelung! „Fotografen an der Frontlinie“ schrieb eine Zeitung im September über eine Ausstellungs-Rezension. Im Französischen, das uns die „Front“ auslieh, bedeutet es: „Die erste Reihe“. Die Front ist also eine Linie.

Frühzeitig
Und noch eine geschwätzige Verdoppelung! „Kapitän verließ frühzeitig das sinkende Schiff“, titelte eine Boulevardzeitung, als sie über Francesco Schettino schrieb nach der Kollision der „Costa Concordia“ mit einem Felsen.
Wann hatte nun der Kapitän das Schiff verlassen? Früh? Oder zeitig? Beides zusammen ist Unsinn. Was wollte der Redakteur sagen? Zu früh hat der Kapitän das Schiff verlassen – eben bevor alle Passagiere in den Rettungsbooten saßen. (Thüringer Allgemeine, 20. Februar 2012, Kolumne „Friedhof der Wörter“)

(zu: Handbuch Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)

Spagat zwischen Print und Online (Noske-Interview 3)

Geschrieben am 17. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 17. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Ausbildung, Online-Journalismus.

Der schönsten Beruf der Welt, die deutsche Sprache,  die Zukunft des Journalismus und schriftlich geführte Interviews: Das sind die Themen im dritten Teil des Interviews, das Paul-Josef Raue mit Henning Noske  über dessen Buch „Journalismus“ führte.

Raue: Wenn ein Journalist wie Sie so intensiv über seinen Beruf nachdenkt, wenn er Leidenschaft zeigt: Ist dies nicht hinderlich in der täglichen Arbeit? Messen Sie sich nicht unentwegt an den eigenen Maximen, auch unter Zeitdruck und bei Kopfschmerzen?

Noske: Ja, davon schreibe ich auch. Es ist die kleine Mühe, der wir uns für den schönsten Beruf der Welt unterziehen. Es bleibt ein Privileg, Journalist zu sein und die Chance zu erhalten, erfolgreich zu arbeiten und zu wirken. Und das entschädigt. Am Ende aber geht es nicht um mich, sondern es sind viele angesprochen: Volontäre, aber auch Redakteure, Online-Redakteure, freie Mitarbeiter, feste Mitarbeiter, Autoren, potenzielle Schreiber, Schüler, Studenten, Eltern, Lehrer, Öffentlichkeitsarbeiter, Pressesprecher, Blogger, Web-Texter, Wissenschaftler.

Eigentlich alle, die einen Traum haben – und bereit sind, auch etwas dafür zu geben. Verständliches Schreiben, unterhaltendes Informieren, übersetzen und kommunizieren mit hoher Glaubwürdigkeit – das ist für sie und für mich gerade in komplizierten Zeiten das Gebot der Stunde. Verstärkung wird noch gesucht.

Raue: Viele Redakteure mögen keine Theorie, sie mögen den Satz „Wir machen hier Zeitung“ und sagen damit: Prinzipien sind was für Seminare und Festreden von Verlegern und Chefredakteuren, sie taugen nicht für den harten Zeitungsalltag. Mögen Sie Ihre Kollegen noch?

Noske: Ja.

Raue: Sie schätzen die deutsche Sprache, widmen sich über viele Seiten der Verständlichkeit. Doch Sie nennen das Geschichten-Erzählen trotzdem „Storytelling“, den Erzähler „Storyteller“ und nennen den Zeitungs-Redakteur „Print-Redakteur“. Können selbst wir uns nicht mehr, sogar in lange durchdachten Texten, gegen die Anglizismen wehren?

Noske: Nein. Dafür sorgt online.

Raue: Sie tummeln sich auch selber in der digitalen Welt, tummeln sich bei Facebook und haben einen eigenen Blog. Dennoch kommt der Online-Journalismus nur am Ende des Buchs in einem Interview vor. Auch im – ungewöhnlich reichen – Glossar findet der Leser nur wenige Online-Begriffe. Ist Online doch nur eine wenig spektakuläre Ableitung des Zeitungs-Journalismus?

