Wie beleidigungsresistent müssen Journalisten sein?
Titel eines Vortrags von Professor Tobias Gostomzyk, TU Dortmund, am 5. November in Hamburg. Die Tagung trägt den Titel „Digitaler Journalismus: Disruptive Praxis eines neuen Paradigmas“; es fehlt allerdings ein Vortrag zum Thema: Taugt die deutsche Sprache noch für den digitalen Journalismus?
Drei Vorträge sind englisch formuliert, obwohl nur ein Redner aus England kommt („The Business of Digital News: What has and what hasn’t changed“). Die anderen Redner sprechen deutsch:
- Really digital or more of the same? (Das ist die „Keynote“)
- How to tell good stories in the digital age (Da geht’s um das Erzählen!)
Auch sonst schwirren Begriffe durchs Programm, dass sich jeder grausen könnte, der unsere Sprache mag: Disruptiv, Poster-Pitch, multimediales Storytelling, konzeptionelles Modell, kommunikative Selbstorganisation.
Da tanzen die Sprachbilder: „Zwischen Informationsflut und Ereignisradar“, „Fischen im Netz“.
Sicher: Da geben sich Experten international, wollen auch mal nach Kalifornien eingeladen werden und storytellen bis zum Abwinken. Sicher: Da sind Journalisten unter sich, reden übers Publikum, aber können sicher sein, dass dieses nicht zuhört. Zuim Glück! Sicher: Luthers Thesen sind nun auch schon ein halbes Jahrtausend alt – und Luther als Vorbild?
Sicher gab es mal Zeiten, in denen Journalisten auch Meister, zumindest lernwillige Gesellen der deutschen Sprache waren und verständlich sprachen. Bedeutet „digital“: Diese Zeiten sind vorbei? Einige Referenten formulieren allerdings noch einfach und verständlich: „Wie wir auf das Publikum hören sollten“ (Cordt Schnibben vom Spiegel), „Verabschiedung“ – und der eingangs zitierte Professor “ Wie beleidigungsresistent müssen Journalisten sein?“
Journalisten schreiben nur selten ihre eigene Geschichte. Manche, die prominent genug sind, schreiben ihre Geschichten auf, die sie ihr Leben nennen; das kann durchaus lesenswert sein wie zuletzt bei Wolf Schneider, dessen Memoiren sich aber nicht so gut verkaufen wie seine Sprachbibeln. Schade: Ob’s am Titel liegt „Hottentotten Stottertrottel“?
Schön sind Kolumnen, wenn Journalisten aus alten, fern erscheinenden Zeiten erzählen, zum Beispiel von der Abwehr in Redaktionen, den Kommentar oder ein anderes feines Stück mit dem Porträt des Autors zu versehen: „Selbstbeweihräucherung! Pure Eitelkeit! Eines guten Journalisten unwürdig! Dann kann man ja gleich ins Fernsehen gehen!“
Ich habe Redakteure erlebt, die lieber wochenlang keinen Kommentar mehr geschrieben haben, als mit Bild in die Zeitung zu kommen; zudem pochten sie auf ihr Recht am eigenen Bild und wandten sich an die Gewerkschaft. Für sie war der Untergang des Abendlands verbunden mit ihrem Foto. Sie haben alle aufgegeben, mittlerweile, seufzend und unter Berufung auf den Zeitgeist, dem sie sich nie unterwerfen wollten.
Das Argument mit dem Fernsehen ist nicht das schlechteste: Auch dort dauerte es lange, bis der Korrespondent aus Washington nicht mehr nur aus dem Off sprach, sondern einen roten Schal zum Markenzeichen machte und sein Gesicht in die Kamera hielt. Die Zuschauer protestierten nicht, sondern freuten sich: Sie wollten den sehen, der sprach – so wie es im normalen Leben auch üblich ist.
