Das Scharia-Internet

Geschrieben am 10. April 2012 von Paul-Josef Raue.
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Google spioniert Euer Privatleben aus! Boykottiert Google!

Mit solchen Warnungen begründen die Mächtigen im Iran die staatliche Blockade von weiten Teilen des Internets wie Facebook oder Twitter und kündigen an, ein Scharia-Internet aufzubauen. (SZ, 4. April 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 5: „Die Internet-Revolution“ / Das Internet wirbelt die Mächtigen durcheinander, Seite 25)

Das politische Gedicht: Leberkäs Hawaii

Geschrieben am 9. April 2012 von Paul-Josef Raue.
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Günter Grass hat das politische Gedicht aufgeweckt, sogar die FAZ-Redakteure dichten jetzt, sogar auf ihrer Politik-Seite 2, sogar Satire ist erlaubt – links oben in der Rubrik „Fraktur“.

„dass ein gericht / zum beispiel leberkäs hawaii / wenn es besonders gut gelungen ist / auch ein gedicht / genannt werden kann / sagt schon viel aus / über die unklarheit / und die unwahrheit / des gedichtbegriffs“

Das FAZ-Gedicht, dreiteilig und 63 Zeilen lang, trägt keine Autorenzeile, nur bescheiden ein Kürzel am Ende (tifr.). Der Redakteur zitiert darin den chilenischen Filmregisseur Raul Ernesto Ruiz Pino mit dem schönen Satz, es sei Aufgabe des Dichters, in einen dunklen Raum zu gehen und dort einen Wasserfall zu bauen.

Jetzt gehen sogar die Redakteure in einen dunklen Raum. Wie gut, dass die FAZ-Redakteure noch in keinem Großraum arbeiten, sondern in ihren Mönchszellen, die sie bei Bedarf verdunkeln können:

„wäre vielleicht der leberkäs hawaii / auch ein richtiges gedicht, / wenn man ihn nicht nur / erbrechen, sondern auch / umbrechen könnte?“

(zu:Handbuch-Kapitel 38 „Die Satire“)

Ein Lob der Provinz: „Die Erde ist keine Heimat“

Geschrieben am 9. April 2012 von Paul-Josef Raue.
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Die FAZ rehabilitiert  die Provinz: „Nicht nur in der Literatur spielt die Heimat wieder eine Rolle“, kündigt die Redaktion auf der Titelseite der Osterausgabe einen Beitrag im Feuilleton an (das sich sonst so gerne über den Provinz-Journalismus amüsiert). Sandra Kegel nennt auch den Grund, warum „Heimat“ so urdeutsch klingt:

„Mehr als fünfhundert souveräne Königreiche zerteilten einst den deutschen Sprachraum in Provinzen ohne eine Hauptstadt im Zentrum. Heimat bedeutete also schon immer eher eine Provinz.“

Vielleicht entdeckt bald das Feuilleton auch den Lokaljournalismus, der sich bei den meisten Regionalzeitungen längst nicht mehr als Weichzeichner einer Idylle versteht. Die Redaktionen haben erkannt, was Sandra Kegel in der neuen Literatur entdeckt:

„Das Verlangen nach scharf umrissenen Grenzen, präziser Ortskenntnis und Beherrschung des Dialekts scheint umso heftiger zu sein, je mehr uns die Globalisierung den Boden unter den Füßen wegzureißen droht.“

„Die Erde ist keine Heimat“, so endet der Artikel mit einem Satz von Josef Bierbichler.

(Zu: Handbuch-Kapitel 55„Der neue Lokaljournalismus“)

Online-Zeitung an die Börse

Geschrieben am 8. April 2012 von Paul-Josef Raue.

Wie können Zeitungen online Geld verdienen? Ein Blick nach China könnte lohnen: Die kommunistische Parteizeitung, die Volkszeitung, geht an die Börse mit der Online-Ausgabe, gibt fast 70 Millionen Aktien aus und will 63 Millionen Euro einnehmen (AFP, Süddeutsche vom 7. April 2012).

