Wie Journalisten Twitter nutzen können

Geschrieben am 12. März 2013 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 12. März 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Online-Journalismus, Recherche.

„Twitter kann ein hervorragendes Werkzeug für Journalistinnen und Journalisten sein“, schreibt Daniela Kraus im Journo-Blog des österreichischen Standard und zitiert Nietzsche: „Vom Nutzen und Nachteil des Twitterns für das Journalistenleben – Eine unzeitgemäße Betrachtung“; unzeitgemäß – weil weniger als ein Prozent der Bevölkerung twittert und maximal zehn Prozent der Journalisten.

Was bringt Twitter einem Journalisten:

+ Er hat eine zusätzliche Nachrichtenagentur, die allerdings nur so gut ist wie die Auswahl der Tweets, denen er folgt.
+ Er findet Themen schon sehr früh, bevor sie andere Medien groß spielen.
+ Er findet bei aktuellen Ereignissen Zeugen und Quellen über Advanced Search.
+ Er beobachtet Communities.
+ Er sieht, worüber Leser diskutieren, auch potentielle.
+ Er gewinnt in seiner eigenen Gemeinde Glaubwürdigkeit.
+ Er kündigt eigene Geschichten an und bringt sie zum richtigen Zeitpunkt zur Diskussion.

Aber Twitter lenkt auch ab. Oder?

Das ist keine Frage des Kommunikationskanals, sondern eine der Selbstdisziplin. Wie heißt es in Friedrich Nietzsches unzeitgemäßer Betrachtung „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“? „Dies ist ein Gleichnis für jeden einzelnen von uns: er muss das Chaos in sich organisieren, dadurch, dass er sich auf seine echten Bedürfnisse zurückbesinnt.

Daniela Kraus, derStandard.at, 8.3.2013 / Empfohlen hat’s Anke Laumann in einem Tweet

Wenn FAZ-Leser loben: Ein dreifaches …

Geschrieben am 11. März 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 11. März 2013 von Paul-Josef Raue in I. Die Meinung.

Vor zwei Wochen lobten wir die FAZ-Redaktion, weil sie empörte Briefe gegen die Redaktion abdruckte. Am Freitag, 8. März, war die Welt auf der FAZ-Leserbrief-Seite wieder in Ordnung:

1. Vielen Dank für die Veröffentlichung der wunderbaren Stellungnahme der beiden Autoren in Ihrer Zeitung.

2. Wieder einmal nimmt die F.A.Z., in Sonderheit das Feuilleton, in vorzüglicher Weise die Wächterrolle der Presse wahr.

3. Ein großes Leb zu dem Artikel „Das Märchen vom Siegeszug der digitalen Werbung“… Als langjähriger Werbefachmann kann ich seiner Argumentation nur beipflichten.

Wie Goethe den Genitiv missachtete (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Prüfen Sie sich! Welche der folgenden Sätze sind richtig:

1. Dank meines Fleißes werde ich in den Bundestag gewählt?
2. Großalarm wegen totem Hund?
3. Trotz Umbaus geöffnet?
4. Laut unseres Briefes sind sie von der Zahlung befreit?

Wer die deutsche Sprachen retten will, der rettet den Genitiv. Helmut Wolf aus Erfurt, Leser der Thüringer Allgemeine, ärgert sich, wenn in der Zeitung „immer wieder“ Genitiv und Dativ verwechselt wird – sogar auf der Kinderseite und ausgerechnet in einem Artikel über die Bildungsministerin.

Helmut Wolf hat Recht: Wir sollten den Genitiv wahren, so es die Regel gibt. Aber wir sollten bedenken, dass auch die Regel eine Geschichte hat. Nehmen wir als Beispiel: Der Genitiv nach der Präposition „wegen“.

Wer „wegen totem Hund“ schreibt, wie in einer Überschrift unserer Zeitung, wer also Dativ und Genitiv verwechselt, gilt als Sprachverderber. Aber wie schrieb Goethe gleich mehrfach in seinen Briefen? „Wegen eintretendem Reformationsfeste“.

Noch derber trieb es der Geheimrat am Weimarer Hof, als er in einem einzigen Satz „wegen“ erst mit dem Genitiv, dann mit dem Dativ gebrauchte: „Wegen des Stoffs als wegen den Umständen“.

