Geld gegen Gold – Der Innenminister will nicht informieren
Innenminister Friedrich spielt auf Zeit: Er will während der Olympischen Spiele keine Informationen liefern, welche Medaillen-Vorgaben sein Ministerium mit dem Sportbund ausgehandelt hatte. Dieses Geld-gegen-Gold-Geheimabkommen darf nicht geheim bleiben, so hatte das Verwaltungsgericht Berlin entschieden (siehe Handbuch-Blog vom 3. August)
Der Minister hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt, das Oberverwaltungsgericht muss entscheiden. Das berichtet „Der Westen.de“ der WAZ-Gruppe.
Den Minister vertritt nach WAZ-Informationen „die bekannte (und sehr teure) Kanzlei Redeker Sellner Dahs“, die auch Ex-Bundespräsident Christian Wulff vertreten hat.
(zu: Handbuch-Kapitel 17-18 Wie Journalisten recherchieren + 50 Presserecht)
„Google gefährdet die freie Presse“
Google warnt die deutschen Verleger, die ein Leistungsschutzrecht fordern, vor einem „Eingriff in die Informationsfreiheit“. Einer der Verleger, Harald Wahls aus Braunschweig, widerspricht: „Die Auswertung und Nutzung dieser fremd erbrachten Leistung (Verlag/Autor) für ein eigenes Geschäftsmodell (Google und Co.) ist ein parasitäres Verhalten.“
Wahls greift Google direkt an: „Google ist ein kalifornisches Unternehmen, unterhält in Deutschland nur wenige Arbeitsplätze, zahlt kaum Steuern, verhandelt nicht mit Gewerkschaften und gefährdet Zigtausende von journalistischen Arbeitsplätzen in den Verlagen. Deutsche Verlage sind Tarifpartner der Gewerkschaften, beschäftigen viele Tausende von Journalisten, nehmen ihnen das eigene unternehmerische Risiko ab, zahlen ihnen sichere und gute Gehälter.“
Mit Harald Wahls, dem Geschäftsführer des Braunschweiger Zeitungsverlags, sprach BZ-Chefredakteur Armin Maus über das Leistungsschutzrecht für Presseverlage:
Die Zeitungsverlage fordern ein eigenes Leistungsschutzrecht. Die Bundesregierung will es nun schaffen. Warum die Extrawurst?
Wahls: Ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist keine Extrawurst, sondern schließt eine Lücke, da die Presseverlage im Onlinebereich heute schlechter gestellt sind als Werkvermittler in anderen Branchen.Warum reicht Ihnen das Urheberrecht nicht?
Wahls: Das Urheberrecht schützt den Autoren, berücksichtigt jedoch nicht ausreichend die Vervollkommnung des Herstellungsvorgangs von Presseprodukten. Diese verlegerische Leistung ist bisher juristisch ungeschützt.
Deshalb muss dieser Bereich durch ein Leistungsschutzrecht zusätzlich zum eigentlichen Urheberrecht geregelt werden. Andere Kreativbranchen, wie zum Beispiel die Filmindustrie, sind bereits seit den 60er Jahren geschützt.Kritiker sagen, die Verlage dürfen sich nicht wundern, wenn Google und andere Aggregatoren die Zeitungsinhalte nutzen. Schließlich stellen die Verlage sie gratis ins Netz. Stimmt der Vorwurf?
Wahls: Der Vorwurf ist absurd. Die Verlage stellen ihre Inhalte zur Gratis-Nutzung für die Endverbraucher ins Netz. Dieses Verhalten stammt aus der Experimentierphase des Internets, wo alle Inhalte frei waren und die Zeitungsverlage ihre Webangebote als Ergänzungsservice zu ihren gedruckten Zeitungen betrachtet haben.
Dieses verändert sich, je mehr Menschen sich nur noch im Internet informieren und keine Zeitung mehr abonnieren. Damit wird das kostenlose Internetangebot für die Verlage ruinös.
Die wirtschaftliche Ausbeutung einer fremden Leistung, durch Google, ist ein Rechtsbruch, der schick erscheint, aber gerade Deutschland mit seinen vielen geistigen Patenten ins Mark trifft. Lassen wir dieses in der Zukunft weiter zu, müssen wir uns nicht wundern, wenn Patentklau und Raubkopieren in unserer Gesellschaft nur als Kavaliersdelikte betrachtet werden.Die Zeitungen setzen für Ihr Geschäft auf journalistische Inhalte, Google erzeugt keine Inhalte, verdient aber an der Werbung in diesem Umfeld. Klingt ungerecht.
