Das journalistische Wissen (uptodate.de)

Geschrieben am 12. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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Ärzte haben ein großartiges Instrument im Internet: www.uptodate.com

Hier bekommen Ärzte (gegen Bezahlung ) die neuesten Erkenntnisse aus der Wissenschaft und der Praxis, geordnet nach Fachgebieten. Das brauchen wir auch für den Journalismus; heute gibt es zwar eine Fülle an Blogs, Newslettern, Mediendienste usw., aber nichts professionell gesammelt, zusammengefasst und geordnet. Oder?

 

 

Lesetipp: Lob der Erfahrung von Harro Albrecht in der „Zeit“ vom 3.  Mai 2012

„Journalismus ist Wahrheit zum Zeitpunkt des Andrucks“

Geschrieben am 10. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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Zeitung und Kunst ist das Thema einer sehenswerten Ausstellung im Berliner Gropius-Museum nahe des Checkpoint-Charly, die bis zum 24. Juni zu besichtigen ist. Ein Bummel durch die Ausstellung soll zu einem Besuch verführen:

Das Martin-Gropius-Museum liegt mitten in Berlin, ist Nachbar des Schreckens, der sich auf einigen hundert Metern versammelt hatte: Die Nazis folterten in den Zentralen von Gestapo und SS; heute ist hier die „Topographie des Terrors“ zu finden, eine Ausstellung, die zeigt, wie man ein Volk gewaltsam unterdrücken kann. Entlang des Museums verlief die Mauer, auch ein Instrument des Schreckens, das nur noch an wenigen Stellen zu sehen ist wie am nahen Checkpoint-Charly, wo sich Touristen mit Schauspielern in US-Uniformen fotografieren lassen.

Inmitten des Schreckens steht der Renaissance-Bau, vor gut 130 Jahren gebaut, eine friedliche Insel, der Kunst gewidmet. Wer in diesen Tagen das Museum besucht und in den großen Lichthof tritt, sieht eine große Druckmaschine, auf der mit Blei-Lettern noch zu Wendezeiten die Parteizeitungen gedruckt wurden. Aus der Maschine wachsen Sonnenblumen, drumherum geht der Besucher auf Buchstaben aus Blei, die wie Samen dahingeworfen wurden, und durch Bleirollen, die an Filmrollen erinnern, mit denen vor Erfindung des Digitalen die laufenden Bilder auf die Leinwand geworfen wurden.

Wer nicht weiß, welche Schau ihn erwartet, ahnt es bei diesem Anblick: Es geht um die Medien, noch genauer: um die Zeitung, um „Art and Press“, wie die Ausstellung genannt wird, um Kunst und Presse, um „Kunst – Wahrheit – Wirklichkeit“. Die Installation mit der Druckmaschine und den Sonnenblumen hat Anselm Kiefer eigens für die Ausstellung geschaffen und „Die Buchstaben“ genannt. Der Schüler von Joseph Beuys, 1945 geboren, hat ein für ihn ungewöhnlich friedliches Werk geschaffen: Blumen blühen aus Druckmaschinen. So friedlich bleibt es nicht in der Ausstellung.

Der chinesische Künstler Ai Weiwei, in seiner Heimat kujoniert, zeigt eigenartig geformte Eisenstangen. Was haben sie mit der Zeitung zu tun?

Die Antwort ist verblüffend einfach: Über die Eisenstangen wurde nie in chinesischen Zeitungen berichtet. Sie sind Zeichen des Schweigens in einer Diktatur.

Die Eisenstäbe stammen aus einer Schule in Beichuan, in deren Trümmern bei einem Erdbeben 2008 tausend Schüler und Lehrer sterben mussten. Der Einsturz der Schule war Folge von verpfuschten Bauarbeiten, bei denen sich keiner an die Auflagen gehalten hatte.

In westlichen Zeitungen wäre darüber ausführlich geschrieben, wäre die Frage nach der Verantwortung gestellt worden, die Korruption beim Namen genannt. Was die chinesischen Zeitungen nicht schrieben und nicht schreiben durften, macht der Künstler zum Thema – und gibt den Toten, die dem Vergessen zugedacht waren, ihre Würde zurück.