Auch Schiller verwechselte: „Wegen dem Göz von Berlichingen“, und Gerhard Hauptmann verwechselte und Adalbert Stifter.

Es geht drunter und drüber, wie so oft in der Geschichte unserer Sprache. Erst war „wegen“ mit dem Dativ verbunden, dann mit dem Genitiv – wie beispielsweise schon im Urkundenbuch des thüringischen Arnstadt von 1432:

Von wegen syner koniglichen Durchluchtigkeit.

Der Genitiv setzte sich durch, nur nicht jederzeit bei Goethe, Schiller und anderen dichtenden Heroen, vor allem wenn sie eiligst Briefe schrieben – und im Volke wohl auch nicht.

Meinetwegen, könnte man sagen: Ich bleibe beim Genitiv, den auch Schiller durchaus schätzte und das „wegen“ hinter das Hauptwort verbannte. Statt „wegen seiner Natur“ schrieb er: Es ist dem Menschen „von Natur wegen möglich gemacht, aus sich selbst zu machen, was er will“.

Was ist also richtig? Alle Sätze sind – mehr oder minder – falsch im Eingangstest, und so sind sie richtig:

1. Dank meinem Fleiß (laut Duden);
2. Großalarms wegen eines toten Hundes (allerdings registriert der Duden schon: umgangssprachlich auch mit Dativ);
3. Trotz Umbau geöffnet (denn Hauptwörter ohne Artikel oder Attribut werden meistens nicht gebeugt);
4. Laut unserem Brief (allerdings lässt der Duden auch „laut unseres Briefes“ zu).

Geben wir Friedrich Schiller das letzte, oder besser: vorletzte Wort:

Schätzen Sie mich wegen dem, was ich unter besseren Sternen geworden wäre.“

Thüringer Allgemeine 11. März 2013

31 Millionen Euro gegen die Vertwitterung des Journalismus

Geschrieben am 9. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Schlechte Nachrichten für alle, die den Untergang der Zeitungen und die Vertwitterung des Journalismus in naher Zukunft erwarten. Am Donnerstag weihte die Braunschweiger Zeitung eine neue Zeitungsdruckerei ein, in die die Funke-Mediengruppe 31 Millionen Euro investiert hat.

Der Braunschweiger Geschäftsführer Harald Wahls stellte die modernste Zeitungsdruckerei denn auch mit leichter Ironie vor: „Wir schauen optimistischer in die Zukunft, als die allgemeine Nachrichtenlage über Zeitungen suggeriert.“ Zur Eröffnung waren denn auch alle gekommen, die wichtig sind in Braunschweig, Wolfsburg und Niedersachsen – ob Oberbürgermeister, Chef der VW-Autostadt, Verleger, Politiker und Unternehmer.

Stephan Weil, der neue Ministerpräsident, kam nach Braunschweig, wenige Tage nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Er sprach kurz, frei, und er lobte die Regionalzeitung als das am meisten vertrauenswürdige Medium. Von seiner Erziehung durch die Zeitung erzählte er: Das Lesen hat er im Sportteil der Zeitung gelernt, so wie auch seine Kinder das Lesen gelernt haben. „Ich wünsche mir, dass auch ein Enkelkind mit Hilfe des Sportteils einer Zeitung das Lesen lernen wird.“

Es waren gestandene Männer aus dem analogen Zeitalter, die das Lob der Zeitung sangen, also Menschen, die sich einen Morgen ohne das Knittern von Papier nicht vorstellen können – für die eine Zeitung mehr als die Aufnahme von Information zwecks Speicherung im Hippocampus unseres Gehirns. „Die gedruckte Zeitung ist etwas Emotionales im Vergleich zum Laptop, auf dem wir das E-Paper lesen“, sagte der Braunschweiger Oberbürgermeister Gert Hoffmann, der in der digitalen Welt auch den Verfall von Sprachkultur beklagt.

Für Christian Nienhaus, Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, ist Zeitung Entschleunigung. Angenommen, so sein Gedankenexperiment, statt Gutenbergs Erfindung wären wir vom Papyrus gleich zum Computer übergegangen: Wären Papier und Zeitung dann nicht eine moderne Innovation? Zudem seien nicht nur Banken systemrelevant, sondern auch Zeitungen – relevant für unser System Demokratie.

