Alle Artikel der Rubrik "Presserecht & Ethik"

Die Brandeins-Rüge und erste Folgen

Geschrieben am 21. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
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Die Brand-Eins-Affäre macht Journalisten wuschig: Wie viel PR ist denn in unseren Zeitungen und Magazinen drin, ohne dass es die Leser merken?

Im Überschwang der Kritik wird auch kritisiert, was selbst der Presserat in all seiner Verzweiflung nicht rügen würde: Ein Werbe-Beilage in der Süddeutschen Zeitung.

Hanna Sammüller schreibt dazu einen Tweet, retweetet von Daniel Bouhs:

Sonderbeilage der @SZ über „Ausgezeichnete Arbeitgeber“. Dass die aufgeführten Unternehmen alle eine Anzeige drin haben, ist sicher Zufall.

Wenig später macht sie Tobias Brunner auf einen Irrtum aufmerksam, und sie schreibt:

Ja, bei genauem Hinsehen ist es auch eine „Sonderveröffentlichung IN der SZ“ und nicht der „SZ“. Trotzdem ein bisschen lustig

Das schmale Magazin „Ausgezeichnete Arbeitgeber“, das am Samstag (20.10.2012) der Süddeutschen beiliegt, ist in der Tat sauber:

1. Das Layout hebt sich deutlich von dem der Süddeutschen ab.
2. Das Impressum weist als Verlag und Redaktion „DS Media Team“ aus Norderstedt aus. Die Süddeutsche Zeitung taucht allerdings als „Objektleitung“ auf: Was und wer ist das?
3. Auf dem Titel steht deutlich: „Eine Sonderveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung„, wobei Süddeutsche Zeitung nicht im Markendesign geschrieben ist.
4. Offenbar ist keiner der Autoren ein Redakteur der SZ. Es gibt überhaupt nur drei namentlich gekennzeichnete Artikel und ein Editorial von dem Autor des Buchs „Mach dein Ding!“ Die übrigen Texte sind ersichtlich in den PR-Abteilungen der Unternehmen entstanden – als Zugabe für eine Anzeige nach der Rechnung „Halbe oder ganze Seite Anzeige + halbe oder ganze Seite Text“; allerdings haben zwei Unternehmen eine ganze Seite Anzeige gebucht und nur eine halbe Seite Text bekommen.

In diesem Stil „Anzeigen + PR dazu“ werden viele Beilagen in Zeitungen – und unter Regie der Anzeigenabteilung – erstellt.

Mehr zur Brand Eins-Affäre morgen in diesem Blog.

(zu: Handbuch-Kapitel 51-52 Pressesprecher und PR)

Was reizt Sie so am Lokaljournalismus? Golombek-Interview

Geschrieben am 21. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.

Neuigkeiten zu verbreiten, reicht heute für eine Lokalzeitung nicht mehr aus, sagt Dieter Golombek. Vielmehr muss sie Debatten anstoßen und Voraussetzungen für gute Debatten schaffen. Die Journalisten dürfen sich jedoch vor niemandes Karren spannen lassen – und sich schon gar nicht zum Anwalt von Stammtischparolen machen.

Dieter Golombek ist der Gründer des Lokaljournalistenprogramms (in der Bundeszentrale für politische Bildung). Der große Förderer und Forderer des Lokaljournalismus ist Sprecher der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises. Am Rande der diesjährigen Preisverleihung sprach Paul-Josef Raue in Bonn mit Golombek.

Sie mögen die Stadt und das Dorf, die kleine Politik und die großen Fragen. Sie gelten als Pionier der Lokalzeitungen. Was reizt Sie so am Lokaljournalismus?

Dieter Golombek: Nirgendwo ist der Journalist den Menschen so nahe. Und in der Pflicht, die Bürger dazu einzuladen, „sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen“, wie es der frühere Bundespräsident Horst Köhler formuliert hat.

Hört sich nach einem Bildungsauftrag an?

Golombek: Das ist auch so. Es reicht für die Zeitungen nicht mehr aus, den Leser mit Neuigkeiten zu versorgen. Das schafft das Internet schneller. Informationen müssen immer wieder so komponiert werden, dass Orientierung entsteht.

Bei Themen, die die Menschen bewegen, wollen sie Bescheid wissen: Welche Folgen hat der demografische Wandel für meine Region, wie steht es um die Qualität von Pflegeheimen, wie kommen die Stadtwerke mit der Energiekrise zurecht und welche Folgen hat dies für meinen Geldbeutel? Solche Themen dürfen nicht im Klein-Klein der routinierten Lokalberichterstattung versanden. Sie brauchen Raum, um verständlich rüberzukommen.