Eine Diktatur erfahren und erlitten hat auch Farhard Moshiri, 1963 im persischen Shiraz geboren; heute lebt er in Teheran und Paris. Er scheint in der Ausstellung mit der Zensur zu spielen: Ein Kiosk ist zu sehen, ein „Kiosk der Kuriositäten“, in dem 500 Zeitschriften ausgestellt sind, aber nicht aus Papier, nicht gedruckt, sondern 500 mit der Hand geknüpfte Teppiche, auf denen das Titelbild von persischen Magazinen zu sehen ist, deren Buchstaben und Sinn uns rätselhaft bleiben; meist sind aber westliche Magazine zu sehen, von „Gala“ mit Cameron Diaz oder der französischen „Elle“ oder einer Zeitschrift, die festliche Haarschnitte zeigt, oder der politischen „Newsweek“ mit einem Flugzeug, das am 11. September in einen der Zwillingstürme rast.

„Sarkastischer kann man die Mechanismen der Globalisierung nicht formulieren“, schreibt Walter Smerling, der künstlerische Leiter, im Katalog. „Moshiri präsentiert uns ein Alltagsbild seiner Heimat, in der Konsum- und Wunschvorstellungen geweckt werden, deren Verwirklichung aber aufgrund der politischen, religiösen und rechtlichen Verhältnisse undenkbar, in bestimmten Fällen sogar strafbar ist.“

Was ist die Wahrheit? In einer Diktatur ist die Frage einfach zu beantworten: auf jeden Fall nicht das, was in der Zeitung steht. Aber in einer Demokratie ist, im Umkehrschluss, nicht einfach alles wahr, was in der Zeitung steht.

So wird die Wahrheit zum zentralen Thema der Ausstellung. Kai Diekmann, Chefredakteur der Bildzeitung, sagt in einem Gespräch über die Wahrheit des Journalismus:

„Wir können nur Ausschnitte der Wirklichkeit zeigen. Und wir sind auch immer nur so klug, wie der Tag es zulässt. Journalismus kommt von ,Jour‘, und auf dieses Rad ist man geflochten. Selbst die gründlichste Recherche kann nicht immer verhindern, dass später neue Informationen auftauchen, die eine Geschichte in ein völlig anderes Licht tauchen. Journalismus zeigt immer nur die Wahrheit zum Zeitpunkt des Andrucks.“

Kai Diekmann und die Bildzeitung haben „Art and Press“ gefördert und im Blatt über Wochen, meist über eine halbe Seite hinweg, die Bilder der Ausstellung nebst einem Experten-Artikel gezeigt. Denn – „Die Kernkompetenz von ,Bild‘ ist es, Geschichten in Bildern zu erzählen“, sagt Kai Diekmann, „Künstler tun das Gleiche. Sie wissen um die Kraft der Bilder.“

Ein anderer Förderer der Ausstellung ist Jürgen Großmann, der schwergewichtige Chef des Energie-Konzerns RWE. Für ihn kreist die Frage nach der Wahrheit der Presse um die Kontrolle der Medien: „Weil Künstler unabhängig sind, können sie die Medien eher kritisieren und infrage stellen. Sie sind ein intelligentes Korrektiv zur Macht der Medien. Von ihnen können wir lernen, wie man sich gegen zu große Einflussnahme der Presse zur Wehr setzt.“

Bummeln wir durch die Ausstellung, in der 56 Künstler ihre Werke zeigen, die alle in den vergangenen fünfzig Jahren entstanden sind oder eigens für „Art and Press“ erstellt wurden:

Aufregend ist eine 38-teilige Serie des vor zwei Jahren gestorbenen Sigmar Polke: „Original + Fälschung“. Nicht nur in der Kunst gibt es Fälscher, sondern auch in den Medien. Bilder werden hier wie dort manipuliert, Tatsachen verdreht oder der Blick wird in die Irre geleitet.