Auch die staatliche Nachrichtenagentur und das Staatsfernsehen wollen an die Börse gehen. Der Staat behält in jedem Fall die Mehrheit.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 5: Die Internet-Revolution)

Grass und das „Wörterbuch des Unmenschen“

Geschrieben am 7. April 2012 von Paul-Josef Raue.

Günter Grass ist nicht der erste, der den von den Nationalsozialisten geprägten Begriff der „Gleichschaltung“ nutzt, wenn er von der Presse in einem demokratischen Staat spricht. Vor fünf Jahren sprach Eva Herman schon von der „gleichgeschalteten Presse“. Stefan Niggemeier kommentierte nach Hermanns Auftritt und Rauswurf bei „Kerner“ in seinem Blog:

„Das eigentlich Erschreckende ist, wie dumm jemand sein kann, wie ahnungslos, wie dilettantisch und laienhaft in einer Medienwelt, in der sie sich seit vielen Jahren professionell bewegt.“

Dumm ist Grass sicher nicht, aber auch er hat sich in seiner Opferrolle eingekuschelt (wie es Niggemeier 2007 über Eva Hermann geschrieben hatte).

Nobelpreisträger für  Literatur haben bisweilen groben politischen Unsinn verbreitet, mit der Sprache sollten sie schon schonend umgehen können. Wenn Grass von „Gleichschaltung“ spricht, nutzt er einen Begriff der Nationalsozialisten; Gleichschaltung der Presse war das Diktat des Führers und des Propaganda-Ministers, damit alle derselben Ideologie folgen bis in die Wahl der Wörter hinein.

In einem Interview mit Heribert Prantl, heute in der “ Süddeutschen“ veröffentlicht (7. April 2012), sagt Grass:

„Ich rede nicht von der Gleichschaltung wie in einem totalitären Staat. Wenn in einer Demokratie der Eindruck von Gleichschaltung entsteht, ist das ja noch schlimmer.“

 Dolf Sternberger schrieb mit anderen nach dem Krieg das „Wörterbuch des Unmenschen“,  in das er die Phrasen der Unmenschlichkeit notierte. Auch wenn „Gleichschaltung“ nicht in Sternbergers Sammlung steht, so gehört das Wort zu denen, die typisch sind für die Ideologie der Nazis.

Was treibt den Nobelpreisträger an, die freie Presse in unserem demokratischen Staat mit der Presse im Nationalsozialismus nicht nur gleichzustellen, sondern als „noch schlimmer“ zu verhöhnen?

„Der Verderb der Sprache ist der Verderb der Menschen.“ (Aus dem Wörterbuch des Unmenschen)

Lynchjustiz in Emden und die journalistische Ethik

Geschrieben am 2. April 2012 von Paul-Josef Raue.

Die  regelrecht von der Polizei inszenierte Verhaftung eines 17-jährigen, der die 11-jährige Lena in Emden mißhandelt und ermordet haben soll, wirft reichlich Fragen zur journalistischen Ethik  auf:

1. Wie gehen Zeitungen mit Facebook um, wenn dort zu Lynchjustiz aufgefordert und zu einem Aufruhr vor der Polizeistation aufgerufen wird (dem 50 blutrünstige junge Leute folgen)?

2. Wie ernst nehmen wir es mit der Unschuldsvermutung?

3. Wie halten wir es mit der Namensnennung, so dass ein Verdächtigter leicht zu identifizieren ist und seine Wohnung zum Pilgerort für Menschen wird, die Folter und Todesstrafe fordern?

4. Ist das Internet auch eine große Verführung für uns, zwar schnell zu reagieren, aber auch unüberlegt und  vorschnell (mit schlimmen Folgen)?

5. Wie vertrauenswürdig ist die Polizei? Dürfen wir in einem solch spektakulären Mordfall ungeprüft alles übernehmen und jede kritische Distanz fahren lassen?