Dann wollen die Leser doch mitreden?

Golombek: Ja. Und dafür hat die Zeitung die Voraussetzungen zu schaffen. Das ist ihr vornehmster Auftrag in einer Demokratie: Debatten anzustoßen und Voraussetzungen für gute Debatten zu schaffen mithilfe des guten alten Mediums Tageszeitung und mit Unterstützung der neuen medialen Möglichkeiten, dem Online-Auftritt ebenso wie Facebook und Twitter.

Zeitung soll Bündnisse eingehen mit der Konkurrenz?

Golombek: So ist es. Für Zeitungen eröffnen sich umso mehr Möglichkeiten, je weiter das Netz um sich greift. Online-Journalismus ist eine große Chance für die lokalen Tageszeitungen, mit den neuen medialen Möglichkeiten Leser und Nutzer zu Mitdenkern und Mitgestaltern zu machen.

Viele Leser verlangen von ihrer Zeitung, sie solle sich radikal auf ihre Seite stellen, ihr Anwalt sein im Kampf gegen Staat und Politiker.
Die Redakteure können es sich leicht machen, Politiker beschimpfen, Politik verächtlich machen und sich als Anwalt der Unzufriedenen in Szene setzen.

Das kommt bei vielen bestimmt gut an. Journalisten sind aber gehalten, genau zu recherchieren, Problemen auf den Grund zu gehen, auch zu zeigen, wie schwierig sich Entscheidungen oft gestalten, weil es nicht möglich ist, allen Anforderungen, Wünschen und Interessen gerecht zu werden. Journalisten dürfen sich auf keinen Fall zum Anwalt von Stammtischparolen machen.

Interview in der Thüringer Allgemeine vom 13. Oktober 2012 (Auszug)

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 53 Was die Leser wollen + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)

Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre

Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
19 Kommentare / Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

Bisweilen fällt es schwer, den Presserat zu schätzen. Seine Rüge gegen Brand Eins deckt die Schwächen des Presserats auf und lässt um seine Zukunft bangen.

Vorweg: Erstens – wir brauchen in Deutschland den Presserat. Zweitens – wir brauchen dringend eine Reform des Presserats.

Blicken wir kurz zurück: In der Adenauer-Ära wollte der Staat immer mehr die Presse kontrollieren, erwog staatliche Pressekammern, schlug vor fünfzig Jahren in der Spiegel-Affäre dramatisch zu und wurde erst 1966 vom Verfassungsgericht gebremst. Danach einigten sich Verleger und Journalisten auf eine Selbstkontrolle und übergaben dem Bundespräsidenten 1973 den Pressekodex.

Diese Selbstkontrolle sollten wir bewahren – aber ohne Selbstherrlichkeit, die in der Brand-Eins-Affäre wie in einem Brennglas sichtbar wird:

1. Transparenz fehlt – Die Sitzungen des Presserats finden hinter verschlossenen Türen statt; selbst die Beschuldigten werden nicht geladen. Der Einwand trägt nicht, ein höherer Aufwand sei den Ehrenamtlichen im Presserat nicht zumutbar. Immerhin geht es um die Ehre von Redakteuren, Zeitungen und Zeitschriften – und es gibt Telefon- oder Videokonferenzen. Vor allem: Was spricht gegen die Teilnahme der Beschuldigten?

2. Unschuldsvermutung fehlt – In Ziffer 13 des Pressekodex heißt es: „Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.“

Offenbar gilt er nicht für den Presserat. Der Beschuldigte kann sich zuvor nur schriftlich äußern, er kann nachher keine Beschwerde einlegen. Die Briefe des Presserats sind bisweilen kryptisch, die Vorwürfe nicht klar erkennbar. Erst nach dem Aussprechen der Rügen ist mitunter zu entdecken, wogegen sich eine Redaktion hätte wehren müssen.

Gerade kleinere Redaktionen tun sich schwer mit dem Verfahren und rutschen schnell in eine Mißbilligung oder Rüge hinein. Größere Redaktionen kümmern sich schon nicht mehr um den Presserat und lassen Anwälte oder ihre Rechtsabteilungen antworten (was nicht im Sinne der Selbstkontrolle der Journalisten ist).

Sinnvoll wäre eine Art Schlichtungsverfahren, wenn der Presserat auf eine Teilöffentlichkeit in den Sitzungen weiter verzichten will: Der Presserat entscheidet und gibt – nicht öffentlich – den Beschuldigten die Chance auf zu begründenden Widerspruch.