Zu betrachten sind nicht nur 24 Bilder von Polke, sondern auch 14 „Kommentarbilder“, auf denen er die Zeitungsausschnitte zeigt, die ihm die Anregung gegeben haben. So entsteht, wie Walter Smerling sagt, „eine Beziehung zwischen künstlerischer Produktion und der Arbeit des Künstlers. Die Lügen der Bilder werden durch die vom Künstler gewählte Kombination von Zeitungsmeldung und Kunstwerk zum eigentlichen Thema.“

In eine Art Mediengefängnis, das sie „Denkräume“ nennt, führt die Amerikanerin Barbara Kruger. Auf dem Fußboden geht der Besucher über eine Collage mit Meldungen aus Lokalzeitungen, die Immigration in Deutschland thematisieren: „Familien von Amts wegen zerrissen“ oder „Fatale Migrationspolitik“. In fetten Buchstaben, in tiefes Grün getaucht, sind einzelne Wörter herausgehoben: Rache, Willkommen oder Hass. Auf den vier Wänden stehen in schnörkelloser Schrift plakative Aussagen wie „NICHTS GLAUBEN“ und „Hütet euch, in die Pose des abgeklärten Zuschauers zu verfallen, denn das Leben ist kein Schauspiel, ein Meer von Leid ist keine Bühne, ein Mensch, der schreit, ist kein tanzender Bär.“

Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit. Der Künstler macht sie wieder lebendig – wie der in Düsseldorf lehrende Markus Lüpert, der das brennende „Dubrovnik“ während des Balkankriegs zeigt: Die schöne mittelalterliche Stadt am Mittelmeer, zum Weltkulturerbe erkoren, ist zu sehen und mittendrin eine gefaltete „Süddeutsche“, die wie ein Schiff in die Stadt sinkt, zu lesen die Schlagzeile „Dubrovnik in Flammen“.

Unübersehbar und unübersehbar politisch und provozierend sind die bunt flackernden LED-Schriftbänder der Amerikanerin Jenny Holzer. Zu lesen sind Protokolle von Verhören, die amerikanische Militärs mit Verdächtigen führten im sogenannten Anti-Terror-Krieg. Da wurde manipuliert und gefoltert – als wäre es das Demokratischste von der Welt. Die Laufbänder sind attraktiv – und geraten so in Widerspruch zu ihrer kritischen Botschaft, schreibt Peter Iden im Katalog. „Es ist aber auch gerade dieser Gegensatz, der die Künstlerin beschäftigt und den die Arbeiten thematisieren.“

Mit dem 1926 in Nürnberg geborenen und heute in London lebenden Gustav Metzger beenden wir den kleinen Rundgang durch eine überaus sehenswerte Ausstellung: Metzgers Installation nimmt einen großen rechteckigen Raum ein. In der Mitte ist eine Glaskabine aufgestellt, wie s im Prozess gegen Adolf Eichmann im Jerusalemer Gerichtssaal.

An einer Wand stapeln sich Zeitungsstapel bis zur Decke, an der anderen Wand steht ein Transportband, auf dem die Stapel zur Auslieferung vorbereitet werden – wie ein Gleichnis für die von Eichmann geplanten Transporte in die Gaskammern –, an der dritten Wand stehen drei Ortsnamen: Jerusalem – New York – Port Bou.

Port Bou ist ein Ort nahe der spanischen Grenze, an dem sich der jüdische Philosoph Walter Benjamin das Leben nahm auf der Flucht vor den Nazis. Benjamin hatte über den Angelus Novus, den neuen Engel, geschrieben, einer Zeichnung von Paul Klee nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs.