Noske: Nein, aber mein Buch bewegt sich gewissermaßen in der Vorstufe. Da, wo alle anfangen. Im Urgrund von Print. Wo wir uns mit ein paar ganz grundlegenden Fragen beschäftigen müssen:
– Was treibt mich eigentlich an?
– Welche Qualitäten muss ich haben?
– Wie finde ich Themen?
– Wie komme ich an Informationen?
– Wie bereite ich Themen und Informationen auf?
– Wie schreibe ich gut?
– Wie mache ich Bilder und gute Überschriften?
– Wie entstehen Fehler und wie kann ich sie vermeiden?
– Wie sichere ich meine Qualität?

Danach kommt dann erst die Entscheidung Print oder Online – ob wir sie selbst treffen oder ob sie für uns getroffen wird. Das Interview, das Sie ansprechen, ist übrigens ein besonderer Werkstattbericht: Mein Kollege Andre Dolle schildert ausführlich, wie er vom Print- zum Online-Redakteur wurde. Das passt prima ins Buch.

Raue: Wir quälen uns alle mit der Frage: Welche Zukunft hat der Journalismus? Welche Zukunft hat die Zeitung? Wer liest uns noch, vor allem wenn wir an die Jungen denken?

Noske: Ich bin sehr optimistisch, vor allem, wenn uns der Spagat zwischen Print und Online wirklich gelingt. Wenn beide irgendwann anfangen, wirklich voneinander zu profitieren. Online to print und print to online, um es auf gut deutsch zu sagen. Die magischen Synergien nicht aus Verlegenheit, sondern mit Plan und Konzept. Dann machen wir ein Buch nur darüber. Abgemacht?

Raue: Wir führen dies Interview schriftlich: Ich schicke Ihnen die Fragen, Sie schreiben per Mail zurück. Sicher, wir beide haben lange zusammen gearbeitet und schätzen uns. Dennoch: Ist das die vorbildliche Art, ein Interview zu führen?

Noske: Am liebsten wandere ich mit Ihnen natürlich auf den Brocken oder auf der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze und lausche Ihnen stundenlang. Das geht natürlich nicht immer, also ist diese Form auch nicht schlecht. Es hat den Vorteil, dass Sie nicht widersprechen können. In der journalistischen Praxis ist das der Nachteil.

Raue: Ja, zu Zeitung und Online: abgemacht. (nicht autorisierter Schlußsatz)

Das Buch: Henning Noske, Journalismus – Was man wissen und können muss. Ein Lese- und Lernbuch. Klartext-Verlag, Essen, 234 Seiten, 17.95 Euro

Teil 1Teil 2

Chefredakteur mit Charisma

Geschrieben am 15. Februar 2012 von Raphael Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 15. Februar 2012 von Raphael Raue in Aktuelles.

Nachruf auf Cornelius Riewerts

Conny Riewerts, lange Jahre Chefredakteur in Vechta, ist tot. Sein Freund Dieter Golombek schreibt den Nachruf, der in der „Drehscheibe“ erscheinen wird:

Cornelius Riewerts ist am 6. Februar im Alter von 71 Jahren verstorben. Er war von 1984 bis 2003 Chefredakteur der Oldenburgischen Volkszeitung (OV) in Vechta, gehörte von 1985 bis 1990 dem Projektteam Lokaljournalisten an und wirkte von 1988 bis 2012 in der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Wie viel Poesie verträgt die Tageszeitung? – Eine müßige Frage, wie es scheint, denn Gedichte gehören nicht in die Zeitung. Der Chefredakteur Cornelius Riewerts hat diese Regel am 4. Dezember 1998 für einen Tag außer Kraft gesetzt. Ganz ohne Vorwarnung überfällt die OV ihre Leser mit Poesie in allen Formen, platziert Rilke neben den Kindergeldausgleich und Krolow neben die Geiselnahme, ein Gedicht schmückt fast jede Zeitungsseite, auch der Anzeigenteil bleibt nicht verschont. Eine Zeitung macht Lust auf Lyrik. „Die Poesie ist die edelste Verwandte des Journalismus“ verkündet der Chefredakteur kühn und weiß, wie wenig routinierte Berichterstattung dafür taugt, sich poetischen Anwandlungen hinzugeben.