(zu: Handbuch-Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“)

Abstiegsgespenst – das Porträt des Tages

Geschrieben am 30. März 2012 von Paul-Josef Raue.
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Das Hamburger Abendblatt hat eine der attraktivsten Titelseiten-Kolumnen:  „Menschlich gesehen“, das tägliche Porträt links unten – mit  Kopf-Zeichnung statt Foto. Heute steht dort ein  unheimliches Wesen: das „Abstiegsgespenst“.  Hamburg und seine Zeitung leiden mit dem HSV – das ist echte Leser-Blatt-Bindung direkt überm Barcode.

Der Text allerdings ist mäßig. Flapsig-schreiben ist eben eine hohe Kunst.

„Die Arroganz der Macher“ – Zitat der Woche

Geschrieben am 28. März 2012 von Paul-Josef Raue.
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„Die Arroganz der Macher ist keine Antwort auf die Unvollkommenheit des Publikums.“


(Die Regisseurin Professor Regina Ziegler auf der Chefredakteurs-Konferenz der Zeitungsverleger in Berlin; sie wetterte vehement gegen die Verachtung des Publikums, die Journalisten wie Filmemacher ebenso meiden sollten wie Peinlichkeiten, Pöbeleien und Voyeurismus)

(zu: Handbuch-Kapitel 53 „Was die Leser wollen“)

Wir brauchen eine neue Journalisten-Ausbildung!

Geschrieben am 27. März 2012 von Paul-Josef Raue.

„Die gängige Rekrutierungs-Praxis ist Geldvernichtung!“, sagte Jens Schröter, Leiter der Burda-Journalistenschule, als sich im vergangenen Jahr Journalisten-Ausbilder mit Wissenschaftlern in der Leipziger „School of Media“ trafen. Was hat sich in den Regionalzeitungs-Verlagen getan?  Am Freitag (30. März 2012) diskutieren beim „Forum Lokaljournalisten“ in Bremerhaven vier Journalisten über neue Formen der Ausbildung, moderiert von Sylvia Egli von Matt, der Direktorin der Schweizer Journalistenschule – zu verfolgen ab 9 Uhr morgens als Livestream bei www.drehscheibe.org

Warum bringt die gängige Rekrutierung unserer Volontäre wenig für die Zukunft der Redaktionen?
Die Volontäre werden meist durch die Ausbildung unterfordert. Sie waren freie Mitarbeiter, kennen den Alltag der Redaktionen; so bringt es wenig, sie im Volontariat dieselben Routinen noch einmal durchlaufen zu lassen.

Was sollte im Volontariat der Zukunft geschehen?
1. Die Volontäre sollen systematisch und fundiert die journalistischen Grundlagen so lernen, dass sie diese am Ende der Ausbildung im Schlaf beherrschen.

2. Die Ausbilder erkennen, entwickeln und fördern schon in der Ausbildung die individuellen Stärken (wie Führung, Lust am Management, Organisations-Talent, Online-Stärken, Recherche-Hartnäckigkeit, Leser-Marketing usw.) – um so auch die Führungskräfte für die Redaktion der Zukunft zu erkennen.

3. Der Nachwuchs arbeitet überwiegend in Projekten, aber immer wieder auch in den Lokalredaktionen, um den Respekt vor den Lesern nicht zu verlieren und keinen Dünkel zu entwickeln. Solche Projekte könnten sein: Entwicklungs-Redaktion für eine Zweit- oder Kompakt- oder Online-Zeitung oder ein Magazin; eine große Serie; Muster-Berichterstattung etwa für Haushaltsplan, Wahlen usw.; eine tiefe Recherche; eine Marketing-Kampagne; Online-Entwicklungen jeder Art; Datenjournalismus u.ä.

4. Volontäre werden eingeführt in unternehmerisches Denken und vertraut mit der Vermarktung von journalistischen Produkten; sie lernen, dabei unbedingt den Marken-Kern der Zeitung – Qualität und Glaubwürdigkeit – zu bewahren. Beim „Forum Lokaljournalismus“ 2011 formulierte Bart Brouwers, Online-Chef der niederländischen Zeitung „Telegraaf“ die These:

„Wir Journalisten müssen auch geschäftlich denken. Es gibt nicht mehr das eine große Geschäftsmodell wie bei der Tageszeitung. Ein Mix aus vielen Geschäftsmodellen muss den Umsatz bringen.“ (Handbuch: Seite 39)

Beim Symposium in Leipzig sagte es Wolfgang Blau, Online-Chef der „Zeit“, ähnlich: Wir brauchen Journalisten mit unternehmerischer Ader! Dünkelhaft ist die alte Denkart: Wir haben nichts mit Umsätzen zu tun!