In der Zeitung ist es ähnlich: Was sagt schon der Name? Das Bild neben dem Leitartikel zeigt, ob die Kommentatorin jung ist oder erfahren, schön oder lebensklug – und ob die Haare die Meisterschaft eines Frisörs genießen dürfen. Das Foto ist eine Information, die hilfreich ist, zugegeben eine emotionale, aber ein bisschen, wirklich nur ein bisschen Leidenschaft tut gut auf dem grauen Papier.
Ich kann „auf Augenhöhe“ nicht mehr hören; der Begriff war praktisch, als nur wenige Redakteure den Kopf senkten; aber mittlerweile wird er für jeden Unsinn gebraucht. Nur hier passt er: Wer auf Augenhöhe gehen will, muss seine Augen zeigen.
Noch früher, also vor zwanzig Jahren oder mehr, wurde es sogar teuer, wenn man als Redakteur rein zufällig in die Zeitung kam. Nico Fried erinnert in seinem „Spreebogen“ daran:
Früher gab es Redaktionen, das mussten Reporter eine Strafe in die Kaffeekasse zahlen, wenn sie auf einem Foto in der eigenen Zeitung zu sehen waren. Heute gilt es manchen Medien als Ausweis besonderer Authentizität der Berichterstattung… Ich und der Gletscher; ich und Merkel; ich im Oval Office.
Nun ja, besonders authentisch ist er schon, geradezu stylish ist Nico Fried: Über seiner Kolumne steht nicht einfach ein Foto, sondern eine Zeichnung aus vielen Pixeln aufgebaut, ein Pixel-Porträt. Das bekommt nicht Nico Fried allein, das hat jeder Kolumnist in der SZ, nur nicht der Heribert Prantl, weil er Leitartikel schreibt. Leitartikel sind besonders authentisch hoch zwei und bekommen deshalb kein Bild in der Süddeutschen; zudem ist Heribert Prantl so oft im Fernsehen, dass alle sein Gesicht kennen (und die in der SZ an ihn erinnert werden, die ihn so selten in der Redaktion sehen).
Strenge Sitten gab und gibt es nicht in der SZ, wie Nico Fried erzählt:
In der SZ muss man keine Strafe zahlen, wenn man auf einem Foto landet. Mein ehemaliger Büroleiter, der heute mein Chefredakteur ist, erwartet aber auch nicht, dass man sich auf ein Bild drängt. Wie ich ihn kenne, würde er das unter anderem ganz unumwunden mit Argumenten aus dem Bereich der Ästhetik begründen. Bei mir jedenfalls.
Wenn das kein Hieb ist auf all die Eitlen, die in den Presseclub drängen, auf jedes Podium eilen bei jedem Kongress (und keine Branche veranstaltet so viele Kongresse wie die Medien, wobei es meistens um den Niedergang geht und alle ernste Gesichter machen, obwohl ihnen nichts einfällt). Da war die Kaffeekasse kein schlechter Brauch: Aber bitte nur Scheine.
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Quelle: SZ 29. August 2015, Seite 46, Kolumne Spreebogen
Hell und dunkel, weiß und schwarz, Himmel und Hölle – diese Wörter haben die Menschen schon immer fasziniert und ihr Denken bestimmt. In der deutschen Sprache springen die Gefühle, die diese Wörter auslösen, in die Vokale hinein: Das helle fröhliche „e“ in hell, das tiefe unheimliche „u“ in dunkel.
Der Gegensatz von hell und dunkel drängt sich selbst kritischen Geistern auf, wenn sie die Menschen verwirrt und sie sich nach einfachen Erklärungen sehnen – wie unser Bundespräsident. Angesicht der brennenden Flüchtlingsheime und der Bürger, die sich vor Fremden fürchten, sortierte er: „Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt, gegenüber dem Dunkeldeutschland.“
Diese schlichte Ordnung der Welt in Hell und Dunkel, in Gut und Böse, hat nicht unser Bundespräsident erdacht, sie ist so alt wie unser Denken überhaupt. Immer wenn Gesellschaften wanken, haben solche Philosophien Konjunktur, wie sie der Perser Mani im dritten Jahrhundert begründet hat: Die Welt gehört zum Reich der Finsternis, aber die Guten, die Kinder des Lichts, erlösen sie.