In dieser Aktion steckt der ganze Riewerts. „Zuverlässig in Überraschungen zu investieren“, diesen Generalauftrag hat der Kommunikationswissenschaftler Klaus Schönbach zwei Jahrzehnte später der Zeitungsbranche ins Stammbuch geschrieben. In diesem Sinne hat Riewerts immer wieder sehr viel investiert. Er ging gerne vorweg mit seinen Ideen und Aktionen. Er war ein Anführer, er wusste seine Mannschaft mitzunehmen, er konnte überzeugen, er konnte begeistern: ein Chefredakteur mit Charisma.

Sein Arbeitsalltag in Vechta war hart. Er leitete eine der kleinsten Vollredaktionen der Republik. Mit seiner sehr überschaubaren Mannschaft bediente er Tag für Tag alle klassischen Ressorts. Die Hauptaufgabe geriet nie aus dem Blickfeld: Die Oldenburgische Volkszeitung ist eine Zeitung aus der Region für die Region, eine Heimatzeitung. Riewerts macht die OV zu einer Zeitung mit Gesicht. Er verpasst ihr eine intelligente Grundordnung, entwickelt und pflegt originelle, heimatbezogene Rubriken ebenso wie die Kultur der kurzen Texte. In diesen kurzen Texten war Riewerts zu Hause. Seine Glossen sind Meisterstücke, sie gehören in die Lehrbücher: eine Edelfeder in Vechta.

Weit über die Grenzen des Verbreitungsgebietes seiner Zeitung hat Riewerts Spuren im deutschen Lokaljournalismus hinterlassen, und zwar gerade in einem Bereich, in dem es gar nicht so poetisch zugeht. Seine Leidenschaft galt dem politischen Lokaljournalismus. Auf seine Initiative gingen drei herausragende Modellseminare der Bundeszentrale für politische Bildung zurück, die sich dem Themenkomplex „Parteien – Demokratie – Lokaljournalismus“ stellten. Die Ergebnisse haben sich vielfältig publizistisch niedergeschlagen, seine Ideen haben Karriere gemacht. Gute Beispiele von Riewerts-Schülern aus der ganzen Republik hat die drehscheibe kontinuierlich vorgestellt, und heute noch erreichen Einsendungen den Deutschen Lokaljornalistenpreis, die auf die geistige Urheberschaft des Chefredakteurs aus Vechta verweisen. Riewerts war eine der prägenden Figuren im Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung.

„Das Leben ist eine Geschichte. Man muss sie gut erzählen können, um gelebt zu haben.“ Dem israelischen Autor Elazar Benyoetz verdanken wir diese Erkenntnis. Cornelius Riewerts war ein großartiger Erzähler, er hatte Bildung, er hatte Lebensart, er konnte Geschichten einen Sinn geben, auch seiner eigenen. Er hat also gelebt. In den Herzen und in den Köpfen der Menschen, die ihn erlebt haben, wird er weiterleben.

Dieter Golombek

Hingebung, Demut, Dienen (Noske-Interview 2)

Geschrieben am 15. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Organisation eines Klosters und einer Redaktion sowie Fehler und ihr Management: Das sind die Themen im zweiten Teil des Interviews, das Paul-Josef Raue mit Henning Noske  über dessen Buch „Journalismus“ führte.

Raue: Sie sind zum Schreiben des Buchs ins Kloster gegangen. Kann man nur ohne Handy und I-Pad noch konzentriert arbeiten?

Noske: Das Kloster war ein Fehlschlag, wie Sie ja lesen konnten. Ich habe nicht ansatzweise das Pensum geschafft, das ich mir vorgenommen hatte. Um mich herum hatte ich zwar keinerlei Medien, sogar das Massaker auf der Insel Utoya in Norwegen habe ich zunächst nicht mitbekommen. Ich erfuhr davon erst zwei Tage später um 6 Uhr früh in der Predigt. So muss es wohl früher gewesen sein.

Das Kloster und die gestrandeten Menschen dort – das war für mich alles viel zu spannend, um es für meine konzentrierte Arbeit an dem Buch, die ich mir eigentlich vorgenommen hatte, zu ignorieren. Ich bin am Mittagstisch sitzengeblieben, um mit den spannenden Leuten zu reden. Im Buch kann man nachlesen, warum das so wichtig ist. Ich habe es dann zuhause im Urlaub fertiggeschrieben, auf Kosten meiner Frau.

Raue: Sie nennen die Organisation eines Klosters ein zwei Jahrtausende altes Psycho-Programm. Wenn es sich so bewährt hat: Was können Redaktionen von den Mönchen lernen?