In einem Interview mit der Braunschweiger Zeitung hatte Nienhaus hingewiesen, dass die Herstellung der Zeitung in der neuen Druckerei ein vollständig digitaler Prozess sei, an dessen Ende ein anologes Produkt stehe.

Lob der Kolumne

Geschrieben am 4. März 2013 von Paul-Josef Raue.
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Mit großer Eindringlichkeit zeigt Peter Bacher uns, dass wir das Leben verlieren würden, wenn wir Aufmerksamkeit, Berührbarkeit und Zuwendung aussparen würden aus dem täglichen Leben.

Dieser Lob von Marianne von Weizsäcker ist ein Lob für Kolumnen überhaupt. Peter Bacher, einst Chefredakteur der Hörzu, zitiert das Lob in seiner „Heute ist Sonntag“-Kolumne in der Welt am Sonntag, vor 25 Jahren erstmals erschienen und seitdem jeden ersten Sonntag im Monat in der WamS. Thema der Kolumne sind Tischgespräche mit Prominenten.

Peter Bacher erinnert sich in seiner Jubiläum-Kolumne an herausragende Gespräche wie das mit dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal. Seine Erinnerung an die Ermordung seiner gesamten 89-köpfigen Familie kommentierte er mit leiser Stimme:

Gott muss damals im Urlaub gewesen sein.

Welt am Sonntag, 3. März 2013

Die Zeitung ist kein Anzeigenblatt – auch online nicht!

Geschrieben am 28. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
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Ihr schätzt die Texte und Bilder in Eurer Zeitung, als würden sie in einem Anzeigenblatt stehen! Dieser Vorwurf wird lauter gegenüber Zeitungen, die ihren Inhalt kostenlos ins Netz stellen. Jan Bayer, Springer-Vorstand, formuliert es ein wenig vornehmer:

Wenn es uns gelingt, eine qualitative Reichweite mit zahlenden Abonnenten aufzubauen, dann steigt auch deren Wert für die Tageszeitung. (Horizont 8/2013)

Jürgen Scharrer, Horizont-Chefrredakteur, interpretiert den Bayer-Satz folgerichtig so:

User, die für ein Medium bezahlen und ihm entsprechend mehr Aufmerksamkeit schenken, sind ein wertvollerer Werbekontakt als Nutzer von Gratisangeboten – ein Argument, das von Print die vergangenen Jahre sträflich vernachlässigt wurde.

Nur wenn Journalismus etwas wert ist, auch: Geld wert ist, haben also Döpfners goldene Worte eine Zukunft:

Das Digitalzeitalter hat alle Chancen, zum Goldenen Zeitalter des Journalismus zu werden. Darum bin ich nicht pessimistisch, sondern optimistisch, was die Zukunft der Publishing-Branche betrifft – vorausgesetzt, wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenz – auf exzellenten Journalismus.

So wird der Springer-Chef zitiert in der Einladung zur „World Publishing Expo 2013“, die Matthias Döpfner eröffnen wird.

Gauck als Meister der Floskeln und taumelnden Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
Die Macht des  Bundespräsidenten ist seine Sprache. Da er sonst wenig zu entscheiden hat, soll er wenigstens gut reden – am besten den Politikern ins Gewissen, manchmal auch dem Volk.

In dieser Woche hat unser Bundespräsident seine erste große Rede gehalten. Er sei nervös gewesen, schreiben Kommentatoren, und sie meinen es positiv: Besser ein nervöser Politiker als ein überheblicher. Und er schreibe seine Reden selbst, und auch das meinen sie positiv.

Die Rede war nett, sie tat keinem weh, vor allem den Briten nicht, die gerade erdulden müssen, dass die deutsche Wirtschaft besser läuft als ihre. Da tröstet es, wenn ein Bundespräsident sagt: Auch Engländer gehören zu Europa, sogar die Schotten, die Waliser, Nordiren und „britische Neubürger“.