Unehrenhaft ist die Art der Verkündung durch eine Pressemitteilung. Nach der Geheimsitzung bekommt nicht der Beschuldigte die Entscheidung zugeschickt, vielmehr erfährt er es über Nachrichtenagenturen oder Mediendienste im Internet. Die Begründung wird nur bröckchenweise geliefert, erst Wochen später im vollen Wortlaut.

3. Unterstützung der Journalisten fehlt. – Die Arbeit in den Redaktionen wird immer schwieriger, vor allem durch den wirtschaftlichen Druck. Was ist journalistisch zulässig, ohne die Unabhängigkeit zu verlieren?

Redaktionen wie Verlagen suchen nach neuen Wegen, mit gutem Journalismus – und nicht selten auch mit schlechtem – Geld zu verdienen. Da ist den Redaktionen nicht mit Rügen geholfen, vielmehr brauchen sie klare Hinweise: Wo sind die Grenzen? Welchen Spielraum haben die Journalisten? Was müssen die Verlage tun?

Neue Geschäftsfelder suchen fast alle, nicht nur Brand Eins. Was ist mit „Euro extra“? Mit „Icon“ aus der Welt-Gruppe? Den Beilagen der FAZ wie „Auf in die Zukunft“? Der „Vinothek“ oder „Cinemathek“ der Süddeutschen? Der Beilage „Vital“ der Rheinischen Post?

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Will der Presserat jetzt endlos rügen? Oder den Redaktionen und Verlagen helfen?

Der schlechteste Weg ist der über die Juristen. Der Pressekodex ist eben kein Gesetz, sondern eine ethische Grundsatz-Erklärung, der Hippokratische Eid der Journalisten. Brand Eins wusste sich, offenbar zu Recht, nicht anders als juristisch zu wehren. Wenn das zum Normalfall wird, ist der Presserat als Selbstkontrolle der Journalisten am Ende.

Die Chronik der Brand-Eins-Affäre

Ende Juni 2012: Brand Eins erscheint, Abonnenten bekommen auch das Magazin beigelegt „Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft – Ein Magazin über die Pharmaindustrie“; das Magazin ähnelt dem Design von Brand Eins, ohne dass auf Brand Eins Bezug genommen wird oder auf dem Cover auftaucht.

27. September: Pressemitteilung des Presserats über die Rügen, die in der vergangenen Sitzung ausgesprochen worden sind

BRAND EINS wurde gerügt wegen eines Verstoßes gegen den in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebenen Grundsatz der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde. Das Heft unter der Überschrift ‚Hilfe! – Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft‘ wurde auf der Titelseite als „Ein Magazin über die Pharmaindustrie“ bezeichnet.
Der Beschwerdeausschuss sah mit dieser Publikation die gebotene klare Trennung von Redaktion und Werbung verletzt. Für den Leser erweckte sie den Eindruck einer Sonderausgabe von BRAND EINS. Es handelte sich jedoch um eine Auftragsproduktion, die von einem Verband finanziert wurde. Das Gremium ging davon aus, dass dessen Interessen Einfluss auf die Grundrichtung des Heftes genommen haben. Durch diese Art von Publikation und das dahinter stehende Geschäftsmodell gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.

Online ist die Passage zur Rüge gegen Brand Eins mittlerweile gestrichen. Die Rüge richtete sich gegen das Heft „Hilfe!“

28. September Deutschlandradio Kultur – Kulturnachrichten / Presserat rügt Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“

„Durch diese Art von Publikation gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.“ So urteilt der Deutsche Presserat über eine Beilage des Wirtschaftsmagazins „Brand Eins“ und hat ihm deshalb eine Rüge erteilt. Die Beilage wurde im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie erstellt. Nach Ansicht des Presserats entstand aber der Eindruck, es handele sich um eine Sonderausgabe von „Brand Eins“. Damit habe das Magazin gegen die Trennung von Redaktion und Werbung verstoßen.
28. September Pressemitteilung: brand eins rügt Presserat

Der Presserat hat gestern eine Pressemitteilung verbreitet, in der er über eine gegen brand eins ausgesprochene Rüge berichtet. Über die Rüge – die brand eins bisher nicht vorliegt – heißt es in der Pressemitteilung:

„Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins (sc. brand eins) hatte – im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben …“.

Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat abgegeben hat, wird ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um eine Publikation der Verlagstochter brand eins Wissen GmbH & Co. KG handelt.

Dabei handelt es sich um die Corporate Publishing-Gesellschaft der brand eins Medien AG, mit eigener Geschäftsführung und eigener Redaktion, die seit 2001 Publikationen im Auftrag erstellt. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins war zu keinem Zeitpunkt in die Arbeit an dieser Fremdproduktion involviert.

brand eins wird gegen die Falschmeldung des Presserats juristisch vorgehen.