Diese Philosophie, die jedem zugänglich ist, mögen die Religionen und Ideologien, das Christentum ebenso wie der Kommunismus, Augustinus wie Karl Marx. Nur in friedlichen Zeiten finden auch Philosophen Gehör, die skeptisch sind, die den Menschen sehen, wie er ist: Manchmal gut, manchmal böse, meist widersprüchlich. Der Mensch ist weder hell noch dunkel, er ist grau.
So sind auch die Gesellschaften. Es gibt kein Helldeutschland, selbst das Wort braucht keiner: Wer im Internet danach sucht, wird nicht fündig. Es gibt auch kein „Dunkeldeutschland“, zumal dieses Wort belastet ist: Westdeutsche nutzten es, wenn sie durch die DDR reisten und sich über die wenigen Straßenlaternen wunderten.
Nach der Revolution demütigten Westdeutsche so die Ostdeutschen, so dass 1994 „Dunkeldeutschland“ sogar in die Auswahl zum Unwort des Jahres kam. Wörter haben auch ihre Geschichte: Der Bundespräsident, der aus dem Osten kommt, wird dies wissen.
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Quelle:
Der Bundespräsident sagte am 26. August beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf in Berlin laut Tagesschau: (Er lobte) die „vielen Freiwilligen, die zeigen wollen, es gibt ein helles Deutschland, das hier sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören“. Gauck bezeichnete Rechtsextremisten und Ausländerfeinde als Hetzer, die das weltoffene Bild Deutschlands beschädigten.
Thüringer Allgemeine, 31. August 2015, Friedhof der Wörter
Fast alle Urteile des Verfassungsgerichts zu Durchsuchungen in Redaktionen enden mit dem Urteil: Verfassungswidrig! – so auch zur Durchsuchung der Berliner Morgenpost vor drei Jahren. Dem Verfassungsgericht schwant, warum der Staat trotzdem immer wieder durchsuchen lässt: Er will Informanten abschrecken. Das Bundesverfassungsgericht erklärt deshalb deutlich:
Der Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) umfasst den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann. Eine Durchsuchung in Presseräumen stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar.
Die Chronik:
Am Mittwoch, 28. November 2012 durchsuchten Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt Privatwohnung und Arbeitsplatz des Chefreporters der Berliner Morgenpost, weil sie dem Reporter die Bestechung eines Polizeibeamten vorwarfen.
Um 6.55 Uhr begannen die Ermittler ihre Arbeit mit der Durchsuchung der Privatwohnung des Chefreporters. Eine Nebenrolle bei den Vorwürfen spielt eine SMS, in der sich der Polizist bei dem Reporter für 100 Euro bedankte. Dabei handelte es sich um eine Auslage für zwei Jacken, die der LKA-Beamte in einem Polizei-Shop für den Reporter und einen weiteren Kollegen erworben hatte. Dort können Polizisten einkaufen. Der Morgenpost-Reporter gab ihm später das Geld für die Jacken zurück.
Um 8.30 Uhr begann auch die Durchsuchung in den Büroräumen im Verlagshaus der Axel Springer AG. Die Morgenpost gehörte 2012 noch zum Springer-Verlag, mittlerweile gehört sie zum Funke-Konzern in Essen.
Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) informierte zeitgleich den Chefredakteur der Berliner Morgenpost, Carsten Erdmann. Heilmann sollte im Auftrag des ermittelnden Staatsanwalts zu einer Deeskalation der Situation beitragen, sagte eine Sprecherin der Justizverwaltung gegenüber der dpa.