Wahls: Das ist es auch. Die Auswertung und Nutzung dieser fremd erbrachten Leistung (Verlag/Autor) für ein eigenes Geschäftsmodell (Google und Co.) ist ein parasitäres Verhalten. Aktuell hat der Pressesprecher von Google, Kay Oberbeck, sogar unsere Argumente indirekt bestätigt. Er verweist darauf, dass pro Minute 100000 Clicks von Google in Richtung Verlagswebsites weitergeleitet würden. Daran können Sie erstens sehen, wie nachgefragt dieser journalistische Content ist, und zweitens sehen Sie daran, welche immensen Umsätze Google mit seinen umfeldorientierten Werbeangeboten auf diesen Übersichtsseiten verdienen muss. Daran lässt Google aber die Verlage nicht teilhaben. Google nutzt diese fremdproduzierten Inhalte, um sich daran zu bereichern. Google gewährt den Produzenten der Inhalte keinen Anteil an der Wertschöpfung.Was hat das mit den Bürgern zu tun? Gegner des Leistungsschutzrechts sagen, der Plan gehe gegen die Verbraucherinteressen.
Wahls: Google ist ein kalifornisches Unternehmen, unterhält in Deutschland nur wenige Arbeitsplätze, zahlt kaum Steuern, verhandelt nicht mit Gewerkschaften und gefährdet zigtausende von journalistischen Arbeitsplätzen in den Verlagen. Deutsche Verlage sind Tarifpartner der Gewerkschaften, beschäftigen viele Tausende von Journalisten, nehmen ihnen das eigene unternehmerische Risiko ab, zahlen ihnen sichere und gute Gehälter.
Eine unabhängige deutsche Presse ist dezentral organisiert, es gibt keine staatlichen Einflüsse durch Landesmedienanstalten. Dies haben die Väter des Grundgesetzes so gewollt, um die Unabhängigkeit vom Staat und von der Politik sicherzustellen. Millionen von Arbeitsplätzen sind so über die Jahrzehnte geschaffen worden. Das Geschäftsmodell von Google wertet diese unternehmerische Leistung für sich aus und gefährdet damit eine freie und dezentral organisierte Presse.Können Sie sich erklären, warum der Bundesverband der Deutschen Industrie gegen das Leistungsschutzrecht ist? Man sollte doch meinen, dass er die Bedeutung des Schutzes geistigen Eigentums in deutschen Unternehmen kennt – viele klagen ja über Produktpiraterie und Patentdiebstahl.
Wahls: Unsere Branche war sehr irritiert über die Bemerkungen des BDI. Der Verband verlangt Präzisierungen. Das finde ich verständlich, jedoch kann man auch eine andere Zielsetzung für die getroffen Aussagen unterstellen. Die Kritik an dem Leistungsschutzrecht ist meines Erachtens leider durch ein elementares Eigeninteresse des BDI getrieben. Auch Verbände nutzen für die Mitglieder-Pressespiegel den Umstand, fremde Leistungen kostenlos auszuwerten. Hier scheint der Eigennutz vor der gesellschaftlichen Aufgabe des Verbandes zu überwiegen. Sonst wäre ein derartiges Verhalten nicht zu erklären. Die Argumente jedenfalls, die der BDI in diesem Zusammenhang vorgetragen hat, sind kaum substanziell zu untermauern.
aus der Braunschweiger Zeitung vom 6. August 2012
(zu: Handbuch-Kapitel 5 „Internet-Revolution“)
Noch nie war Journalismus so wichtig (dapd-Interview 6)
Können Sie jungen Leuten noch dazu raten, Journalisten zu werden?
fragt Ulrich Meyer im dapd-Interview. Raue antwortet:
Ja und nochmals: ja – wenn ein junger Mensch mit Leidenschaft für diesen Beruf brennt. Nein – wenn ein junger Mensch den Typ Beamten schätzt in Habitus, Denken und Sein.
