Gericht: Olympioniken-Chef muss Journalisten Auskunft geben!

Geschrieben am 3. August 2012 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 3. August 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

Die Journalistenvereinigung netzwerk recherche fordert Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und den Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, auf: Legt  die Medaillen-Zielvorgaben für die deutschen Athleten bei den Olympischen Spielen ohne weitere Verzögerung offen!

Die Journalisten Daniel Drepper und Niklas Schenck hatten bei einer Recherche für die WAZ-Mediengruppe vor dem Verwaltungsgericht Berlin erstritten, dass das Innenministerium die Medaillenziele offenlegen muss.

Das Gericht hat zweifelsfrei erklärt, dass die Auskünfte jetzt erteilt werden müssen. Die Offenlegung hinauszuzögern, bis die Spiele in London vorbei sind, wäre in höchstem Maße unsportlich,

erklärt Oliver Schröm, Vorsitzender von netzwerk recherche. Mehr als 10 Millionen Euro an Steuergeldern werden jährlich über die Zielvereinbarungen an die Sportverbände verteilt. „Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, unter welchen Voraussetzungen dies geschieht“, so Schröm.

Michael Vesper war übrigens Gründungsmitglied der Grünen.

(Aus einer Pressemitteilung von Netzwerk-Recherche)

„Wir fahren nicht auf der Titanic“ (dapd-Interview 1)

Geschrieben am 3. August 2012 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 3. August 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Ausbildung, Online-Journalismus.

Die Nachrichtenagentur dapd kündigt ein langes Interview an, das heute gesendet wird:

Erfurt (dapd-lth). Der Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, Paul-Josef Raue, bezeichnet Google und Facebook als „Schmarotzer“. Diese Internetmedien seien „gemeingefährlich“ und „mächtig“, sagte er im dapd-Interview in Erfurt. Die Verlagsbranche habe sich von der Entwicklung im Internet überrollen lassen. „Hätten sich die großen Verlage, vor allem in den USA, wo alles begann, dieselben Gedanken gemacht wie Steve Jobs und Mark Zuckerberg, wären diese gigantischen, die Freiheit bedrohenden Netze unter Kontrolle von Journalisten und weisen Verlegern“, sagte Raue.

Ein Auszug aus dem Interview, das dapd-Redakteur Ulrich Meyer führte:

Sind Google und Facebook nur Schmarotzer oder symbiotische Partner der „klassischen“ Medien?

Raue: Sie sind Schmarotzer, sie sind gefährlich, gemeingefährlich, aber sie sind da, und sie sind mächtig. Wir sollten sie nutzen, benutzen, aber nicht mehr. Hätten sich die großen Verlage, vor allem in den USA (wo alles begann), dieselben Gedanken gemacht wie Steve Jobs und Mark Zuckerberg, wären diese gigantischen, die Freiheit bedrohenden Netze unter Kontrolle von Journalisten und weisen Verlegern. Aber das sagt sich so leicht, und es ist der Fehler von gestern.

Mehr Sorgen bereitet, dass auch in Deutschland Startups entstehen, die schnell millionenschwer werden: Sie werden selten von Verlagen gegründet, sondern von jungen Tüftlern, die kein Geld für teure Marktanalysen und ausführliche Business-Pläne haben und keine Lust auf lange Konferenzen.
Warum entdecken wir diese Leute nicht? Stimmt unsere Ausbildung, unsere Talent-Suche nicht mehr? Haben wir das Gespür für Ausgewogenheit verloren, wenn wir Risiko, Neugier, Spontanität und Mut in die eine Waagschale legen und Wirtschaftlichkeit, Seriosität, Kontrolle und Kontinuität in die andere?


(zu: Handbuch-Kapitel 5
„Die Internet-Revolution“)

Der Hund, der Nietzsche heißt

Geschrieben am 1. August 2012 von Paul-Josef Raue.
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Gespräch unter Philosophen: John R. Searle fragte Michel Foucault:

Wie kannst Du nur so schlecht schreiben?

Foucault erwiderte:

Wenn ich so klar wie Du schriebe, würde mich niemand in Paris ernst nehmen.

So ähnlich verlaufen auch Gespräche in manchen Redaktionskonferenzen. Man tausche nur „Paris“ mit „Wissenschaftler“ oder „Freunde“ oder „Kollegen im Feuilleton“ usw.

Von dem Gespräch unter Philosophen erzählt Willy Hochkeppel in der SZ vom 31. Juli. Searle hat laut Hochkeppel seinen Hunden die Namen von Philosophen gegeben, weil beide nur über ein rudimentäres Bewusstsein verfügen.

Ob manche Politiker ihre Hunde nach Journalisten benennen?

Was tun? Weiblicher, jünger, verständlicher

Geschrieben am 31. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Im Sinne unserer Leserschaft müssen wir weiblicher, jünger und verständlicher werden.