Nur – war die lange Rede des Präsidenten mehr als eine Reihung von Floskeln, hübsch, aber leer? Ein Beispiel:

 Einst waren europäische Staaten Großmächte und Global Player. In der globalisierten Welt von heute kann sich im besten Fall ein vereintes Europa als Global Player behaupten.
Da taumeln die Wörter:
  • Global Player sind Unternehmen, die weltweit handeln, und nicht Staaten.  Staaten leiden unter „Global Playern“ und ihrer Finanzmacht, mit der sie Politiker unter Druck setzen können.
  •  Globalisierte Welt ist wie ein weißer Schimmel. Pleonasmus nennen es die Wissenschaftler, abgeleitet vom griechischen Wort für Überfluss:  Zwei Wörter, deren Sinn ähnlich ist.
Globalisierung bedeutet laut Duden „weltweite Verflechtung“; globalisiert leitet sich von „global“ ab, das „weltweit“ bedeutet.

Wer von „globalisierter Welt“ spricht, meint keine weltweite Welt, sondern eine schnelle Welt, in der Informationen und Transporte in einem Tempo um die Welt rasen wie nie zuvor – dank Internet, Flugzeugen und Containerschiffen. Für viele folgt diese schnelle Welt nicht mehr dem menschlichen Maß. Aber das ist ein neues Thema.

Thüringer Allgemeine 25. Februar 2013

Empörte Leser und eine souveräne Redaktion

Geschrieben am 24. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
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„Guten Tag, ich habe nur diese Mailadresse, um zu sagen, wie sehr mich die Verstümmelung und Verwässerung dieses geliebten Samstagteiles Ihrer Zeitung ärgert und beleidigt… Sie nehmen mir die wunderbare Kolumne „Wie war dein Tag, Schatz“ und Sie quetschen das Amputat des bisherigen Persönlichkeitsfeatures als „Ich über mich“ an den Rand der Seite, als hätte hier ein Azubi in der ersten Woche mal das Layout machen dürfen. Shame on you!“ Dr. Reimer Hoffmann, Oldenburg

Kompliment an die FAZ-Redaktion! Ihre Leser ärgern sich, und die Redaktion druckt den Protest in den Leserbrief-Spalten ab (FAZ, 23.2.2103). So viel Souveränität ist selten in Redaktionen.

Grund des Ärgers ist der Wegfall einer Kolumne im Stellenteil der Samstagsausgabe: „Wie war Dein Tag, Schatz!“. Der Münchner Rechtsanwalt Georg M. Oswald, Jahrgang 1963, schrieb kleine Satiren als „Berichte aus dem Bürokampf“; eine Auswahl davon ist als Buch im Piper-Verlag erschienen. Vorbild sind die „Business Class“-Kolumnen des Schweizer Martin Suter, die zuerst erschienen sind in der Züricher Weltwoche und dann den Grundstein legten für Erfolg und Ruhm des Schriftstellers Suter.

Gisela Heil aus Saarbrücken überschüttet die FAZ-Kolumne mit Lob in ihrem Leserbrief, spricht von „Leere in Zehntausenden Ihrer Anhänger!“:

Könnten Sie sich nicht ab und zu zurückmelden, sozusagen als Kür… Dann blieben Sie aus dem Korsett der regelmäßigen Kolumne befreit, und alle hätten Spaß! Ihre Leser würden es Ihnen danken.

Einen Kolumnisten, den die Leser so schätzen, sollte man pflegen; er wird manchen Abonnenten halten, der leicht unzufrieden ist, sich aber auf die Samstagsausgabe und seinen Kolumnisten freut. Die Kolumne nur ab und an zu drucken, bringt wenig: Eine Kolumne erscheint regelmäßig, mindestens einmal in der Woche, oder sie ist keine Kolumne, sondern ein beliebiger Essay oder Gastbeitrag.

Ob die Kolumne wieder erscheint?

Die Financial Times und die Digital-First-Strategie

Geschrieben am 22. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.

Nach einem Besuch im Silicon Valley schrieb Lionel Barber, der Herausgeber der britischen Financial Times, an seine Mitarbeiter: Wir müssen weniger Geld für die Zeitung ausgeben und mehr für Online – „auch wenn Print immer noch eine wichtige Quelle für die Werbe-Einnahmen ist“.

Er wirbt für seine „Digital-First-Strategie“, die also vorrangig auf digitale Angebote setzt, und kündigt an, die Mitarbeiter effizienter einzusetzen, also: auf 25 Redakteure in der Zeitung verzichten und 10 fürs digitale Geschäft einstellen zu wollen. Und welche Regeln gelten Online?