Noske: Konzentration auf das Wesentliche, Hingebung, Demut, Dienen. Natürlich kann man eine Redaktion nicht wie ein Kloster organisieren – und niemand hätte Verständnis dafür. Die Kunst ist es heute, die Hingabe an die eigene Profession mit dem Spaß und dem Erfolg zu verbinden. Insofern ist mir das Kloster schlicht zu weltabgewandt, in jeder Beziehung.

Die Redaktion ist im Idealfall ein Tummelplatz von gesprächigen Menschenfreunden, die aus sich herausgehen und nicht nach innen gekehrt sind. Mein Glaube ist, dass nichts gewiss ist. Das sehen die Mönche natürlich ein bisschen anders.

Raue: Was ist Ihr Lieblings-Kapitel im Buch? Ihr Lieblings-Zitat?

Noske: Das ist immer dort, wo ich mich mit Egon Erwin Kisch beschäftige. Und das ist gleich an etlichen Stellen der Fall, wenn es um Details und Erzählkunst geht. Das hat mir am meisten Spaß gemacht. Und mich aber leider auch wieder am meisten Zeit gekostet: Ich habe mich in meine Kisch-Gesamtausgabe aus dem Aufbau-Verlag, noch zu DDR-Zeiten mit Ostmark aus dem Zwangsumtausch erstanden, vergraben und immer wieder festgelesen. Dieser Mann schreibt uns auch heute noch alle an die Wand! Er hat so viel Spaß am Schreiben und Erzählen, er spielt mit Lust damit und mit seinem Leser, den er liebt, hofiert, umgarnt, fordert und fesselt – und man liest es! Ich hätte Lust, ein „Best of Kisch“ zu schreiben.

Und mein Lieblings-Zitat? Da beschäftige ich mich mit Wolf Schneider und seinem legendären Spruch: Qualität kommt von Qual. Ich sage dazu: Nein, verehrter Meister, hier irren Sie. „Qualität kommt von Spaß! Weil ich sage: Wer keinen Spaß hat, braucht sich auch nicht zu quälen. Er wird ohnehin niemals Erfolg haben.“ (Journalismus – Was man wissen und können muss, Seite 84).

Raue: Sie kommen aus dem Wissenschafts-Journalismus, haben dort viele Preise gewonnen und sind an der Braunschweiger Universität bekannter als der Präsident. Was haben Sie für den Journalismus von Wissenschaftlern gelernt, vor allem von Naturwissenschaftlern und anderen, die mit unserem Gewerbe nichts zu schaffen haben?

Noske: Natürlich bin ich dort nicht bekannter als der Präsident – und ich möchte es auch nicht sein. Aber von den Wissenschaftlern habe ich viel gelernt, übrigens gerade von den Naturwissenschaftlern. Sie forschen mit der Attitüde des selbstlosen Rechercheurs – ein Befund reicht ihnen nicht, ein zweiter meistens auch nicht. Sie sind übrigens auch dann zufrieden, wenn sie rauskriegen, dass sie nicht Recht haben. Das ist auch ein Treffer.

Hier sehe ich die Grenze: Journalisten recherchieren, um ihre Geschichte rund- und nicht totzumachen. Wir kommen schneller auf den Punkt, übersetzen, schlussfolgern, schätzen, kommentieren. Damit tun sich die Forscher schwer. Mein Programm ist es, Teams mit ihnen zu bilden. Sie erklären mir die Wissenschaft, beispielsweise, wie die Naturstoffe von Bakterien entschlüsselt und zu Medikamenten umgebaut werden. Und ich zeige ihnen den Weg zu unserem Leser, für den er bislang immer nur chinesisch geredet hat.

Raue: Journalisten geben ungern Fehler zu. Sie schreiben 25 Seiten über das „Fehlermanagement“, sogar drei Kapitel über „Rechtschreib-Hauptfehler“ und bemühen die Hirnforschung. Warum so viele Mühe um unsere Fehler?