Helmut Heinen (56), seit zwölf Jahren Präsident der deutschen Zeitungsverleger, Verleger der Kölnischen Rundschau und Mit-Verleger der Berliner Zeitung (im Interview mit der FAZ 31.8.2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 53 Was die Leser wollen)

Der lokale Teaser macht die Leser neugierig

Geschrieben am 31. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Der Teaser, so steht’s im Lexikon des Handbuchs, ist ein „Anschmecker“ oder eine „reißerische Vorankündigung“. Der neue Teaser-Trend ist: Ein Foto im Querformat mit einer integrierten Schlagzeile am Kopf der Titelseite – noch über dem Aufmacher. Die Zeit hat’s vorgemacht, die Stuttgarter Zeitung folgte und wurde dafür mit dem „European Newspaper Award“ ausgezeichnet, einige Regionalzeitungen machen es, darunter die Thüringer Allgemeine.

Für Regionalzeitungen ist es die Chance, opulent lokale „Anschmecker“ auf die Titelseite zu holen. Die Thüringer Allgemeine zeigt heute, also mitten im Sommerloch,  in 11 der 14 Ausgaben einen lokalen Teaser, etwa: Worbis wird 850 Jahre alt / Satellit fliegt mit Technik aus Ilmenau / Erster Kuss in Erfurt (zwei Giraffen im Zoo) / Eisenacher Stolpersteine.

Wir erfahren in Leserkonferenzen: Gut ein Drittel unserer Leser blättert die Zeitung von hinten durch. Diese Von-Hinter-Leser bestätigen: Wir bleiben stets auf der Titelseite hängen, was früher selten geschehen ist – zuerst bei den lokalen Promos, dann beim großen Bild, dem Teaser – vor allem wenn er ein lokaler ist.

Das Erfolgsrezept der lokalen Teaser: Gezeigt wird ein Bauwerk oder eine Landschaft, die ein Wahrzeichen der Stadt oder Region ist; zumindest muss in der Überschrift erkennbar sein: Das spielt sich in unserer Region ab (Name der Stadt oder Landschaft); und es sollten in der Regel Menschen zu sehen sein (oder, was offenbar immer attraktiv ist: Tiere).

Was die Leser verärgert: Ein reines Schmuckbild. Die Leser wollen einen größeren Beitrag im Lokalteil oder anderswo im Blatt zu dem Teaser lesen. Der Teaser muss relevant sein.

(zu: Handbuch-Kapitel Service-H „Lexikon journalistischer Fachausdrücke + 40 „Das Layout“ + 41 „Das Foto“ + 54 „Die neue Seite 1“ + 55 „Der neue Lokaljournalismus“

Darf ein Reporter Löws Hotelzimmer durchsuchen? Oder: Die Jagd nach dem blauen Pullover

Geschrieben am 30. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Journalisten durchsuchen Löws Papierkorb im Warschauer EM-Mannschaft-Hotel, finden darin den blauen Pullover, zuvor zum Kultobjekt des deutschen Siegeswillen erhoben.

Hatte Löw ihn nach der Italien-Niederlage wütend weggeworfen? Nein, sagen Löws Begleiter, er war in der Wäsche eingelaufen. Und andere Begleiter zitiert die Süddeutsche: Ein Tabubruch! Dass Reporter und Fotografen das Hotelzimmer des Bundestrainers nach seiner Abreise durchwühlen, das ist noch nie vorgekommen!

Die Durchsuchung ist rechtlich am Rande der Zulässigkeit, aber ein Tiefpunkt der journalistischen Moral.

(Quelle: SZ 28. Juli 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 48-49 Presserecht und Ethik)

Der Intendant: Bloß keine schlechte Laune verbreiten!

Geschrieben am 29. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Verreißen soll er die Inszenierung, der Kritiker! Aber er soll keine schlechte Laune verbreiten, die Leute aus dem Theater treiben, den Saal leer fegen.

Ein Intendant bei einem Glas Wein

(zu: Handbuch-Kapitel 47 „Newsdesk und Ressorts“)

Neun Finger im Feuer

Geschrieben am 29. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Neue Bilder braucht der Redakteur. Aber auch Funktionäre haben Phantasie. Auf die Klischee-Frage, ob er für die Sauberkeit der deutschen Olympioniken die Hand ins Feuer lege, antwortete Ex-NOK -Chef Walther Tröger:

Ich lege neun Finger ins Feuer.

Ursula März über eine Frau, die in einer Internet-Börse einen Mann kennengelernt hatte:

Seine reale Erscheinung hatte mit seiner Selbstbeschreibung im Internet so viel zu tun wie der begrünte Mittelstreifen einer Autobahn mit den Gartenanlagen von Schloss Sanssouci.