Natürlich müssen wir uns an die bewährten Methoden eines guten Journalismus halten: gründliche, ursprüngliche Berichterstattung auf der Grundlage mehrerer Quellen und ein waches Auge für die Exklusivmeldung.

Neben Veränderungen, die nur die FTD betreffen wie Zusammenlegen von Ausgaben, gibt es zwei Vorgaben, die für alle Redaktionen gelten sollten:

  • Ein Ende der „vielarmigen Auftragsvergabe“ – wir brauchen weniger Auftragsvergabekanäle.
  • Wir bedienen zuerst eine digitale Plattform und an zweiter Stelle eine Zeitung.

Am gemeinsamen  Newsdesks arbeiten nicht mehr  Seitenredakteure, sondern  Content-Redakteure:

Wir müssen  nachdenken, wie, wann und in welcher Form wir unseren Content veröffentlichen, ob konventionelle Nachrichten, Blogs, Video oder Social Media.

Wir brauchen  Reporter, die bereit sind, ihre Talente für die Bearbeitung der großen FT-Artikel einzubringen, und nicht Gefahr laufen, in ein Silodenken zu verfallen.

 


Die E-Mail im Wortlaut (übersetzt von  Thomas Bertz, TBM Marketing GmbH)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in meiner Neujahrsbotschaft habe ich erklärt, dass das Jahr 2013 zum Testlauf für unsere Entschlossenheit werden würde, weitergehende Schritte rascher zu gehen, um Journalismus der Spitzenqualität in einer im rasanten Wandel befindlichen Medienlandschaft zu unterstützen.

Ich möchte jetzt im Detail darstellen, welche Vorschläge wir für den Umbau der FT für das digitale Zeitalter machen möchten. Wir müssen in einigen Bereichen weniger und in anderen mehr tun. Wir müssen sehr viel wendiger sein und wir müssen unsere Teams umgestalten.

Heute haben wir Beratungen mit der britischen Journalistengewerkschaft National Union of Journalists (NUJ) aufgenommen, um eine erste Regelung zum freiwilligen Personalabbau auf den Weg zu bringen. Ziel ist es, die Produktionskosten der Zeitung zu senken und uns die Flexibilität zu geben, mehr in die Online-Sparte zu investieren.

Es ist unsere gemeinsame Sache, die Zukunft der FT in einem zunehmend von Wettbewerb geprägten Markt zu sichern, auf dem die alten Titel regelmäßig Erschütterungen durch neue Anbieter wie Google und LinkedIn und Twitter ausgesetzt sind. Die Marke FT, die für präzisen, zuverlässigen Journalismus steht, kann prosperieren, aber nur, wenn sie sich an die Anforderungen unserer Leser im Digital- und im Printbereich anpasst, der noch eine äußerst wichtige Quelle für Werbeeinnahmen ist.

Mein Besuch in Silicon Valley im letzten September hat mir das Tempo der Veränderung bestätigt. Unsere Wettbewerber nutzen Technologie, um das Nachrichtengeschäft durch Aggregation, Personalisierung und Social Media zu revolutionieren. Mobil allein macht jetzt z. B. 25 Prozent des gesamten digitalen Traffic der FT aus. Stillstand würde bedeuten, dass wir uns grob fahrlässig verhielten.

Natürlich müssen wir uns an die bewährten Methoden eines guten Journalismus halten: gründliche, ursprüngliche Berichterstattung auf der Grundlage mehrerer Quellen und ein waches Auge für die Exklusivmeldung. Wir müssen aber auch anerkennen, dass das Internet neue Wege und Plattformen für die umfassendere Vermittlung und Übertragung von Informationen bietet. Wir sind auf dem Weg von einem Nachrichtengeschäft zu einem vernetzten Geschäft.

Um die Beziehung zu unseren Lesern zu intensivieren, müssen wir unsere Investitionen und unsere Mitarbeiter intelligenter, ausgewogener und effizienter einsetzen. Deshalb schlagen wir vor, einige unserer Ressourcen von Nacht- auf Tagarbeit und von Print auf digital zu verlagern. Dies erfordert eine FT-weite Initiative, um unsere Journalisten so zu schulen, dass sie ihre Fähigkeiten bestmöglich nutzen. Und es erfordert entschiedene Führung.

