Wie soll eine Zeitung über die Beschwerde beim Presserat berichten? (Leser fragen)
Ein Leser der Thüringer Allgemeine hatte sich beim Presserat über den Bericht in einer Lokalausgabe beschwert; darin hatte ein freier Mitarbeiter in einer Serie über ein griechisches Restaurant und seinen Inhaber berichtet und den Inhaber mit Namen und Foto vorgestellt.
Ein Leser beschwerte sich beim Presserat über die fehlerhafte Recherche: Der Name des abgebildeten Mannes sei falsch; zudem sei der Wirt kein Grieche, sondern komme aus dem Kaukasus.
Der TA-Chefredakteur Paul-Josef Raue berichtete in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“:
Warum soll ein Journalist einem Menschen, der als Wirt öffentlich bekannt ist, misstrauen, wenn er seinen Namen nennt? In einer harmlosen Recherche können und dürfen wir nicht die Vorlage eines Ausweises verlangen.
Als der Artikel erschienen war, rief eine Frau anonym an und wies auf den angeblich falschen Namen hin. Wir recherchierten und konnten die Behauptung nicht bestätigt finden. Uns drängte sich der Verdacht auf, ein missliebiger Konkurrent solle denunziert werden.
So sah es auch der Presserat, der die Beschwerde für unbegründet erklärte:
„Der Autor des Beitrages konnte dem Wirt des Restaurants Glauben schenken. Es bestand keinerlei Anlass, daran zu zweifeln bzw. die Identität zu hinterfragen. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht seitens der Redaktion kann daher nicht festgestellt werden.
Woher der Wirt komme, ist zudem für die Berichterstattung nicht so entscheidend, dass die Redaktion allein auf einen anonymen Hinweis hin im Nachhinein eine aufwendige Recherche zur Herkunft des Wirts hätte anstellen müssen.
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Thüringer Allgemeine 21. März 2015
Ist Klatsch wichtiger als politische Information? (Leser fragen)
Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl der Informationen, die Platzierung auf den Seiten und die Größe der Artikel?
So fragt ein Leser der Thüringer Allgemeine (TA) Als Beispiel nennt der Leser aus Weimar den einspaltigen Artikel „AfD klagt gegen Abschiebestopp“ am 5. März; über das Thema hatte die nationale Zeitung „Die Welt“ ausführlicher berichtet. Dagegen berichtete die TA groß über den Fehltritt von Altkanzler Helmut Schmidt: „Liebe, Macht und Seitensprünge“. Der Leser stellt fest: „Auf einer Seite eine auf das Nötigste reduzierte Information und auf der anderen Seite eine übergewichtige Boulevardglosse. Ändert sich das Genre von Information auf Klatsch?“
Und der Leser fragt abschließend: „Warum erläutern sie nicht genau so wortreich den Hintergrund der Verfassungsklage? Und warum lesen wir darüber keinen Kommentar?“
Der Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“:
Wir wählen die Informationen aus, die wichtig sind für die Wähler in Thüringen, die das Leben und den Alltag unserer Leser in Thüringen beeinflussen und die zum Gespräch zu Hause oder bei der Arbeit taugen. Wir erklären das, was schwer zu verstehen ist, und wir kommentieren es, um unsere Leser zu Widerspruch oder Zustimmung zu reizen.
Über das Gutachten von Professor Schachtschneider, das die AfD zum Abschiebestopp bestellt hatte, berichteten wir ausführlich schon am 24. Februar, also zwei Wochen vor der „Welt“. Dass die AfD mit dem Gutachten vors Verfassungsgericht ziehen will, war deshalb nur eine Meldung; den Hintergrund hatten wir schon ausgeleuchtet.
Unser Reporter Martin Debes kommentierte ausführlich das Gutachten, die Klage und die Position der Regierung in seinem „Zwischenruf: Auf der rhetorischen Wippe“.