(Quellen: Welt 28. Juli 2012 / Die Zeit 31/2012)

Der Zeitungslesemorgen

Geschrieben am 28. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Es regnet in Strömen – was für ein schöner Samstag morgen! Ein Zeitungslesemorgen! Allein in der Süddeutschen kann man stundenlang lesen, ohne sich zu langweilen.

Gleich auf der zweiten Seite gibt’s die Geschichte der „Entfesselung der Märkte“ in knapp zweihundert Zeilen, verständlich und mit einer Fülle von Beispielen – und wie bei einem guten Krimi mit einer Aufzählung der Schurken von Nixon bis Schröder und Schäuble.

Man liest sich von einer Überraschung zur nächsten (ohne schlechtes Gewissen, es regnet ja). Im „Feuilleton“ macht die Besprechung des Buches eines unbekannten argentinischen Autors neugierig, in dem es mehr weiße Fläche gibt als Text, ein schnörkelloser Western, in dem ein Mann ohne Mitleid auftaucht, der einem anderen ein letztes Mal die Haare schneidet und auf seinen Tod wartet. „Es dauert nur eine Stunde, das schmale Bändchen durchzulesen, danach möchte man am liebsten von vorne beginnen“, lockt Cornelia Fiedler, die Kritikerin. Ist ein schöneres Rezensenten-Lob denkbar? (Hernan Ronsino, Letzter Zug nach Buenos Aires)

Marianne Körber rühmt ein Wirtschaftsbuch in der „Wirtschaft“, in dem der Inder Rajan die Finanzkrise seziert, Schuldige überführt, früher mittelmäßig bezahlte Finanzmanager zum Beispiel. Der ehemalige Chefökonom des IWF nennt auch die Lösungen, plädiert für eine Lebensunterhaltsversicherung und für längere Schulzeiten und Lehrer, die nach der Leistung der Schüler bezahlt werden. (Rajan, Fault Lines – Verwerfungen. Warum sie noch immer die Weltwirtschaft bedrohen und was jetzt zu tun ist)

Wann soll man all die guten Bücher lesen? Gute Zeitungen halten vom Bücherlesen ab. Und bald wird es auch nicht mehr regnen. Der Himmel klart schon auf.

Die nächste Überraschung: Sten Nadolny, der die Langsamkeit entdeckte, hat das Erzählen beim Film gelernt, „das Handwerk des Erzählens in bewegten Bildern mit dramaturgisch begründeter Beschleunigung und Verlangsamung. Warum nicht einfach aufschreiben, was ich sah, fühlte und dachte, eines nach dem anderen, wie es kam.“

Ob man stundenlang Zeitung auf dem Bildschirm lesen wird? Oder geht’s doch nur auf Papier, stundenlang zumindest?

Ein Lob für das Semikolon im: Friedhof der Wörter

Geschrieben am 28. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Wie viele Satzzeichen kennt die deutsche Sprache? Die meisten Deutschen, so sie überhaupt noch schreiben, kennen nur zwei: Punkt und Komma. Mitunter schleicht sich noch das Fragezeichen an den Schluss eines Satzes; aber selbst Fragen enden oft mit einem Komma: „Warum hast Du mich verlassen, frage ich dich“, schreibt der Freund der Freundin.

Warum vergisst er hinter „verlassen“ das Fragezeichen?, frage ich.

Fünf Satzzeichen haben die meisten Zeitgenossen schon begraben: Fragezeichen, Doppelpunkt, Ausrufezeichen, Semikolon – und Gedankenstrich. Ein Leser trauert vor allem dem Semikolon nach, dem Strichpunkt; er fragt: „In den Texten der Zeitung muss man lange nach einem Semikolon suchen; oder irre ich mich da?“

In einer beliebigen Zeitungswoche entdeckt unser Archiv 74 Semikolons in allen redaktionellen Texten der Thüringer Allgemeine. Das ist wenig, zu wenig.

Das Semikolon lässt einen Satz schweben. In einer Geschichte von Bertolt Brecht erzählt Herr Keuner, der Elefant sei sein Lieblingstier: „Er hat eine dicke Haut, darin zerbrechen die Messer.“

Die meisten würden einen Punkt setzen vor dem Satz, den Herrn Keuner folgen lässt: „Sein Gemüt ist zart.“ Brecht setzt ein Semikolon, er haucht den Satz noch nicht aus, er bringt eine überraschende Wendung, die ein Punkt verstören würde.

Das Komma ist zu wenig, der Punkt ist zu viel – da lockt das Semikolon; zudem erspart es Brecht, ein „aber“ einzufügen („Sein Gemüt ist aber zart“).
So lesen wir bei Brecht über den Elefanten: „Er hat eine dicke Haut, darin zerbrechen die Messer; sein Gemüt ist zart.“

Was der Dichter vermag, soll uns alle locken. Statt der Monokultur des Punkts bietet unsere Sprache die Vielfalt der Satzzeichen: Nutzen wir sie!

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