Ich bin fest entschlossen, dass wir unser Allermöglichstes tun, um die Zukunft der FT als finanziell tragfähige Nachrichtenorganisation auf Weltniveau zu sichern. Unsere früheren Entscheidungen, Preise zu erhöhen, Gebühren für Content zu erheben und ein Abonnementsgeschäft aufzubauen, haben sich als klug und mutig erwiesen. Während viele unserer Rivalen sich abgemüht haben, ein profitables Geschäftsmodell zu finden, und deshalb schwere Arbeitsplatzverluste angekündigt haben, waren wir Industriepioniere. Dies ist nicht der Augenblick für zögerliches Handeln.

Natürlich ist Veränderung schmerzlich. Ich möchte Ihnen deshalb versichern, dass die folgenden Vorschläge genauestens überlegt und intensiv beraten wurden und dies auch weiterhin der Fall sein wird. Das gilt ebenfalls für unseren Wunsch, fair, ehrlich und transparent zu sein. Und wir treten jetzt in eine Beratung mit der National Union of Journalists und Mitarbeitern ein, um über die Zukunft der Financial Times und diese Vorschläge zu beraten, so dass wir im fairen und offenen Dialog den richtigen Weg nach vorn einschlagen können.

Zu Beginn möchte ich einige Punkte klarstellen.

Ich möchte unsere Auftragsvergabe verbessern, um selektiveren, relevanten, qualitativ hochwertigen Content zu produzieren.

Ich möchte Maßnahmen umsetzen, mit denen es der Zeitung erleichtert wird, die Arbeitsbelastung zu verringern und die für die Printausgabe aufgewendeten Ressourcen zu reduzieren. Diese umfassen:

1. Gemeinsame Anzeigenformen in allen Ausgaben – was unnütze Optimierung und Bearbeitung zwischen den einzelnen Ausgaben reduziert.

2. Eine stärker von Gemeinsamkeit geprägte internationale Ausgabe mit gemeinsamen Titelseiten und zweiten Titelseiten.

3. Mögliche Umstellung auf eine gemeinsame laufende Reihenfolge zwischen britischen und internationalen Ausgaben mit Weltnachrichten auf der Titelseite

4. Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl der Veränderungen, die für die zweite US-Ausgabe verlangt werden.

5. Kürzung der dritten britischen Ausgabe.

6. Weitaus diszipliniertere Einhaltung der Lieferzeiten des Anzeigenmaterials und verbessere Vorausplanung

7. Ein Ende der „vielarmigen Auftragsvergabe“ – wir brauchen weniger Auftragsvergabekanäle. Ebenso müssen Nachrichtenredakteure Berichte, die Priorität haben, eindeutig kennzeichnen.

8. Straffere Kontrolle der Paginierung. Wir müssen sicherstellen, dass wir zuerst eine digitale Plattform und an zweiter Stelle eine Zeitung bedienen. Dies stellt eine große kulturelle Veränderung für die FT dar, die wahrscheinlich nur mit einer weiteren strukturellen Veränderung erreicht werden kann.

Wir müssen einen Weg finden, die Produktionsressourcen während der Nacht zu reduzieren und sie am Tag zu vergrößern; dieselben Ressourcen müssen auch zunehmend für das Web und weniger für die Zeitung aufgewendet werden.

Auf vereinigten Newsdesks müssen wir von Seitenredakteuren zu Content-Redakteuren werden. Wir müssen neu darüber nachdenken, wie, wann und in welcher Form wir unseren Content veröffentlichen, ob konventionelle Nachrichten, Blogs, Video oder Social Media.

In unserem britischen und internationalen Reporternetz müssen wir bestrebt sein, Menschen an der richtigen Stelle zu haben, die bereit sind, ihre Talente für die Bearbeitung der großen FT-Artikel einzubringen, und nicht Gefahr laufen, in ein Silodenken zu verfallen oder in bestimmten geografischen Regionen isoliert zu werden.

Pearson, die Muttergesellschaft der FT, steht fest hinter unserer Strategie und unserer geplanten Umwandlung und leistet finanzielle Unterstützung für die Umstrukturierung, die wir für das erste Quartal dieses Jahres planen.