Noske: Weil wir zwar ungern Fehler zugeben, aber zu viele machen. Der Fehler ist ein alltägliches Phänomen, nicht nur beim Zeitungmachen. Die Technik, die wir lernen müssen, ist es, bei Qualitätsarbeit im Fehlervermeidungsmodus zu arbeiten. Wir arbeiten jedoch allzu oft in einer Art Fehlermodus: Er suggeriert uns, da würde immer noch einer kommen, der den Fehler schon noch findet und ihn eliminiert. Bloß, dass diese Heinzelmännchen ausgestorben sind.

Was bleibt, sind allzu viele Fehler – und ein Leser, der unsere Zuverlässigkeit liebt und an unseren Fehlern verzweifelt. Es gibt noch einen anderen wichtigen Punkt in diesem Zusammenhang: Fehler zermürben uns, sie durchlöchern unser Selbstbewusstsein. Fehler machen fertig, sind Sargsprossen zum Burnout. Das Verbergen von Fehlern und Defiziten, nicht das Korrigieren, frisst unglaublich Zeit und Energie, lähmt. Bei all dem sage ich: Mit offenem Visier gegen unsere Fehler, auch gemeinsam mit dem Leser, der gerade unsere Ehrlichkeit immer besonders schätzt und gern liest. Der Forscher würde sagen: Jeder Fehler bringt mich weiter.

Raue:  Bleiben wir bei den Fehlern. Das Foto auf dem Buchumschlag zeigt Ihre Zeitung mit einer Schlagzeile, die ein Fall fürs Fehlermanagement wäre: „Hebel aus der Krise“ ist ein schiefes Bild, eher geeignet für den „Hohlspiegel“, den Sie in Ihrer Literaturliste empfehlen. Ist das Titelbild ein Wink in die Redaktion, gefälligst Ihr Buch zu lesen?

Noske: Nein, ich habe das Bild in der Bahnhofsbuchhandlung selbst geschossen – aber auf die Schlagzeile dieses Tages nicht geachtet. Darauf machen Sie mich erst aufmerksam. Ich bewundere Ihren Instinkt, mit dem Sie bei den abgebildeten 45 nationalen und internationalen Blättern im Miniformat untrüglich die Schlagzeile Ihrer Lieblingszeitung entziffern können und sich offenbar immer noch auf eine kleine Rauferei in der Konferenz freuen.

Ich nehme mal die Lupe und lese die ganze Schlagzeile: „Merkel und Sarkozy suchen den Hebel aus der Krise.“ Der Hebel ist im Zusammenhang mit den Euro-Rettungsfonds ist ein blindes Bild, das keiner bislang so richtig begriffen hat. Wir werden die Schlagzeile aber vermutlich nicht im Hohlspiegel finden. Trotzdem sollten alle gefälligst mein Buch lesen. Das hebelt richtig.

*

Der dritte und abschließende Teil des Interviews folgt. Teil 1 – Teil 3.

Eine ausführliche Besprechung des Noske-Buchs hat Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, geschrieben: „Wie man guten Journalismus macht“ (BZ, 22. Dezember 2012)

Das Buch: Henning Noske, Journalismus – Was man wissen und können muss. Ein Lese- und Lernbuch. Klartext-Verlag, Essen, 234 Seiten, 17.95 Euro

Noske-Interview „Journalismus – Was man wissen muss“

Geschrieben am 14. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Paul-Josef Raue sprach mit Henning Noske über ein „Lehr- und Lernbuch“, das er gerade  herausgegeben hat: „Journalismus. Was man wissen und können muss“ (Klartext Verlag, Essen, 234 Seiten, 17.95 Euro).  Noske, Jahrgang 1959,  ist Lokalchef Braunschweig der „Braunschweiger Zeitung“ und Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Braunschweig.

Raue: Es gibt zwei große Bücher über den Journalismus in unserer Zeit, die sich auch in Ihrer Handbibliothek finden: Den La-Roche und, ohne Bescheidenheit, „Das neue Handbuch des Journalismus“. Was treibt den Redakteur einer Regionalzeitung an, noch ein Journalismus-Buch zu schreiben – statt an einer Serie, die den nächsten Preis holt?

Noske: Ich würde noch „Die Reportage“ von Michael Haller hinzufügen. Mein Buch setzt setzt aber ganz anders an als diese „Klassiker“. Und zwar bei vielen Fragen, die nicht nur ganz am Anfang stehen, sondern noch vor dem Anfang:
– Welche Haltung müssen Journalisten haben?
– Wie engagiert müssen sie sein?
– Welche Tugenden braucht man denn eigentlich, um Themen zu finden, gründlich zu recherchieren – und möglichst wenige Fehler zu machen?
– Warum will ich das eigentlich machen?