Noch nie war der Beruf so spannend und noch nie so wichtig wie heute: Im digitalen Zeitalter muss die Freiheit und Unabhängigkeit und Verständlichkeit des Journalismus mit neuen Mitteln verteidigt werden. Die Ideen dafür bringen die jungen Journalisten mit, die mit Neugier und Lust am Experiment starten und von den alten lernen, dass die Demokratie starke Journalisten braucht und wir Journalisten eine starke Demokratie brauchen.
Zum ersten Mal in der Ausbildung lernen die Alten – die Profis der analogen Welt – von den Jungen – die technisch Versierten der digitalen. Das müsste der Beginn einer wunderbaren Partnerschaft sein.
Die Alten schrieben in der Gewissheit: Wir füllen unbehelligt den Raum zwischen den Anzeigen – und vergaßen, dass Zeitungen immer kommerziell waren, einst abhängig von Werbung, bald von den Lesern oder von „Nutzern“, wie Leser digital heißen.
Der Raum zwischen den Anzeigen ist mittlerweile so groß geworden, dass so manche Redaktion von Werbe-Einnahmen allein nicht mehr finanziert werden kann. Wir brauchen also neue Finanzierungen. Die müssen die Jungen finden, ohne dabei die Vernunft des Journalismus zu verraten.
(aus einem dapd-Interview, das am 3. August gesendet wurde)
(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“ + 2-3 „Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)
Wer sich nach seinen Lesern richtet, stärkt die Zeitung (dapd-Interview 5)
„Journalismus gilt vielen als die richtige Strategie. Wie lässt sich das finanzieren?“
fragt Ulrich Meyer im dapd-Interview. Raue antwortet:
Wenn wir immer besonnen gearbeitet hätten, ginge es uns zurzeit besser. Wir verlieren ja nicht – oder zumindest: nicht nur – wegen des Internets, sondern wegen unseres Hochmuts, unsere Leser nicht ernst zu nehmen.
Die Auflagen rutschten schon, als nur wenige das Internet kannten und noch weniger nutzten. Die Auflagen rutschen selbst dort, etwa im Osten, wo das Internet am wenigsten verbreitet und am wenigsten schnell ist.
Früher klagten nicht wenige Redakteure, sie stünden unter der Knute der Anzeigenabteilung. Heute klagen sie, sie stünden unter der Knute der Leser, die nur für das zahlen, was wertvoll ist. Immer schon galt: Wer sich an seine Werbekunden anpasst, hat die Zeitung und den unabhängigen Journalismus aufgegeben. Wer sich dagegen nach seinen Lesern richtet, stärkt die Zeitung und den unabhängigen Journalismus.
(aus dapd-Interview vom 3. August 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“ + 5 „Die Internet-Revolution“, darin: Das Internet wirbelt den Journalismus durcheinander)
Nicht nur Augen verraten einen Menschen, auch Schuhe
Früher legte man einen fetten schwarzen Balken über die Augen, um einen Menschen unkenntlich zu machen. Die Augen verraten alles, vermuteten wir; aber Gorbatschow konnte jeder auch erkennen, wenn man seine Augen verschwinden ließ. Heute kann man das Gesicht pixeln, so dass kein Mensch, vor allem nicht Juristen einen Menschen identifizieren können.
Aber das reicht nicht. Die Münchner Boulevardzeitung tz muss laut Entscheidung des Amtsgerichts einer Frau 1200 Euro zahlen, weil zwar ihr Gesicht auf einem Foto nicht zu erkennen war, aber ihre Schuhe sie verrieten. Die müssen so unverwechselbar gewesen sein, dass eine Zuschauerin beim Prozess vor dem Landgericht rief: „Das ist doch die aus der Zeitung!“
Die Frau, die nun Schmerzensgeld bekommt, war lediglich zum Prozess gegen ihren Freund zum Landgericht gekommen. Pech für die Zeitung: Die Frau trug dieselben Schuhe wie auf dem gepixelten Foto in der Zeitung. Das Urteil ist rechtskräftig.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung, 3. August 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel 50 „Presserecht und Ethik“)
Gericht: Olympioniken-Chef muss Journalisten Auskunft geben!
Die Journalistenvereinigung netzwerk recherche fordert Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und den Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, auf: Legt die Medaillen-Zielvorgaben für die deutschen Athleten bei den Olympischen Spielen ohne weitere Verzögerung offen!