Das geplante Programm für einen freiwilligen Stellenabbau wird uns helfen, unsere Strukturen neu zu gestalten und unsere Kosten im laufenden Jahr um 1,6 Mio. GBP zu senken. Nach unseren Schätzungen könnte dies in einer Nettoreduzierung der Mitarbeiterzahl um ca. 25 nach Einführung von 10 weiteren digitalen Jobs zum Ausdruck kommen, von denen wir einige bereits bewerben.

Mitarbeiter, die die Zeitung verlassen möchten, ermutigen wir zu diesem Schritt. Wir werden uns außerdem mit der NUJ über die weiteren Schritte beraten, die wir möglicherweise vorschlagen müssen, wenn das geplante Programm zum Stellenabbau nicht im erforderlichen Maße angenommen wird.

Schließlich werden wir 2013 online neue Produkte und Dienstleistungen einführen. Starten werden wir mit unseren „Fast FT“-Märkten und einer neuen App „Weekend FT“.

Dies wird uns allen Gelegenheit geben, intensiver über eine dynamischere und interaktivere Form des FT-Journalismus nachzudenken, die über das gedruckte Wort hinausgeht. Dies ist entscheidend, um die Beziehung zu unseren Lesern zu intensivieren und unser Abonnementsgeschäft aufzubauen.

Ich werde an Sitzungen mit Teamleitern teilnehmen, um diese Veränderungen zu erklären, mir Ihre Ideen anzuhören und Fragen zu beantworten. Inzwischen wird Redaktionsleiter James Lamont die Details des Programms zum freiwilligen Stellenabbau unterbreiten und sich umfassend mit Ihnen beraten.

Redaktionsassistenten und Teamleiter werden in groben Zügen über die Vorschläge informiert. Sie werden ihr Bestes tun, um Ihre Fragen zu beantworten und Ihnen ihre Unterstützung anzubieten. Während der gesamten Geschichte der FT haben wir großartige Fortschritte in einer im Wandel begriffenen Industrie erzielt. Sie haben eindrucksvolle Schritte unternommen, um die FT zu modernisieren, und ich bin zutiefst dankbar für Ihre Bereitschaft, sich Veränderungen anzupassen. Dies ist keine einfache Umstellung, aber wir sind gezwungen, die schwierigen Maßnahmen zu treffen, um die Zukunft der FT als eine der großartigsten Nachrichtenorganisationen der Welt zu sichern.

Und mit Ihrer Unterstützung in diesem 125. Jubiläumsjahr können wir dies erreichen und weiterhin das tun, was wir am besten machen: das Geschäft eines qualitativ hochwertigen Journalismus.

 

Das journalistische Grundgesetz des Respekts: Zehn Regeln (Respekt und Nähe, Teil 2)

Geschrieben am 21. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
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Der kategorische Imperativ im Lokalen lautet: Respektiere Deine Leser! Das bedeutet nicht, jedem nach dem Munde zu reden. Die Maxime, die Luther nachgesagt wird, ist gut auf den Respekt zu übertragen: Schau dem Volk aufs Maul, aber rede ihm nicht nach dem Mund!

Das ist ein Auszug aus meinem Beitrag in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung über Lokaljournalismus und Verantwortung. Es ist gerade ins Netz gestellt worden: „Respekt und Nähe“.

Hier der zweite Teil meines Beitrag in der vollständigen Fassung, geschrieben im Februar 2012; Teil 1 befasste sich mit der Berichterstattung zum Amoklauf in Erfurt vor zehn Jahren.

Die Leser der lokalen Zeitung verlangen nach Nähe, gerade weil ihnen die Globalisierung ungeheuer ist und diffuse Ängste auslöst. Die Welt ist für die meisten unbegreiflich.

Die Nähe schließt ein, dass Lokalredakteure über die Menschen, ihre Nachbarn, berichten. Das gelingt nur mit Respekt. Wer mit seinen Lesern lange und ernsthaft spricht, wird diesen Wunsch, ja diese Forderung immer wieder hören: Behandelt uns mit Respekt!