Nach Eintreffen der Ermittler wurden ihnen die gesuchten Rechnungen sofort ausgehändigt, um so den Vorwurf der Bestechung zu entkräften. Dennoch bestand die Staatsanwaltschaft weiter auf der Durchsuchung. Die Beamten beschlagnahmten weitere Unterlagen, darunter sogenannte „Zufallsfunde“, also Unterlagen, die nichts mit den aktuellen Vorwürfen zu tun haben. Dazu gehörte auch Material zu Kriminalfällen, mit denen sich der Chefreporter intensiv beschäftigt hatte.
Zur Vorgeschichte:
Mitte der 90er-Jahre verschwand der zwölfjährige Manuel Schadwald aus Berlin-Tempelhof. Jahrelang gab es Gerüchte, dass er Opfer von Pädophilen geworden sein könnte. Immer wieder tauchte in diesem Fall auch der Name des belgischen Kinderhändlers Marc Dutroux auf. Der Chefreporter der Berliner Morgenpost recherchierte und berichtete zusammen mit einem Kollegen über das Verschwinden des Berliner Jungen.
2010 meldete sich plötzlich ein neuer Informant. Es ergab sich erneut eine Spur, die nach Holland führte. Im Frühjahr 2011 reisten die beiden Journalisten nach Amsterdam. Der Verlag bestand darauf, dass auf der Recherche-Reise ein besonderer Sicherheitsstandard eingehalten wurde. Denn im Umfeld des Kinderhändler-Rings von Marc Dutroux starben schon mehrere Zeugen. Neben zwei Personenschützern einer privaten Sicherheitsfirma wurde auch ein Sicherheitsexperte des Berliner Landeskriminalamts engagiert.
Diesen kannte der Chefreporter seit vielen Jahren persönlich und vertraute ihm daher besonders. Der Beamte begleitete die Reporter außerhalb seiner Dienstzeit nach Amsterdam. Dafür erhielt der Polizist einen Tagessatz von 500 Euro. Solche Tagessätze gelten in der Sicherheitsbranche als üblich. Nach Angaben der Berliner Kuhr Security, die auch Personenschutz übernimmt, betragen die Kosten bei Auslandseinsätzen sogar deutlich mehr. Die Recherchen in Amsterdam dauerten vier Tage. Hinzu kamen Kosten für Flugtickets, Mietwagen und Hotel in Höhe von gut 1000 Euro. Damit belief sich die Gesamtsumme auf gut 3000 Euro.
In Amsterdam stießen die Reporter auf Hinweise, dass es ein Kapitalverbrechen gegeben haben könnte. Doch es gab nur eine Quelle, zu wenig für eine seriöse Berichterstattung. Die Hinweise wurden später der Berliner Polizei zur weiteren Prüfung übergeben. Dafür trafen sich die Reporter mit dem damaligen Leiter der Pressestelle Frank Millert und dem Dezernatsleiter für Sexualdelikte, um die Recherche-Unterlagen auszuhändigen.
Die Staatsanwaltschaft scheint bei der Fahrt nach Amsterdam von einer Vergnügungsreise auszugehen und leitet daraus den Vorwurf der Bestechung ab. Das der Berliner Polizei übergebene Material lässt aber eindeutig einen anderen Schluss zu: Die Reise war eine Recherche-Reise – mit persönlichem Risiko für die Reporter der Berliner Morgenpost. Nach der Übergabe der Unterlagen an die Berliner Polizei passierte lange Zeit nichts.
Mitte 2012 geriet der Beamte, der die Reporter in Amsterdam begleitet hatte, in Verdacht, eine geplante Razzia im Rockermilieu an Journalisten verraten zu haben. Die Polizeiführung leitete ein Verfahren wegen Geheimnisverrats an. Auf dem Computer und auf dem Handy des Beamten fanden die Ermittler eine Rechnung für die Recherchereise nach Holland in Höhe von gut 3000 Euro und die Telefonnummer des Morgenpost-Reporters.
Die Rechnung war für die Staatsanwaltschaft der Hauptgrund für den Vorwurf der Bestechung. Denn für Informationen darf kein Geld an Behördenmitarbeiter gezahlt werden. Das wäre Bestechung.