Wie ist die neue Ausbildung geordnet?
Am Beginn jeder Phase steht ein drei- bis fünftägiges Camp, zum Beispiel ein „Boot-Camp“, von dem Jens Schröter in Leipzig berichtete – auch auf die Frage eingehend, wie Personalentwicklung messbar sein könnte. In einer Woche dringen die Volontäre tief in die Online-Welt tief ein (Facebook, Twitter, Blog, Online-Technik, Community-Management u.ä.). Nach einem Jahr gibt’s eine Inventur: Welche Erfolge können sie verzeichnen? Wie viele Follower? Vielleicht ein eigener Blog? Ihre Fortschritte, Erkenntnisse und Fragen tragen die Volontäre in ein Wiki ein, das für jeden Burda-Mitarbeiter einzusehen ist.

Ich könnte mir noch folgende Camps vorstellen: Recherche-Camp; Datenjournalismus; Sprach-Camp, Management-Camp; Leser- und Markenforschung usw.

Wir sollten uns bei der neuen Volontärs-Ausbildung von Online-Entwicklern leiten lassen, die nicht lange Konzepte schreiben: Einfach beginnen, einfach experimentieren – dem Grundsatz folgend: Wir erlauben uns Fehler; aber wir verbieten, daraus nicht zu lernen.

(zu: Handbuch-Kapitel 58 „Die Ausbildung zum Redakteur“)

Aktualisiert: Die Diskussion moderierte Barbara Stöckli (MAZ) für die erkrankte Egli von Matt

Wo ist die Mitte Deutschlands? – Friedhof der Wörter

Geschrieben am 26. März 2012 von Paul-Josef Raue.
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Wenn es um das Territorium der ehemaligen DDR geht, liest man „Mitteldeutschland“ als auch „Ostdeutschland“; so schreibt ein Leser, der Sophienhofer Bürgermeister Wolfgang Jörgens. Er fragt: „Warum diese unterschiedliche Bezeichnung?“

Ein Blick auf die europäische Landkarte zeigt: Ostdeutschland ist der korrekte Begriff; östlich von Ostdeutschland gibt es kein Gebiet, das zur Bundesrepublik Deutschland zählt. „Mitteldeutschland“ unterstellt, dass es immer noch deutsche Gebiete östlich von Oder und Neiße gibt. Die Ostgebiete wie Schlesien oder Ostpreußen gehörten zwar vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu Deutschland, aber seit der Wiedervereinigung gehören sie endgültig und völkerrechtlich bindend zu Polen oder Russland.

In den Jahrzehnten nach dem Krieg akzeptierten nahezu alle Parteien im Westen weder die Spaltung Deutschlands noch den Verlust der Ostgebiete. Erst der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ schrieb die Oder-Neiße-Grenze als deutsche Ostgrenze fest. Die Einheit Deutschlands ist vollendet, so ist es seit September 1990 unserem Grundgesetz zu entnehmen.

Wer also von „Mitteldeutschland“ spricht, kämpft noch einen Kampf, der seit zwei Jahrzehnten beendet ist. Das Wort sollten wir friedlich begraben – auch wenn viele Vertriebene der Verlust der alten Heimat immer noch schmerzt.

Journalisten-Handbuch.de ist ein Marktplatz für journalistische Profis. Wir debattieren über "Das neue Handbuch des Journalismus", kritisieren, korrigieren und ergänzen die einzelnen Kapitel, Thesen und Regeln, regen Neues an, bringen gute und schlechte Beispiele und berichten aus der Praxis.

Kritik und Anregungen bitte an: mail@journalisten-handbuch.de

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