 

2. Oktober von 1633 bis 16.36 vier Tweets von Brand Eins:

Der Presserat hat gegenüber brand eins eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Er verpflichtet sich, nicht weiter zu behaupten, dass brand eines eine Publikation im Auftrag der pharmazeutischen Industrie geschrieben habe.
Für den Fall der Zuwiderhandlung hat sich der Presserat zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet und zum Ersatz des der brand eines Redaktions GmbH & Co aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schadens.

Neben der Unterlassungserklärung verpflichtete sich der Presserat noch im Fall der Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe. Zudem ist der Trägerverein des Deutschen Presserats bereit, Brand Eins den aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schaden zu ersetzen.

 

4. Oktober: Meedia.de meldet im Nachtrag zum Bericht über die Unterlassungserklärung am 2. September:

Die Unterlassungserklärung bezieht sich allerdings nicht auf die Rüge, sondern nur auf eine Formulierung aus der Pressemitteilung. Diese lautete: „Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde.“

 

Pressekodex Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodizes + 51-52 Pressesprecher und PR + 20 Waschzettel und Verlautbarungen)

LINK: http://www.djv-brandenburg.de/cms/nachrichten/2012-10-15_Presserat-reformbedeuerftig.php

Lass ich mein Interview autorisieren? Ja, es wird besser

Geschrieben am 11. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.

Wir lassen keine Zitate mehr autorisieren!, verkündet Jill Abramson, die Chefredakteurin der New York Times. Ist das klug? Gar ein Vorbild für deutsche Zeitungen?

Nein, und es ist in der Regel eine Frage des Respekts und eine Frage der Qualität. Wenn ich meinem Gast anbiete, er könne Interview oder Zitat gegenlesen, dann sind die Chancen größer als das Risiko. Ich schenke meinem Gast Vertrauen und hoffe auf sein Vertrauen. Er erzählt mehr als einer, der um jeden Satz fürchten muss; er vergisst in vielen Fällen das Diktiergerät und ignoriert meinen Block.

Wenn ich jemanden aufs Glatteis führen will, dann muss er schon reichlich dumm oder verwegen sein – oder er wird übervorsichtig. Die Chance, so jemanden zu überlisten, liegt unter einem Prozent.

Die Qualität eines Interviews liegt nicht in der Enthüllung und dem Jubelschrei: Ich habe ihn überführt! Die Qualität eines Interviews liegt in der schönen Formulierung, in der feinen Entwicklung eines roten Fadens, in der Erklärung einer komplizierten Sache, in der Zeichnung einer Persönlichkeit, im zugespitzten Disput (wobei ein cleverer Gast scharfe, aber respektvolle Fragen schätzt, weil sie ihm die Chance zu einer klaren, aber auch scharfen Replik öffnet).

Das Lesen eines guten Interviews macht Spaß und bringt Gewinn. Nach einem guten Interview versteht der Leser entweder eine Sache oder einen Menschen besser.

Das geht aber meist nur, wenn ich selber nach einem guten, oft auch langen Gespräch zum Nutzen meiner Leser manipulieren darf; wenn ich das Wichtigste oder Unterhaltsamste an den Anfang stelle, obwohl es erst am Ende des Gesprächs gefallen ist; wenn ich alles kürze, oft das meiste, weil es wenig interessant ist; wenn ich zuspitzen und meine Fragen neu formulieren will.

Ich mache meinen Gast stark, und ich mache mich stark. So ist es nur fair, wenn ich meine Manipulationen dem Gast zur Kontrolle gebe mit dem Recht auf Änderung. Ich kämpfe um jeden Satz, wenn mir seine Änderungen nicht gefallen, weil sie den Charakter des Gesprächs fälschen. Am Ende des Kampfs – und ein Interview ist ein Kampf – entscheide ich, ob ich die Änderungen akzeptiere oder nicht.

Das Handelsblatt hatte nach einem Interview mit einem Banker den Kampf aufgegeben, aber nicht komplett: Es veröffentlichte nur die Fragen. Das war aber mehr journalistischer Hochmut als Aufklärung. Der Banker musste ja nicht antworten, und wahrscheinlich war er sich schon der Brisanz seiner Antworten bewusst und hatte Furcht vor den Folgen.

Bei einem Politiker wäre die Verweigerung ehrlicher Antworten allerdings von Bedeutung: Er hat dem Volk, das er vertritt, Rechenschaft zu geben, er hat zu erklären, und zwar verständlich und ohne Ausweich-Manöver. Ihn entlarvte die Liste der Fragen – ohne Antworten.