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Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 28. August 2015:
Das Gericht teilt auf der Internet-Seite mit (hier in Auszügen):
Die Durchsuchung in Redaktionsräumen oder Wohnungen von Journalisten darf nicht vorrangig dem Zweck dienen, den Verdacht von Straftaten durch Informanten aufzuklären. Erforderlich sind vielmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat der konkret betroffenen Presseangehörigen, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 5 Satz 1 Strafprozessordnung entfallen lässt…
Ein bloß allgemeiner Verdacht, dass dienstliche Informationen an die Presse weitergegeben wurden, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Im vorliegenden Fall ging es den Strafverfolgungsbehörden zumindest vorwiegend um die Ermittlung belastender Tatsachen gegen einen Informanten aus Polizeikreisen. Diesem sollen Geldbeträge für Informationen zu bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen gezahlt worden sein. Bezogen auf dessen Kontakt zu den Beschwerdeführern handelt es sich jedoch um bloße Mutmaßungen.
Zum einen berichtete nicht der beschwerdeführende Zeitungsverlag über die bevorstehende Razzia, sondern ein mit diesem nicht zusammenhängendes Online-Portal. Weder dem Durchsuchungsbeschluss noch der Beschwerdeentscheidung ist zum anderen zu entnehmen, für welche Informationen Geld gezahlt worden sein soll. Der Tatbestand der Bestechung verlangt jedoch schon einfachrechtlich die Vornahme einer hinreichend konkreten Diensthandlung. In Bezug auf die Beschwerdeführer mangelt es daher an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat, die den Beschlagnahmeschutz entfallen lässt.
Ferner lässt sich aus dem bloßen Umstand, dass der mitbeschuldigte Polizeibeamte ein auf eine fingierte Person angemeldetes „Journalisten-Handy“ nutzte, nicht auf einen Tatverdacht der Bestechung gerade gegen die Beschwerdeführer schließen. Auf dem Handy waren die Namen des Beschwerdeführers und eines Journalisten des Online-Portals gespeichert. Dies mag dafür sprechen, dass der Informant dienstliche Geheimnisse an Journalisten weitergegeben hat.
Wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Informantenschutzes rechtfertigt das bloße Interesse der Strafverfolgungsbehörden, dies zu erfahren, jedoch keine Durchsuchung in den Redaktionsräumen von Presseorganen, sofern nicht erkennbar ist, dass auch gegen diese selbst strafrechtlich relevante Vorwürfe zu erheben sind. Was für eine Weitergabe der Informationen über eine Razzia gerade an den Beschwerdeführer sprechen soll, obwohl ein anderes Online-Magazin, für das der andere eingespeicherte Journalist tätig war, über diesbezügliche Ermittlungsmaßnahmen vorab berichtete, bleibt unklar.
Auch aus dem Vermerk auf der Rechnung lässt sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine Bestechung schließen. Die Rechnung bezog sich auf die Reise nach Amsterdam, für deren Ermöglichung sich der Beamte dienstunfähig gemeldet hatte. Es erscheint daher nicht fernliegend, dass der Beamte disziplinarrechtliche Konsequenzen wegen der falschen Krankmeldung und mangelnden Nebentätigkeitsgenehmigung befürchtete. Ein Verdacht gegenüber den Beschwerdeführern folgt hieraus jedoch nicht.
Quellen: Berliner Morgenpost und Bundesverfassungsgericht
Ist man schon korrupt, wenn man die Einladung zu einem Empfang annimmt, ein Glas Sekt oder Mineralwasser trinkt, vielleicht ein Lachs-Häppchen mit Meerrettich nimmt und einen Klecks auf die Hose bekommt? Offenbar ängstigt man sich im Öffentlichen Dienst schon, einen Kugelschreiber als Gastgeschenk anzunehmen (obwohl die Cent-Artikel selbst die Cent nicht wert sind). So bekommen Redakteure immer öfter Einladungen, in denen steht:
Wir gehen davon aus, dass Sie – soweit Sie Beamter i.e.S. oder ein ,sonstiger Amtsträger‘ i.S.d. strafrechtlichen Vorschriften (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) sind – sich die Annahme dieser Einladung von der zuständigen Stelle vorher haben genehmigen lassen.