Der Engel starrt mit aufgerissenen Augen, sieht, wie sich Trümmer auf Trümmer häufen:

„Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

(aus der Thüringer Allgemeine“ vom 5. Mai 2012 / Foto Raue: Besucher betrachten Fotografien von Julian Schnabel)

(zu: Handbuch-Kapitel 48
„Wie Journalisten entscheiden“)

„Empfangsbedürftige Willenserklärung“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 7. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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Was ist eine „Verkehrssicherungspflichtverletzung“? Der Redakteur Marc Baumann, Schöffe an einem Münchner Amtsgericht, übersetzt ins Deutsche: „Vor der Einfahrt wurde nicht Schnee geräumt.“

Der deutschen Sprache bedienen sich beide: Der Jurist und der Journalist. Der eine will genau sein, der andere bedient sich eines Beispiels. Den einen verstehen nur Spezialisten, den anderen alle.

Marc Baumann gibt uns im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ noch zwei Beispiele:
„Empfangsbedürftige Willenserklärung“ heißt auf gut deutsch: „Wenn Sie kündigen, müssen Sie das Ihrem Arbeitgeber auch sagen.“

„Beuteabsicherungsabsicht“ bedeutet: „Er hat mir nicht nur mein Handy geklaut, sondern auch mit geballter Faust klargemacht, dass ich es nicht zurückkriege.“
Nicht alle Juristen sprechen so kompliziert wie in den drei Beispielen, und nicht alle Journalisten können so gut übersetzen wie Marc Baumann. Dennoch bleibt die Frage: Warum sprechen sie so unterschiedlich?

Richter und Staatsanwälte schaffen damit Distanz, denkt sich der Journalist als Schöffe. Die Distanz ist noch größer als die zwischen dem erhöhten Richtertisch und dem Saal, in dem der Angeklagte sitzt und zu den Richtern und Schöffen aufsieht.

Wer also unverständlich spricht oder schreibt, schaut von oben auf andere hinab. Das gilt für alle, die von der Kanzel sprechen, ob sie in der Kirche steht oder anderswo.

„Blut, Schweiß und Tränen haben im Druck nichts verloren“ (Zitat der Woche)

Geschrieben am 6. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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Für einen Kreativen sind Ideen das einzige Kapital… Was mich ärgert, ist die Behauptung, ein Urheber leiste nicht mehr als bloßes Remixen. Bei Illustrationen macht die Verschiebung einer Linie um einen Zentimeter nach rechts oder links oft den entscheidenden Unterschied aus. Das kostet viel Mühe, die aber nicht sichtbar werden darf.

Außer der Idee ist das Wichtigste bei meiner Arbeit deshalb, alle Spuren der Anstrengung zu verwischen und das Ergebnis federleicht aussehen zu lassen, spontan. Blut, Schweiß und Tränen haben im Druck nichts mehr verloren.“

Der Berliner Illustrator Christoph Niemann, 1970 in Waiblingen geboren, in einem Porträt von Andreas Platthaus (FAZ, Bilder und Zeiten, 5. Mai 2012). Niemann zeichnet neben anderen für den New Yorker, die New York Times und die Financial Times.

(zu: Handbuch-Kapitel 40ff„Layout“)

Neonazis bedrohen Lokalredaktion in der Lausitz

Geschrieben am 5. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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Am heutigen Samstag um 17.05 Uhr im Deutschlandfunk: „Lügenpresse halt die Fresse – Neonazis bedrohen Lausitzer Rundschau“.

Berichtet wird über die Lokalredaktion  in Spremberg, in der Neonazis in dieser Woche Hassparolen auf die Fenster geschmiert haben.

Was ist ein journalistischer Selbstversuch? Gene basteln

Geschrieben am 5. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
Kommentare deaktiviert für Was ist ein journalistischer Selbstversuch? Gene basteln / Geschrieben am 5. Mai 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Recherche, Vorbildlich (Best Practice).

Ist der journalistische Selbstversuch eine neue Form der Recherche und Reportage? In der FAS vom 29. April erzählen drei Journalisten, wie sie in der Ecke ihres Berliner Büros mit Genen experimentierten – so wie es offenbar immer mehr Amateure weltweit probieren, in ihrer Küche oder den legendären amerikanischen Garagen.

Die Journalisten als Biohacker können preiswert Erbgut kaufen; die Maschine, gebraucht, kaufen die Journalisten für 240 Euro.