Dieser Respekt beginnt schon beim Machen der Zeitung:
• Die Leser wollen keine verspielten Überschriften, sondern verständliche – um schnell entscheiden zu können, ob sie einen Artikel lesen wollen oder nicht. Führt sie eine Überschrift in die Irre, protestieren sie: Die Redakteure nehmen uns nicht ernst!

• Die Leser wollen eine verlässliche Ordnung in der Zeitung, um sich morgens leicht orientieren zu können. Irren sie durch die Zeitung, protestieren sie: Wir stehen eine halbe Stunde früher auf, um vor der Arbeit die Zeitung zu lesen – und nicht um in der Zeitung mühsam zu suchen, was für uns wichtig ist!

• Die Leser wollen ihren Platz in der Zeitung einnehmen, buchstäblich. Sie fordern unmissverständlich: Lasst uns mitreden! Gebt uns Raum genug, um uns artikulieren zu können – auch wenn es denen oben nicht gefällt!

Noch genauer als „Nähe“ kennzeichnet „Respekt“ die ethische Haltung
eines Lokalredakteurs. Der kategorische Imperativ im Lokalen lautet: Respektiere Deine Leser! Das bedeutet nicht, jedem nach dem Munde zu reden. Die Maxime, die Luther nachgesagt wird, ist gut auf den Respekt zu übertragen: Schau dem Volk aufs Maul, aber rede ihm nicht nach dem Mund!

So ist dieser Entwurf eines Grundgesetzes des Respekts zu verstehen, zu debattieren in den Lokalredaktionen und in allen Leserzirkeln:

1. Respektiere unsere Verfassung, die verlangt: Schreibt alles unverzüglich, glaubwürdig und unbeeinflusst, was die Bürger in einer Demokratie brauchen, um mitwirken zu können.

2. Respektiere unsere Demokratie, deren Fundament die Kontrolle der Macht und der Mächtigen bildet. Fürchte nicht den Unmut der Mächtigen, wenn sie in ihrem Tun genau beobachtet werden; weiche nicht zurück vor ihrem Zorn, wenn sie ertappt werden; meide aber auch die Umarmung und zu große Nähe, die verführen und korrumpieren kann. Warte nicht darauf, dass die Nachrichten kommen, sondern grabe tief nach den Nachrichten, vor allem denen, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollen.

3. Respektiere aber auch die Integrität der Mächtigen, die – wie jeder andere – Anspruch auf Fairness haben, also gründliche Recherche, das Recht zur Stellungnahme, Unterscheidung von Nachricht und Meinung sowie Achtung vor ihrem Privatleben.

4. Respektiere die professionellen Regeln – also Achtung vor der Wahrheit, Wahrung der Menschenwürde und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit -, so wie sie im Pressekodex formuliert sind und vom Presserat kontrolliert werden.

5. Respektiere die Leser mit ihrem Anspruch, verständlich und umfassend informiert zu werden.

6. Respektiere den Wunsch der Leser, in ihrem Staat mitreden und mitwirken zu wollen. Ermutige die Bürger dazu – das ist das Gute, das jeder Journalist tun sollte. Räume den Lesern ausreichend Raum für ihre Meinungen, Anregungen und Kritik ein; verhindere keine Debatten, sondern rege sie an.

7. Respektiere den Wunsch der Leser, auch die Medien und die Redakteure kritisieren und kontrollieren zu wollen. Sei nicht der Oberlehrer, sondern der Partner und Treuhänder der Leser.

8. Respektiere die Gefühle der Leser, wenn Trauer und Leid über sie kommt. Respektiere ihre Weigerung, mit Journalisten zu sprechen und ihr Gesicht zu zeigen. Zerre nichts in die Öffentlichkeit, was ihr Leid, auch verschuldetes, noch leidvoller macht.

9. Respektiere die Ahnungslosigkeit von unerfahrenen Lesern, die oft weder die Wirkung ihrer Zitate noch die Tragweite ihres Handelns richtig einschätzen können.

10. Respektiere nicht nur die Leidenschaft der Menschen für ihre Heimat, sondern teile sie mit ihnen. Pflege eine kritische Nähe, die den Lesern zeigt: Es ist gut, hier zu leben, aber wir kritisieren, damit es noch besser wird.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 48-49 Ethik + 53 Was die Leser wollen)

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