Ein weiterer Grund, ein Interview oder Zitat autorisieren zu lassen: Ich stelle sicher, dass es stimmt – gerade nach Gesprächen mit Wissenschaftlern oder Spezialisten, die Kompliziertes zu erklären haben. Der Redakteur liegt schnell daneben, wenn er verständlich sein will, wenn er Schweres einfach macht. Sicher werden Gespräche mit Wissenschaftlern oder Chefärzten nicht leicht, wenn sie ihre Fachausdrücke retten wollen und ihren guten Ruf bei den Kollegen; aber auch da gilt: Kämpfen für den Leser, der ein Recht hat, alles zu verstehen.

In den meisten Regionalzeitungen, erst recht in Lokalredaktionen sind die Fragen nach der Autorisierung eh recht theoretisch: Es gibt nur wenige Interviews und darunter noch zu viele banale – weil die Redakteure den Aufwand scheuen, ihnen die Routine fehlt und ein Training. Wenn sie im Lokalen ein Interview führen, dann oft ein kurzes zur Sache: Wie sind die neuen Öffnungszeiten im Zoo? Wann öffnet das Bürgerbüro auch am Abend? Wie werden die Anliegerbeiträge berechnet?

Meist sind die Antworten so hölzern, dass ein Bericht spannender zu lesen wäre als ein Interview. Zudem entstehen zu viele Interviews am Telefon oder sogar per Email. Beim schriftlichen Interview lade ich den Gast förmlich zum PR-Jargon ein; in der Tat werden viele Antworten in den Presseabteilungen geschrieben und vom Minister oder Bürgermeister noch nicht einmal vor dem Abschicken geprüft.

Es ist immer von Vorteil, wenn ich meinem Gast in die Augen schauen kann, sehe, wie sein Körper spricht – aber er auch mich beobachten kann.

Henning Noske, der Braunschweiger Lokalchef der Braunschweiger Zeitung, hat aus der Not des Lokalredakteurs eine Tugend gemacht: Das 5-Minuten-Gespräch, das auch im Blatt so genannt wird. Er sucht sich einen Gast aus, der etwas zu sagen hat oder prominent genug ist, er überlegt sich genau seine Fragen, hakt auch nach, sagt zuvor dem Gast, dass es keine Autorisierung geben wird, glättet nur die Ähs und Öhs und offensichtlichen Versprecher – und bekommt ein schnelles und in der Regel gut lesbares Interview.

(zu: Handbuch-Kapitel Das Interview)

Iranische Nachrichtenagentur fällt auf Satire rein

Geschrieben am 29. September 2012 von Paul-Josef Raue.

Falschmeldungen, gar Nachrufe zu Lebzeiten, gibt es, seit es Zeitungen gibt. Mit dem Internet steigt die Zahl rapide. Die iranische Nachrichtenagentur Fars News schaute in das amerikanische Magazin The Onion (Die Zwiebel), las dort: 77 Prozent der weißen Amerikaner würden laut Gallup-Umfrage Ahmadinedschad, den iranischen Präsidenten, lieber wählen als Obama – und verbreitete es, auch wieder übers Internet.

Nur –  Die Zwiebel ist ein Satire-Magazin und die Umfrage eine Fälschung.

Zu „Fehler im Journalismus“ zitiert das Handbuch Studien, nach denen die Hälfte aller Artikel nicht korrekt sind (Seite 96).

(Quelle: Spiegel Online, 28.9.2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 17 Die eigene Recherche + 19 Die Nachrichtenagenturen + 38 Die Satire)

Papst und Mohammed: Wie viel Beleidigung ist erlaubt?

Geschrieben am 28. September 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 28. September 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Wie geht Deutschland mit Beleidigungen um, die fromme Menschen treffen – ob Mohammed oder Papst? Der Presserat rügt.

182 Beschwerden lagen dem Presserat vor zum Titelbild der Titanic, auf dem Papst Benedikt XVI. in gelb befleckter Soutane als inkontinent und mit Fäkalien beschmiert zu sehen ist; die Überschrift lautet: „Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!“ Auf der Rückseite der Zeitschrift ist der Papst mit braun befleckter Soutane zu sehen.

Der Presserat rügt: Entwürdigend und ehrverletzend und beruft sich auf Ziffer 9 des Pressekodex:

Schutz der Ehre
Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.