Stefan Kläsener zitiert diesen Text in seinem Newsletter des Flensburger Tageblatt. Er habe die Einladung zwar angenommen, aber der Text habe ihn nachträglich stutzig gemacht:
Ich bin kein Beamter i.e.S., ich kenne diesen Paragrafen im Strafgesetzbuch nicht, und ich weigere mich auch, für einen stinknormalen Empfang vorher einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Meine zuständige Stelle, das Sekretariat, hat mir die Teilnahme genehmigt.
Die Auflösung der Testfragen; diese Schreibweise ist richtig;
- b) „E-Mail“ ist richtig.
Einzelbuchstaben werden laut Duden generell mit Bindestrich angekoppelt – wie auch bei T-Shirt und U-Bahn.
- c) „Du“, grobgeschrieben oder „du“ bei der Anrede? Beides geht.
Die Großschreibung gilt aber als höflicher.
- a) Wie bedankt man sich: „im Voraus“ ist richtig.
Voraus ist zwar ein Adverb und wird deshalb kleingeschrieben. Bei „im Voraus“ ist es aber substantiviert, folgt einem Artikel „in dem – im“ und wird deshalb großgeschrieben. Korrekte Schreibweise ist mit einem „r“.
- a) Eine Ehe wird „annulliert“:
Die Bezeichnung geht auf das spätlateinische Verb annullare zurück und wird deshalb mit zwei „n“ und zwei „l“ geschrieben.
- c) Die Geldbörse wäre eine Alternative, wenn nach der Rechtschreibreform neben Portemonnaie auch Portmonee erlaubt ist.
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Thüringer Allgemeine 22. August 2015
Gibt es eine Reform, die seit zehn Jahren in Kraft ist und kaum mehr Befürworter findet, geschweige denn Freunde? Ja, die Rechtschreibreform. Es gibt nur einen Gewinner: Den Duden. Es gibt viele Verlierer: Die Liebhaber der deutschen Sprache, zudem Deutschlehrer, Schüler und Eltern.
Die Thüringer Allgemeine hat die Einführung vor zehn Jahren zu einem Test genutzt. „Kennen Sie die neuen Regeln?“ fragt sie ihre Leser:
- Statt eines Briefes verschicken viele heute elektronische Post. Wie aber wie sie geschrieben?
a) Email
b) E-Mail
c) EMail
- Wird jemand gesiezt, schreibt man „Sie“ statt „sie“. Wie ist die Regelung beim Duzen?
a) Auch das wird großgeschrieben: „Du“.
b) Das wird klein geschrieben: „du“.
c) Es geht beides.
- Wenn man sich bei jemandem für etwas bedankt, das er noch gar nicht getan hat, geschieht das…
a) im Voraus.
b) im Vorraus.
c) im voraus.
- Wenn man eine Ehe rückgängig machen möchte, dann will man sie…
a) annullieren.
b) anullieren.
c) anulllieren.
- Eine Geldbörse ist ein..
a) Portemonnaie.
b) Portmonee.
c)Es geht beides.Die Lösungen gibt es einen Blogeintrag weiter.
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Thüringer Allgemeine 22. August 2015
Was ist richtig: Das Dorf an der Grenze wurde geschleift? Oder: Das Dorf wurde geschliffen? Fügen wir diese Frage einem Test hinzu, den man sinnvoll zum Trauer-Jubiläum der Rechtschreibreform veröffentlichen könnte.