Entstanden ist mein Projekt aus Seminaren mit unzähligen Studenten, bei dem ich mich selbst immer gefragt habe: Warum ist Journalist bloß ein Traumberuf für die? Umgekehrt kam nach meinem aufrüttelnden Tugend- und-Themen-Tremolo oft die Frage auf: Kann man das so eindrucksvoll nicht mal nachlesen?

Raue: Sie arbeiten bei einer großen Zeitung, die das Lokale schätzt. Nicht wenige sagen: Der arbeitet in der Provinz – und lächeln leicht. Kränkt Sie das?

Noske:  So wenig wie Sie. Daraus erwächst gerade mein Selbstbewusstsein. Es ist – mit Verlaub – nicht der leichteste Job, den wir in der „Provinz“ tun. Aber im Journalismus der wichtigste. Schon der Begriff Provinz ist seit jeher blödsinnig, denn er qualifiziert die normalen Leute ab. Es ist ein Begriff, mit dem schon immer das Entrücktsein einer Kaste von Eingebildeten verknüpft war. Hoffentlich sind nicht so viele Journalisten dabei. Denn sie sollen direkt neben den Leuten sitzen und das echte Leben aufspüren. Davon handelt mein Buch.

Raue: Was haben Sie in Ihr Buch genommen, was in den anderen Büchern fehlt?

Noske: Die Kapitel über das Schreiben und die Präsentation sind zentral und dann eben sehr praxisorientiert.

Wie anfangen? Mit konkreten Beispielen. Dranbleiben, Übergänge, Tricks für einen eigenen Stil. Mit konkreten Beispielen. Wie versetzt man sich in den Leser hinein? Wie packt man ihn. Zum Beispiel mit einer ganz einfachen Dreifingerregel: Reizen – Informieren – Unterhalten.

Wie bastelt man wirklich eine gute Überschrift? Hier findet man mal einen richtigen Baukasten.

Und was heißt eigentlich „Augenhöhe“ wirklich, von der immer die Rede ist? Da war mal eine kleine Psychologie unseres Lesers fällig.

Und ein eigenes großes Kapitel nur über Fehler und Fehler-Vermeidung? Dazu gehört das Eingeständnis, dass wir täglich regelmäßig Fehler produzieren. Ich zeige: So kriegen wir sie weg.

Raue: Legen Sie Ihre mal Ihre Bescheidenheit beiseite: Warum sollen junge Leute Ihr Buch lesen?

Noske: Wenn es um den Berufswunsch geht, hören wir doch immer wieder: Irgendwas mit Journalismus! Unser Beruf hat immer noch eine magische Anziehungskraft. Und das ist auch gut so. Doch in der Praxis sehen wir ja doch oft auch, wie sehr Vorstellung, Anspruch und Wirklichkeit immer mehr auseinanderklaffen. Dazu gehören ja immer zwei. Da ist die Zeitung beziehungsweise der Verlag, der einen Rund-um-die-Uhr-Job mit viel Stress, Routine und ungesunder Lebensweise zu bieten hat. Und da sind junge Leute, die eben zunehmend auch manches an Einstellung und Qualitäten mitbringen müssen.

Wer rauskriegen will, ob das also wirklich etwas für ihn ist, der sollte mein Buch lesen. In aller Bescheidenheit: Das konnte man bislang noch nirgendwo so gut lesen.

Raue: Sie haben seit Jahren einen Lehrauftrag an der Braunschweiger Universität. Sie entdecken immer wieder Talente, fördern sie. Welche Erfahrungen mit den Studenten sind in Ihr Buch geflossen?

Noske: Das knüpft an das eben Gesagte an. Mir geht es darum, die Leute auch wirklich zu finden, die wir meinen und die wir brauchen. Es gibt sie nicht wie Sand am Meer. Am Ende sind es tatsächlich Talente, die wir entdecken müssen. Wie sie dazu geworden sind, wissen wir nicht wirklich. Sie lesen viel, schreiben tatsächlich zum Spaß, pflegen vielfältige Kontakte, haben was zu sagen, eigene Hobbys, Projekte, eine eigene Haltung.