Die Begründung des Presserats:

Zwar hat Satire die Freiheit, Kritik an gesellschaftlichen Vorgängen mit den ihr eigenen Stilmitteln wie Übertreibung und Ironie darzustellen. Im vorliegenden Fall wurde die Grenze der Meinungsfreiheit jedoch überschritten. Das Gremium sah keinen Sachbezug zur Rolle des Papstes in der „Vatileaks“-Affäre gegeben. Die Person Joseph Ratzinger wird von Titanic als „undichte Stelle“ tituliert und durch die befleckte Soutane der Lächerlichkeit preis gegeben. Dies ist nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Auch Leser von Zeitungen zürnen und plädieren in der Thüringer Allgemeine für eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit:

Die geplante Veröffentlichung eines Anti-Islam-Videos und von Mohammed-Karikaturen ist kein Beitrag für ein friedliches Nebeneinander von Volksgruppen mit unterschiedlicher Religion. Immerhin gehört der Islam nun auch zu Deutschland. Mit Meinungs- und Redefreiheit ist eine derartige Beleidigung und verletzende Provokation wohl kaum zu begründen.

Das bereits lädierte Ansehen der westlichen Welt im islamischen Raum muss nicht noch weiter geschädigt werden. Medien, die diese o.g. Veröffentlichung vornehmen, sollten für entstehende Kosten (z.B. für Polizeieinsätze) und Schäden infolge von Gegendemonstrationen haftbar gemacht werden.

TA-Chefredakteur Paul-Josef Raue (und Autor dieses Blogs) antwortet:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich als allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

So beginnt der Artikel 5 unseres Grundgesetzes, in dem das wohl bedeutendste Freiheits-Recht der Menschen zementiert wird. Geschrieben wurde das Grundgesetz nach den Erfahrungen der Nazi-Diktatur, die bestimmte, was die Menschen zu sagen, zu lesen und zu sehen hatten.

Auch arabischen Staaten, auch die meisten Diktaturen haben die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ unterschrieben; dort lesen wir in Artikel 19:

„Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

„Ich lass mir den Mund nicht verbieten!“ Das war der Antrieb für viele Menschen in der DDR, einen besseren Staat und eine bessere Verfassung zu fordern – eben für die Freiheit einzutreten, wenn man die Grenzen achtet, etwa zum Schutz der Jugendschutz oder der persönlichen Ehre.

Wir dürfen uns die Freiheit nicht nehmen lassen von Staaten, in denen Freiheit kein hoher Wert ist und in denen die Bürger eben keine Meinungs- und erst recht keine Pressefreiheit genießen. Wen außer uns sollten sich Menschen zum Vorbild nehmen, die staatliche oder religiöse Bevormundung leid sind?

Aufgeklärte Menschen können auch mit Beleidigung der Religion umgehen – ohne zu zündeln und zu toben. Wie viel Antipathie schlug beispielsweise dem Papst vor seinem Besuch in Thüringen entgegen.

Wir haben alle Meinungen, auch extreme, in der Zeitung veröffentlicht, wir haben Meinungen aufeinander prallen lassen, wir haben darüber heftig debattiert wie zivilisierte und tolerante Bürger, die den Schutz einer der besten und freiesten Verfassungen genießen.

Diese Verfassung sollten wir nicht lädieren lassen, erst recht nicht von Machthabern und Demagogen, die ihr Volk dumm halten und aufwiegeln.(TA, 29.9.2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire + 49 Wie Journalisten entscheiden sollten + Service B Medien-Kodizes)

Main-Post: Falsche Überschrift zu Bettina Wulff

Geschrieben am 11. September 2012 von Paul-Josef Raue.
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Immer mehr Dementis und Entschuldigungen, offenbar aus Furcht vor Unterlassungserklärungen usw.. Die Würzburger Main-Post schreibt heute online (11. September 2012):

Bettina Wulff gab bei Gericht eine eidesstattliche Erklärung ab, wonach alle Behauptungen über ihr angebliches Vorleben als Prostituierte oder als sogenannte Escort-Dame falsch seien, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete.

mainpost.de überschrieb diese Meldung mit der Frage „War Bettina Wulff eine Prostituierte?“ Da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Frau des Ex-Bundespräsidenten jemals als Escort-Dame tätig war und die Behauptungen dazu allem Anschein nach einer Verleumdungskampagne entstammen, gibt es für die Frage in der Überschrift keine Berechtigung. Die Überschrift war falsch und wurde nach kurzer Zeit auf mainpost.de berichtigt.

mainpost.de entschuldigt sich bei seinen Leserinnen und Lesern und natürlich auch bei Frau Wulff für diesen Fehler.

(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik)

Bettina Wulff: Gerücht, Süddeutsche & Boulevard

Geschrieben am 8. September 2012 von Paul-Josef Raue.
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„Arbeitete Bettina Wulff im Rotlichtmilieu?“, fragt heute (8. September 2012) die Süddeutsche Zeitung. Das Gerücht wabert seit Jahren, im Internet füllt es Abertausende von Einträgen, aber erst heute gelangt es in die Schlagzeilen wie auf der Titelseite von Bild: „Bettina Wulff wehrt sich gegen Huren-Gerüchte“.