  • Wieviel Schaden können Amateure anrichten?
  • Besteht das Unbehagen über die Unregulierbarkeit der Gentechnik zu Recht?

Diese Fragen wollen die Journalisten Hanno Charisius, Richard Friebe und Sascha Karberg beantworten, deren Recherche von der Bosch-Stiftung unterstützt wird.

Im Editorial wirft Jörg Albrecht die Frage auf: Wie weit dürfen Journalisten den Status des Beobachters und Kommentators verlassen und selber ins Geschehen eingreifen?

Der „Selbstversuch“ orientiert sich an der „teilnehmenden Beobachtung“ der soziologischen Feldversuche. Er ist aber mehr als Beobachtung, er ist eine besonders gründliche Recherche, aufwändig, aber lohnend.

Wer kennt ähnliche journalistische Selbstversuche? Wer hat so etwas schon selber gemacht oder darüber berichtet?

(zu: Handbuch-Kapitel 17-18″Wie Journalisten recherchieren“)

Stadt muss Geheim-Gutachten an Journalisten geben

Geschrieben am 3. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 3. Mai 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

Die Stadt Mülheim muss der WAZ-Mediengruppe Einsicht in ein bislang geheim gehaltenes Gutachten zu Millionen-Wetten der kommunalen Stadtspitze mit der West-LB geben. Eine entsprechende Auskunftsklage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) konnte die WAZ- Mediengruppe vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf durchsetzen.

Das bislang von der Stadtspitze um Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD) geheim gehaltene Papier enthält Einschätzungen des Mülheimer Rechtsamtes zu einem Millionenverlust-Geschäft der Gemeinde. Im Kern hatte die Stadt mit der damals noch staatlichen WestLB auf steigende und fallende Zinsen gewettet. Die Stadt verlor die Wetten, die WestLB gewann. Die Kommune setzte so alleine in drei Jahren bis 2008 rund 6 Millionen Euro in den Sand.

Das besondere an den schlechten Geschäften: beraten wurde Mülheim ausgerechnet von der WestLB, die gleichzeitig als Wettgegner in den Deals antrat. Gewinnen konnte die Bank nur, wenn die Stadt verlor. Noch immer laufen entsprechende Wetten, immer noch mit Millionen Verlusten.

Die schlechten Geschäfte sind in Mülheim aufgefallen. Das Rechtsamt der Stadt hat schließlich ein Gutachten erstellt, um zu prüfen, ob die Stadt gegen die WestLB, den damals verantwortlichen Kämmerer Gerd Bultmann oder andere leitenden Beamten auf Schadensersatz klagen könnte. Auf Basis des Gutachtens verzichtete die Gemeinde auf rechtliche Schritte und zahlte lieber weiter Geld an die WestLB.

Die WAZ-Mediengruppe wollte nun auf Basis des IFG in dieses Rechtsgutachten schauen, um zu sehen, warum die klamme Stadt nicht um die Millionen kämpft. Dies wurde ihr von der Kommune verweigert.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschied nun, dass die Stadt mit ihrer Geheimhaltung das Recht gebrochen hat (AZ: 26K3489/11). Es gebe keinen zulässigen Grund, das Papier vor der Öffentlichkeit zu verstecken, entschied das Gericht. Die Grundlagen für die Weigerung Schadensersatz einzutreiben, müssen offen gelegt werden.

Geklagt hatte Mirco Stodollick, stellvertretender Redaktionsleiter der WAZ Mülheim an der Ruhr. Er wurde vom Justiziar der WAZ-Mediengruppe, dem Bochumer Rechtsanwalt Ralf Geppert vertreten.

Es ist der erste derartige Sieg für die WAZ-Mediengruppe.

 

(Aus Westen.de / von David Schraven)

 

(zu: Handbuch-Kapitel 50 „Presserecht“)

Bednarz-Interview: Überleben an der Wickelfront

Geschrieben am 2. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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In seiner Elternzeit schrieb Dieter Bednarz, „Spiegel“-Experte für den Nahen Osten, einen Bestseller: „Überleben an der Wickelfront“, den das ZDF verfilmte und mit Uwe Ochsenknecht am  Donnerstag um 20.15 Uhr ausstrahlt. Hier das Gespräch mit Bednarz (TA vom 28. April 2012):

Sie packen plötzlich ihren Koffer, um in den Iran zu fliegen. Sie schreiben Bücher. Sie sind ein glücklicher, aber auch geforderter Vater von drei Kindern. Wie kriegen Sie das hin?