Die Journalisten Daniel Drepper und Niklas Schenck hatten bei einer Recherche für die WAZ-Mediengruppe vor dem Verwaltungsgericht Berlin erstritten, dass das Innenministerium die Medaillenziele offenlegen muss.
Das Gericht hat zweifelsfrei erklärt, dass die Auskünfte jetzt erteilt werden müssen. Die Offenlegung hinauszuzögern, bis die Spiele in London vorbei sind, wäre in höchstem Maße unsportlich,
erklärt Oliver Schröm, Vorsitzender von netzwerk recherche. Mehr als 10 Millionen Euro an Steuergeldern werden jährlich über die Zielvereinbarungen an die Sportverbände verteilt. „Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, unter welchen Voraussetzungen dies geschieht“, so Schröm.
Michael Vesper war übrigens Gründungsmitglied der Grünen.
(Aus einer Pressemitteilung von Netzwerk-Recherche)
Darf ein Reporter Löws Hotelzimmer durchsuchen? Oder: Die Jagd nach dem blauen Pullover
Journalisten durchsuchen Löws Papierkorb im Warschauer EM-Mannschaft-Hotel, finden darin den blauen Pullover, zuvor zum Kultobjekt des deutschen Siegeswillen erhoben.
Hatte Löw ihn nach der Italien-Niederlage wütend weggeworfen? Nein, sagen Löws Begleiter, er war in der Wäsche eingelaufen. Und andere Begleiter zitiert die Süddeutsche: Ein Tabubruch! Dass Reporter und Fotografen das Hotelzimmer des Bundestrainers nach seiner Abreise durchwühlen, das ist noch nie vorgekommen!
Die Durchsuchung ist rechtlich am Rande der Zulässigkeit, aber ein Tiefpunkt der journalistischen Moral.
(Quelle: SZ 28. Juli 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel 48-49 Presserecht und Ethik)
„Jetlag-Journalismus“
Manchmal fallen Reporter zum ersten Mal in ein fremdes Land ein und setzen noch am selben Tag ihren ersten Hintergrundbericht ab. Im angelsächsischen Sprachraum gibt es für diese zweifelhafte Praxis einen wunderbaren Begriff: jetlag journalism. Will sagen: Wer sich erst ein paar Stunden vor Ort tummelt, solle vielleicht doch etwas vorsichtiger sein mit apodiktischen Urteilen über unbekannte Kulturen und Gesellschaften.
Bernd Ziesemer im Handelsblatt vom 25. Juni 2012
(zu: Handbuch-Kapitel 2 „Welche Journalisten wir meinen und welche nicht“)
Das Motto der Richterin: „Audiatur et altera pars“
Das Lebensmotto einer hohen Richterin könnte gut das Motto eines überzeugten Journalisten sein. Angelika Nussberger ist die einzige deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte:
Vielleicht könnte ich für meine richterliche Tätigkeit ein Motto nennen, ein sehr einfaches Motto, dessen Richtigkeit sich für mich aber immer wieder von Neuem erweist: „Audiatur et altera pars.“
Als Richter muss man in erster Linie zuhören und zu verstehen versuchen. Und man darf keine Schlussfolgerungen ziehen, bevor man sich nicht mit allen verschiedenen Sichtweisen vertraut gemacht hat.
Interview von Michaela Thiel auf der Alumni-Seite der Uni Würzburg
(zu: Handbuch-Kapitel 17-18 „Wie Journalisten recherchieren“)
Wie finde ich heraus, wer meine Texte stiehlt?
Die „Redaktion.de“, betrieben von der Deutschen-Post, ist ein Online-Marktplatz, die wohl größte Börse für Journalisten, in der sie ihre Texte nicht nur anbieten, sondern auch vermarkten können. Mehr als 1000 Journalisten und Autoren, nach eigenen Angaben, bieten ihre Texte an.
In ihrem aktuellen Newsletter weist „redaktion.de“ auf den kostenpflichtigen „PlagScan“ hin, der einen Text mit veröffentlichten Dokumenten vergleicht und Kopien entdeckt.
(zu: Handbuch-Kapitel 5-10 „Der Online-Journalismus“)
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