Leser beschweren sich gerne über Schludrigkeiten in unserer Zeitung, die in der Eile des journalistischen Geschäfts geschehen und die auch der Gegenleser in der Fülle der Wörter überliest. Freuen wir uns über jeden Leser, der wirklich schwere Fehler entdeckt – wie den Weimarer Professor Siegfried Freitag. Er fragt in einem Brief an die Thüringer Allgemeine: „Ist hier Sprachgefühl ein wenig verloren gegangen?“, und meint schwere Fehler in meiner Serie „Die Grenze“.
Dort habe ich Dörfer „geschliffen“ statt „geschleift“. Aber richtig ist: Diamant werden geschliffen, Dörfer werden geschleift. Selbst der Duden achtet noch auf den Unterschied, obwohl er sich bei anderen Wörtern schon beugt wie bei „gewinkt“ (richtig) und „gewunken“.
Dörfer, die geschliffen wurden, wären nicht vom Boden der DDR verschwunden, sondern hätten den Wettbewerb zum schönsten Dorf gewonnen: Solch feinen, aber gewichtigen Unterschied nennt Professor Freitag zu Recht „Sprachgefühl“.
Brigitte Grunert schreibt die Sprach-Kolumne des Berliner „Tagesspiegel“. Sie entdeckte, wie die Grünen-Politikerin Claudia Roth im Wahlkampf auch übers Schleifen stolperte – und das Gegenteil von dem sagte, was sie sagen wollte. Als sie sich über den Plan der FDP aufregte, Steuern zu senken, meinte sie:
„Wenn es eine Entlastung der Besserverdienenden geben soll, dann kann das nur heißen, dass der Sozialstaat geschliffen werden soll.“
Das bedeutete: Der Sozialstaat wird leuchten wie ein geschliffener Diamant, wenn Politiker die Steuern senken. Das Gegenteil wollte sie sagen.
Wahrscheinlich werden ihre Anhänger „geschleift“ verstanden haben. Gleichwohl stimmt, was die Berliner Sprachexpertin Grunert schreibt: „Ach, geschliffenes Deutsch ist rar, aber es lohnt sich, die Bemühungen darum nicht schleifen zu lassen.“
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 24. August 2015
Eine junge Frau, von der Flucht gezeichnet, steigt aus dem Mittelmeer und umklammert ihren Sohn. Kommt sie aus Syrien? Wir erfahren es nicht, und wir erfahren auch nicht ihren Namen. Die Süddeutsche Zeitung brachte das vierspaltige Aufmacher-Foto am Mittwoch (19. August 2015) auf der Titelseite.
Angenommen diese Frau wäre eine Spanierin oder eine Deutsche: Wäre das Foto ein Fall für den Presserat? Ja, wer nach dem German-Wings-Absturz in den französischen Alpen Fotos von Opfern oder trauernden Angehörigen veröffentlichte, bekam eine Missbilligung. Nun kann eine Redaktion sagen: Da beschwert sich schon keiner beim Presserat, ein Flüchtling hat andere Sorgen.
Es ist nicht allein eine Frage der SZ-Redaktion: Wie gehen wir mit Bildern von Flüchtlingen um? Ihre Gesichter sehen wir Tag für Tag in der Tagesschau, auf den Titelseiten der Zeitungen und Magazine.
Also die erste Frage: Haben Flüchtlinge auch Persönlichkeitsrechte?
Die zweite Frage: Bringen wir Flüchtlinge, die aus einer Diktatur fliehen, und ihre Verwandten nicht in Gefahr, wenn wir sie – deutlich erkennbar- zeigen? Der Pressekodex hat eine eigene Flüchtlings-Richtlinie (8.11 – Opposition und Flucht):
Bei der Berichterstattung über Länder, in denen Opposition gegen die Regierung Gefahren für Leib und Leben bedeuten kann, ist zu bedenken: Durch die Nennung von Namen oder Fotoveröffentlichungen können Betroffene identifiziert und verfolgt werden. Auch kann die Veröffentlichung von Einzelheiten über Geflüchtete und ihre Flucht dazu führen, dass zurückgebliebene Verwandte und Freunde gefährdet oder noch bestehende Fluchtmöglichkeiten verbaut werden.