Bednarz: Meine Frau Esther und ich bemühen uns, der Hektik des Alltags mit Gelassenheit beizukommen. Wir versuchen immer wieder, auch für uns selbst, Zeit freizuschlagen, in der wir nicht Eltern, nicht Juristin und Journalist sind, sondern wieder das Paar, das dankbar ist, sich gefunden zu haben. Diese Momente der Glückserneuerung sind leider rar.

Sie schreiben unterhaltsam, aber lassen auch kein Problem aus: Karriere und Kinder! Kinderzeugen aus dem Labor! Schwierige Schwiegermutter! Taucht dies auch im Film auf? Oder ist er pure Unterhaltung?

Bednarz: Der Film spart das alles nicht aus. Aber Uwe Ochsenknecht und Valerie Niehaus spielen es unter der Regie von Titus Selge wirklich so wunderbar, dass es trotz der Ernsthaftigkeit ein richtig schöner Film geworden ist, der bestimmt vielen Ihrer Leser gefallen wird.

Journalisten sind mitunter garstige Zeitgenossen, vor allem Kollegen. Wurden Sie nach dem Buch und vor dem Film oft gehänselt, ironisch traktiert oder gar ausgelacht?

Bednarz: Dass mir ein Kollege schon Mal „Allzeit volle Brust!“ gewünscht hat, war wohl unvermeidlich. Aber eigentlich waren alle sehr hilfsbereit. Ältere haben bedauert, dass sie solche Chancen nicht hatten, jüngere haben sich selbst geschworen, auch eine Auszeit zu nehmen, wenn sie Vater werden.

Hatten Sie vor der Elternzeit, die Sie genommen haben, Sorge um Ihre Karriere? Und wie war’s danach?

Bednarz: Ehrgeizig war ich schon, es gab auch ein Liebäugeln mit einem Aufstieg in der Hierarchie. Aber das sollte dann nicht sein. In der Elternzeit habe ich mich erst gefreut: Hurra, ich bin draußen und frei, während andere in der Redaktion gegrillt werden.
Nach einiger Zeit kam dann die Unsicherheit, vielleicht doch abgeschrieben zu werden, als Würstchen durch den Rost zu fallen. Heute – mit Blick auf drei wunderbare Kinder und eine großartige Frau sowie den schönen Erfolg mit der „Wickelfront“ – bin ich sehr dankbar, dass alles so gekommen ist.

Macht der Film älteren Männern Mut aufs Kinderkriegen?

Bednarz: Der Film zeigt nicht nur einen Mann, der kämpft, mitunter auch mit seinen eigenen Erwartungen und Ansprüchen, sondern auch ein Paar, das in seiner Überforderung dann auch miteinander ringt. Aber Esther und Dieter verlieren nicht den Glauben an sich selbst – und damit machen sie sicher vielen Menschen Mut.

Den Dieter im Film spielt Uwe Ochsenknecht. Der sieht verdammt gut aus. Ist das ein Problem für Ihre Frau?

Bednarz: Ich beneide Uwe Ochsenknecht um seine – verglichen mit mir – Löwenmähne. Und ich habe ihn auch als sehr guten Typen kennengelernt. Ich glaube, Esther würde ihn mögen. Valerie Niehaus ist aber auch sehr attraktiv…

Im Vertrauen: Ist Uwe Ochsenknecht besser als Dieter Bednarz?

Bednarz: Als Uwe mich vor ein paar Tagen in Berlin bat, ihm ein Buch zu signieren, habe ich zumindest als Widmung hineingeschrieben:
„Für Uwe – den besseren Dieter…“

Gefällt Ihnen der Film?