Der Boulevard kannte die Gerüchte, hat  recherchiert, aber nichts gedruckt. Offenbar ging es um die Recherchen und das Huren-Gerücht auch im Telefonat, das Bundespräsident Wulff mit Kai Diekmann, dem Chefredakteur von Bild,  im Dezember führen wollte.  Wulff sprach auf die Mailbox, geriet  außer sich und verspielte seinen Kredit bei der Öffentlichkeit, die ihm lange gewogen geblieben war.

Liest man heute in der SZ Hans Leyendeckers Report auf Seite-3, dann ging es offenbar um das Huren-Gerücht, als Wulff den Diekmann beschimpfte und tobte: Für mich und meine Frau ist der Rubikon überschritten!

Auffällig ist: Diesmal ist  die Süddeutsche informiert, während nach Wullfs Wutausbruch auf Diekmanns Mailbox die FAZ  informiert war  und darüber berichtete,  lang und breit und oft zitiert. So spielen offenbar der Boulevard und die seriösen Überregionalen Pingpong, als wäre es das Normalste in unserer kleinen Medienwelt.

Bild nennt Hans Leyendecker heute „Star-Reporter der SZ“. Auf jeden Fall kannte Bild vorab die SZ-Geschichte, sonst hätte sie nie so ausführlich den Star-Reporter zitieren können. Auch die FAZ zitiert die SZ auf der zweiten Seite – mit einem Kommentar zur EZB.

Warum schreiben heute die SZ + Bild auf der Titelseite, die eine unten, die andere oben, von der angeblichen Hure? Das Netz ist seit langem dem Gerücht auf den Leim gegangen, die Berliner Zeitung brachte es andeutungsweise kurz vor Weihnachten, gefolgt von Jauch in seiner Talkshow  („Jetzt fragt sich jeder, ob da noch mehr kommt“) und dem Dementi von Bild-Vize-Chefredakteur Nikolaus Blome („Kompletter Quatsch“).

Warum heute? Bettina Wulff will darüber noch im September in ihrem Buch berichten, schreiben die SZ + Bild.

Warum so ausführlich, beide zusätzlich auf einer Seite im Innenteil? Weil  die Journalisten, die sich so lange zurückhalten mussten oder wollten, endlich die Geschichte um die angebliche Pretty Woman in aller Breite schreiben können – im Stil des Biedermanns, der das alles so gräßlich findet. Oder ist es gar Reue, dass man Bettina Wulffs Gatten, sorgsam recherchiert,  aus dem Amt geschrieben hatte?

Und: Hatte nicht Hans Leyendecker vor wenigen Wochen den Nannen-Preis für exzellente Recherche abgelehnt, weil auch Bild ihn wegen der wasserdichten Wulff-Recherchen bekam?

Immerhin kannte Hans Leyendecker, der zusammen mit Rald Wiegand schreibt, sogar Intimes von den Wulffs, das sich liest, als wäre er dabei gewesen:

„Es gab Beziehungen, die sie hatte, aber nicht im Rotlicht. Sie hat mit ihrem Mann am Anfang ihrer Beziehung über ihre früheren Partner geredet. Und er über seine Partnerinnen. Jeder hat ein Vorleben.“

Bildschön und selbstbewusst sei Bettina Wulff schreibt Bild heute (ohne einen Autoren des Textes zu nennen), blond und tätowiert, mit Modelmaß.

 

Handbuch, Seite 214:

Ein Hauch von Boulevard weht selbst durch die ernsthaftesten deutschen Zeitungen. (Werner Meyer)

 

(zu: Handbuch-Kapitel  35 Der Boulevardjournalismus  + 48-50 Presserecht und Ethik)

Darf Porträtfoto aus SchülerVZ in Zeitung gedruckt werden?

Geschrieben am 4. September 2012 von Paul-Josef Raue.
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Darf eine Zeitung das Foto einer Dreizehnjährigen drucken, die in den Alpen von einem Eisblock erschlagen worden war? Die Eltern hatten keine Zustimmung gebeben für die Veröffentlichung eines Porträt-Fotos aus dem Internet (Schüler-VZ).

Anton Sahlender, Leser-Anwalt der Main-Post (Würzburg), schreibt dazu in seinem Blatt (3. September 2012):

Zuletzt habe ich hier eine journalistische Pietätlosigkeit geschildert. Das Bild einer verunglückten jungen Frau war wider den Willen ihrer Eltern veröffentlicht worden. Denen konnten Richter trotzdem keine Entschädigung zusprechen. Die Rechtslage ließ es nicht zu.