Ich habe immer gedacht: Das kann ich doch keinem jungen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren mehr beibringen. Ich habe mich geirrt. Ein schöner kleiner Werkzeugkasten mit dem nötigen Handwerkszeug und den richtigen Tipps kann zumindest manchmal Wunder wirken. Die Studenten haben sich im Zuge von Bachelor und Master stark verändert: Sie wollen an die Hand genommen werden, warten ab, was ihnen geboten wird. Das nervt, aber es lehrt auch, die Flinte nicht zu früh ins Korn zu werfen.

Raue: Und warum sollten Ihre Kollegen und andere Journalisten Ihr Buch lesen?

Noske: Weil wir uns immer an den Zauber des Anfangs erinnern müssen! Weil wir uns vergewissern müssen, wie weit wir uns möglicherweise von unserem Ideal entfernt haben. Eine Kollegin in der Redaktion hat mir nach der Lektüre meines Buches gesagt: Schön und gut, ich habe es gern gelesen – aber ich komme nicht dazu, so zu arbeiten. Dieser Satz ist wahr, er ist ehrlich. Und er ist Sprengstoff für Redaktionen.

Warum schaffen wir es oft nicht, unsere Träume vom Journalismus im täglichen Redaktionsalltag zu verwirklichen. Und warum tun wir es nicht endlich, verdammt nochmal? Darum habe ich das Buch auch für meine Kollegen geschrieben. Es können nicht nur Anfänger lesen, sondern auch gestandene Redakteure. Mit einer Bedingung: Ich bin scharf auf ihre Reaktionen. Ich will die Diskussion.

Der zweite und dritte Teil des Interviews folgt: Teil 2 – Teil 3

Örtliche Aufheiterungen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Zum zweiten Mal begraben wir die wirklichen Unwörter, also unbrauchbare, missglückte, abgenutzte und aufgeblähte, die wir dennoch immer wieder hören und lesen:

Abgesehen davon, dass

„Abgesehen davon, dass Griechenland, Irland und Spanien inzwischen bis an die Schmerzgrenze sparen: Die Märkte testen die Widerstandsfähigkeit der Europäer mit brutaler Konsequenz.“

Eine junge Chinesin, des Deutschen kundig, versteht diesen Satz nicht, den sie in einer Zeitung gelesen hat. Dabei ist der Satz leicht zu verstehen, wenn sich der Autor ein wenig Mühe gegeben hätte: Er streicht das „Abgesehen davon, dass“ und formuliert einfach zwei Hauptsätze und setzt zwischen ihnen einen Punkt oder, noch besser, ein Semikolon.
„Abgesehen davon, dass“ ist stets entweder eine Anmaßung („Von örtlichen Aufheiterungen abgesehen…“, sagt der Wetterbericht. Woher weiß er aber, dass ich gerade vom einzig Erfreulichen am Wetter abzusehen wünsche?) – oder eine Antinachricht: Alles, wovon der Leser absehen soll, sollte man schlüssigerweise weglassen.

Bereich

„Feuerwehr: Brandherd wohl im Bereich der Kinderzimmer“, lesen wir in der Zeitung nach dem Feuer in einem Aachener Haus, bei dem im Januar drei Kinder starben. Sprechen wir so? Nein, wir rufen zu: Der Brand ist in den Kinderzimmern ausgebrochen! Der „Bereich“ ist überflüssig, wird oft gebraucht, ist aber stets nutzlos.
„Der Wagen verunglückte im Kurvenbereich?“ Nein, in einer Kurve.

„Im innerschulischen Bereich nimmt die Gewalt zu.“ Nein, in der Schule nimmt die Gewalt zu. „Bereich“ ist ein Blähwort: Acht Silben für den abstrakten „innerschulischen Bereich“, vier für das bildhafte „in der Schule“. (Thüringer Allgemeine, 13. Februar 2012, Kolumne „Friedhof der Wörter“)

(zu: Handbuch Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)

Journalisten-Handbuch.de ist ein Marktplatz für journalistische Profis. Wir debattieren über "Das neue Handbuch des Journalismus", kritisieren, korrigieren und ergänzen die einzelnen Kapitel, Thesen und Regeln, regen Neues an, bringen gute und schlechte Beispiele und berichten aus der Praxis.

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