Bednarz: Der Film trifft die Atmosphäre sehr gut. Das beste Kompliment für den Film stammt von meiner Schwiegermutter. Sie hat ihn mit Esther und mir gemeinsam gesehen und meinte lächelnd: „Tja, so könnte es gewesen sein.“

Sprechen wir nun mit dem wohl besten Iran-Kenner im Journalismus. Sie kennen viele mächtige Leute in Iran, sind oft durch das Land gereist. Müssen wir Angst haben vor dem Iran?

Bednarz: Was im Iran geschieht, ist bedrohlich. Besonders in Israel haben viele Menschen Angst vor der Vernichtung durch eine iranische Bombe; das verstehe ich daher gut. Niemand möchte eine weitere Atommacht – weder in der Region noch anderswo. Doch eine akute Bedrohung des Weltfriedens durch den Iran sehe ich nicht. Das Regime pocht auf sein gutes Recht zur friedlichen Nutzung der Urananreicherung – und will dabei nicht einsehen, dass es durch sein eigenes Verhalten dieses Recht so gut wie verwirkt hat.

Kurz vor dem heftig debattierten Grass-Gedicht haben Sie mit Ihrem Kollegen Erich Follath eine lange, tief gründende Titelgeschichte im Spiegel geschrieben zu Israel und dem Iran. Was ist los in unserer Gesellschaft, dass ein mäßig kluges und von Vorurteilen durchsetztes Gedicht mehr aufregt als eine gründliche Analyse?

Bednarz: Wenn es um den Iran und Israel geht, fällt vielen Menschen eine sachliche Diskussion schwer. Da gibt es die ganz Verbissenen, die Emotionen schüren und instrumentalisieren, die Gutmenschen, denen kritische Distanz fehlt und jede Menge Uninformierte, die trotzdem laut mitreden. Und die Person Grass ist selbst nicht unumstritten – und eher Katalysator als Erklärer.

Gibt es Krieg?

Bednarz: Dies weiß niemand – vielleicht wissen es noch nicht einmal jene, von denen wir annehmen, dass sie diesen Krieg vielleicht auslösen. Ich kann nur hoffen, dass niemand glaubt, einen Krieg führen zu müssen, nur weil er damit gedroht hat. Das Letzte, was die Krisenregion Nah- und Mittelost braucht, ist ein neuer Waffengang.

  • „Überleben an der Wickelfront“ – Donnerstag, 3. Mai, 20.15 Uhr, ZDF

 

(zu: Handbuch-Kapitel 2-4 „Die Journalisten“)

Unbedingt am Donnerstag anschauen: Bednarz‘ „Wickelfront“

Geschrieben am 1. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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Wie ergeht es einem Spiegel-Redakteur mit Karriere-Ambitionen, aber schon nahe der 50, wenn nach vielen Fehlversuchen plötzlich Zwillinge ein spätes Vaterglück bescheren? Dieter Bednarz ist der Spiegel-Experte für den Nahen Osten, vor allem Iran und Israel. Er nimmt mehr als zwei Jahre Auszeit, überlässt seiner Frau, einer erfolgreichen Anwältin, die Karriere und zieht an die „Wickelfront“.

Gerade beim SPIEGEL sollte meine Sorge, die Teil-Auszeit könnte dem beruflichen Weiterleben schaden, unbegründet sein. Zwar herrschte schon immer ein eher rauer Ton im Haus. Aber es stimmt einfach nicht, dass einer unserer Chefredakteure je handgenähte Schuhe aus der Haut seiner Redakteure getragen hätte…

Richtig ist aber, dass manche Kollegen vorne gratulieren und hinten sticheln.. Es geht auch darum, dass all jene Kollegen und Kolleginnen umdenken, die sich bewusst für ihre Karriere statt für eine Familie entscheiden, denen ihre Geschichten nun mal wichtiger sind als die Geburt ihrer Kinder.