Die dritte Frage: Überwiegt nicht das, was der Presserat sperrig „Informationsinteresse der Öffentlichkeit“ nennt? Auch in der Ziffer 8 heißt es: „Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen.“ Müssen wir nicht das Foto der erschöpften, aber glücklichen Mutter zeigen, um das Elend der Flüchtlinge ins Bewusstsein zu holen – und das Glück, in Europa Zuflucht zu finden?
Wir müssen abwägen. Nur welche Antwort wiegt am schwersten?
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Facebook-Kommentar von Liane von Droste (20. August)
Danke für diesen zum Nachdenken über unser Berufsethos und unser Handwerk!
Die erste Frage ist, klar, rein rhetorisch: Selbstverständlich hat sie ein Recht auf Privatsphäre.
Meine Antwort auf die zweite Frage: Ja, wir Journalisten bringen Menschen, die aus Ländern fliehen, in denen der Terror Alltag ist, möglicherweise in Gefahr, wenn wir sie identifizierbar abbilden oder darstellen.
Die dritte Frage ist für mich in diesem Fall nicht wirklich eine: Öffentliches Interesse in der Waagschale auf der einen Seite gegen die Gefahr für Leib und Leben einer Mutter mit Kind???
Spezialisten neigen dazu, eine eigene Sprache zu erfinde: Wissenschaftler und Ingenieure, Geheimdienstler und Gottesdiener. Auch DDR-Bürger, die an der Grenze arbeiteten, waren Spezialisten.
Sie fanden neue Wörter wie den „Provokationspunkt“, mit dem sie die Stelle bezeichneten, an der ein West-Bürger unerlaubt die Grenze überschritt. Überschreiten war bisweilen ungenau, manchmal schlitterten sie ins Hoheitsgebiet: An der Sprungschanzen in Braunlage, den Brocken in Sichtweite, lag der Auslauf direkt an der Grenze. Hatte der Springer nur einen Weite-Rekord im Sinn, aber nicht die Grenze zur DDR, schlitterte er mit seinen Skiern in einen anderen Staat – auch wenn der von seiner Regierung nicht anerkannt war.
Auf dem Brocken hieß die weithin sichtbare Kuppen des Brockenhauses „Stasi-Moschee“: Da verbanden Sprachschöpfer Witz und Wissen. In der Tat stocherte die Stasi im Leben anderer an einem Ort, der einer arabischen Moschee glich.
„Pansen-Express“ nannte der Grenz-Jargon die Soldaten, die den Hunden ihr Fressen brachten. Widersprüchlich sind die Aussagen, ob die Hunde bewusst wenig zu fressen bekamen, um besonders schnell und hungrig Flüchtlinge erwischen zu können.
Die Grenzer gaben bekannten Wörtern auch neue Bedeutung: „Kairo“ war nicht nur eine Hauptstadt, sondern die Aufschrift einer Ablage bei der Grenzkontrolle. Darin kamen die Pässe von Ex-Flüchtlingen, Journalisten, Politikern, Pfarrer und anderen möglich Subversiven.
An der Grenze fühlte keiner eine Gemütlichkeit wie im heimischen Wohnzimmer, doch gab es einen Teppich, den „Spuren-Teppich“ – wie der mit einer Egge gezeichnete Streifen hieß, in dem Flüchtlinge und Rehe ihre Spuren hinterließen.
„Feindwärts Spuren“ nannte eine Bäuerin an der Elbe die Spuren hinterm Zaun, nahe dem Fluss. Allerdings hockte der Feind der Flüchtlinge eher „freundwärts“.
Hinter dem letzten Zaun begann das „vorgelagertes Hoheitsgebiet“, ein tückischer Streifen für Flüchtlinge wie für West-Besucher, oft fälschlich „Niemandsland“ genannt – aber in Wirklichkeit noch der letzte Streifen DDR.