Hier gewinnt die freiwillige Selbstkontrolle der Medien für die Genugtuung Hinterbliebener an Bedeutung. Das zeigt ein Fall, in dem der Deutsche Presserat eine Rüge aussprach.

Zwei Boulevardblätter berichten über den tödlichen Unfall eines Mädchens, das mit seinem Vater Urlaub in den Alpen gemacht hatte. Die Dreizehnjährige starb, als sich ein Eisblock löste und sie unter sich begrub. Beide Zeitungen drucken ein Foto der Verunglückten, nennen ihr Alter und ihren Wohnort, außerdem den Vornamen des Vaters, dessen Alter und seinen Beruf.

Der Vater des toten Mädchens sieht dadurch Persönlichkeitsrechte verletzt. Die Familie sei in ihrer näheren Umgebung identifizierbar. Das Foto sei ohne Einwilligung der Familie verwendet worden. Die Zeitungen hätten es aus dem Internet illegal entnommen.

Die Rechtsabteilung des Verlags, in dem beide Zeitungen erscheinen, betont das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, auch weil die Zeitungen die Frage aufgeworfen haben: War es möglicherweise Leichtsinn, der zu dem tragischen Geschehen geführt hat? So seien auch die Foto-Veröffentlichungen nicht zu beanstanden, ebenso wenig die Bildbeschaffung aus dem Internetportal „SchülerVZ“.

Die später Verunglückte habe das Bild selbst eingestellt und es somit für die Öffentlichkeit freigegeben. In seinem Profil habe das Mädchen auch etliche private Details über sich preisgegeben. Der Zugang zum Foto sei freigegeben gewesen. Von illegaler Entnahme könne keine Rede sein.

Der Presserat entschied: Die Zeitungen haben gegen Persönlichkeitsrechte verstoßen, weil sie das Foto des verunglückten Mädchens abdruckten. Dafür gebe es kein öffentliches Interesse. Auch die Familie durfte nicht öffentlich gemacht werden.

Der Familienausflug rechtfertige es nicht, über den Vater der Getöteten detailliert zu berichten. Über die Entnahme des Fotos aus einem sozialen Netzwerk hat der Presserat nicht entschieden. Aber für die Veröffentlichung des Bildes sprach er eine nicht öffentliche Rüge aus, nicht öffentlich deshalb, weil die Familie nicht ein weiteres Mal dadurch belastet werden sollte. Das heißt, die Medien mussten die Rüge nicht abdrucken, was bei einer öffentlichen Rüge notwendig gewesen wäre (0273/10/2-BA und 0275/10/2-BA).

(zu: Handbuch-Kapitel 50 Presserecht)

Ganz viel „Umfeld“: Journalisten und Gerüchte

Geschrieben am 2. September 2012 von Paul-Josef Raue.
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„Weidmann hat Rücktritt erwogen“, titelt die FAZ in der Samstagausgabe (1.9.2012) und gibt als Quellen an: „Entsprechende Gerüchte wurden am Freitag im Umfeld der Bundesbank bestätigt.“

Die Quellenlage ist dünn: Umfeld der Bundesbank; dann folgen, alle im Konjunktiv, „die Bundesregierung“ und auch Weidmann, aber nicht als direkte Quelle, sondern als Zitat aus einem länger zurückliegenden Gespräch, das offenbar nicht veröffentlicht wurde.

Erst am Ende des langen Dreispalters kommen offizielle Quellen zu Wort: Der Sprecher der Bundesregierung sagt nichts („Sie müssen Herrn Weidmann dazu befragen“); die Bundesbank (wer?) kommentiert auch nichts.

Es bleibt rätselhaft: Das durch nichts als durch Gerüchte erhärtete „Erwägen“ des Bundesbank-Präsidenten, wird kommentiert als „Ungeschicklichkeit“ – wobei unklar bleibt, wer ungeschickt war. Im Kommentar wird dann endgültig das Gerücht zur Wahrheit („Gleichwohl ist verständlich, dass … Weidmann über einen Rücktritt nachgedacht hat“) und suggeriert, dass Weidmann die Quelle ist. So viel Raunen ist ungewöhnlich, zumal für eine überregionale Zeitung von Gewicht, aber nicht verwerflich.

Journalisten dürfen auch ein Gerücht an ihre Leser weiterreichen. Im Pressekodex, Ziffer 2, ist zu lesen: „Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“

Doch gelten auch für das Verbreiten von Gerüchten Mindestanforderungen: Der, den die Gerüchte treffen, muss befragt werden; wenn er nichts antwortet, muss dies auch der Leser erfahren.

(zu: Handbuch-Kapitel 17 Die eigene Recherche)

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