So Dieter Bednarz in seinem Bestseller „Überleben an der Wickelfront“, das er nach den Vaterjahren geschrieben hat und das am Donnerstag um 20.15 Uhr im ZDF als TV-Film zu sehen ist. Es ist ein gelungener Journalisten-Film, in dem endlich Journalisten nicht als Karikaturen wie Baby Schimmerlos oder als gierige Paparazzi gezeigt werden – sondern als verletzliche Wesen, besonders die späten Väter, als verletzende, besonders im Karriere-Kampf, um überhebliche, besonders in leitenden Positionen.

Die anrührendste Szene des Films, in dem Uwe Ochsenknecht den Bednarz gibt, spielt im Garten der iranischen Botschaft in Berlin. Da der Wickel-Vater vom Schreiben nicht lassen kann, macht er heimlich ein Interview mit dem iranischen Aussenminister aus. Er findet keinen Babysitter, verzweifelt und nimmt einfach die Zwillinge in die Botschaft mit. Die Sicherheitsleute sind entsetzt, der Außenminister aber entzückt. Er geht mit den Dreien in den Garten und gibt ein exzellentes Interview.

Also: unbedingt anschauen. Der Film ist gute Unterhaltung, weil er schwere Themen leicht, aber nicht oberflächlich serviert: Schlaflose Nächte, nervende Kinder, alltägliche Katastrophen, schwerste Ehekrisen, schlechtes Gewissen der „Rabenmutter“, Karriere-Entzug mit schwersten Symptomen, Mobbing der Kollegin, die ihre Chance wittert, nervende und besserwissende Schwiegermutter usw.

Dieter Bednarz lobt den Film, zumal er eine 3-Sekunden-Statistenrolle spielt – als glatzköpfiger Kellner.

Und wie war’s danach? Die Karriere war vergessen, aber Bagdad gab’s noch immer:

Es muss sein, weil ich nach 30 Monaten Windelduft und Muttermilcharoma raus will aus der Papa-Mama-Kind-Symbiose, die mit den Atem raubt: Sie war höchstes Glück, weil ich mich nie zuvor so innig, zärtlich und offen erlebt habe; sie war tiefste Verunsicherung, weil ich nie zuvor so verletzlich, so dünnhäutig war; beides schnürt mir die Kehle zu.

Der „Stern“ gibt in seinem TV-Magazin nur drei Punkte und schreibt: „Kann das wahr sein? – Nee, aber ganz lustig.“ Demnächst bitte mal wieder das Buch zum Film lesen oder gar mit dem Kollegen von der Konkurrenz sprechen.

Überleben an der Wickelfront, ZDF, Donnerstag, 3. Mai, 20.15 Uhr

BUCH: Dieter Bednarz, Überleben an der Wickelfront. DVA, 17.95 (Taschenbuch 9.95; E-Book 8.99 €)

Der Weltuntergang 2012

Geschrieben am 29. April 2012 von Paul-Josef Raue.
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„Der Weltuntergang 2012 findet nicht statt“ steht auf einer Bauchbinde in Packpapier-Anmutung, die das Katholische Bibelwerk um die neue Ausgabe ihrer Zeitschrift „Bibel und Kirche“ geschwungen hat. Das Heft widmet sich dem Thema „Bilder-Macht. Die Johannesapokalypse“.

Ein „Zwischenruf“ im Heft macht klar: Der abgesagte Weltuntergang bezieht sich nicht auf die Bibel, sondern auf den Maya-Kalender. Der Astronom Florian Freistetter weist nach, dass der Weltuntergang am 21. Dezember keine Glaubenssache ist, sondern einfach falsch – was er schlüssig beweist.

Der Rest ist esoterischer Wind. Gleichwohl wird wohl vor Heiligabend nicht nur die Bildzeitung daraus so manchen Aufmacher stricken.

Für Journalisten lohnt diese Spezial-Lektüre, um die Wirkung von Sprachbildern zu ergründen: Die Johannes-Offenbarung als Untergrund-Literatur, in der Rom als reiche Hure und gieriges Raubtier auftritt – ohne dass die Zensoren es verstanden.

(zu: Handbuch-Kapitel 17-18 Wie Journalisten recherchieren)

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