Die Enthüllungen der Liebesaffäre von Helmut Schmidt ist nur vordergründig Klatsch. Es geht vor allem um die Inszenierung und die Doppelmoral von Politikern: Schmidt zeigte der Öffentlichkeit das Bild einer guten, gar vorbildlichen Ehe. Wenn sich herausstellt, dass er seine Wähler getäuscht hatte, sprechen wir schon über eine wichtige Information.
Der Journalist Klaus Harpprecht schrieb in seinen Memoiren, die Ende vergangenen Jahres erschienen sind, von Schmidts Doppelmoral, der stets „schrecklich moralisierend“ dem Parteifreund Willy Brandt dessen offenkundige Liebschaften vorwarf. So etwas muss der Bürger erfahren, es wäre fahrlässig, wenn wir diese Nachricht unterdrückt hätten – gleich ob wir Helmut Schmidt mögen oder nicht.
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Thüringer Allgemeine, 14. März 2015, Leser fragen
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Die Kolumne „Zwischenruf“ von Martin Debes zum Thema
Auf der rhetorischen Wippe
Der AfD in Thüringen hätte nichts Besseres passieren können als diese Koalition. Neulich zum Beispiel, bei der von der neuen Fraktion beantragten Landtagsdebatte zum Winterabschiebestopp, ließ sich dieses fast schon symbiotische Verhältnis gut beobachten.
Mit Lust hüpfte Rot-Rot-Grün auf die rhetorische Wippe, die von der AfD aufgebaut worden war. Hoch und runter ging es, immerzu. Vor allem Linke und Grüne waren sich einig: Die Gegnerschaft der AfD zum Abschiebestopp sei mindestens rassistisch, wenn nicht gar nazistisch.
Allerdings fiel bei all der Empörung den Beteiligten nicht auf, dass, wenn man dieser Logik bis zu ihrem überaus schlichten Ende folgt, auch der Bundesinnenminister, die Mehrheit des Bundestages und der Länder irgendwie rassistisch sein müssen. Schließlich finden auch die den Abschiebestopp falsch oder haben ihn zumindest nicht eingeführt.
Gewiss, man muss sich der von der AfD propagierten Meinung nicht anschließen: Aber man sollte sie ernst nehmen. Nicht nur, weil sich dies in einem demokratischen Land gehört, sondern auch, weil es klug wäre.
Es ist doch so: Rot-Rot-Grün hat mit dem Winterabschiebestopp, den sie als ihren ersten Regierungsakt geradezu zelebrierten, bewusst Symbolpolitik veranstaltet.
In der Realität handelt es sich nurmehr um einen temporären Erlass, der an dem Dasein der meisten Flüchtlinge nichts grundhaft ändert. Das Justizministerium, das jetzt vor allem Migrationsministerium heißen will, kann keine genauen Zahlen mitteilen. Aber es sind bislang wohl nur etwas mehr als 100 Menschen, die aufgrund des Abschiebestopps in Thüringen bleiben durften.
Doch die AfD kümmern die Fakten genauso wenig wie die Koalition. Sie bekämpft Symbolpolitik mit Symbolpolitik. Erst das Rechtsgutachten, dann die Debatte im Landtag, nun die Klage beim Verfassungsgericht: Die Partei reitet, so wie die Koalition, ein Prinzip – nur eben das gegenteilige.
Dass der Abschiebestopp so gut wie nichts damit zu tun hat, dass immer mehr Asylbewerber im Land unterkommen müssen, ja, dass die Maßnahme demnächst ausläuft – das interessiert weder die eine noch die andere Seite. Jeder bewegt sich ausschließlich in seinem politischen Universum und bedient jeweils die eigene Klientel.
Insgeheim beginnen die Koalitionsfraktionen zu ahnen, dass ihre Reflexe die AfD nur aufwerten. Tatsächlich hat sich die Partei in dem halben Jahr ihrer parlamentarischer Existenz durchaus professionalisiert. Die Mischung aus Provokation, Populismus und normalen Politikansätzen könnte funktionieren, vor allem dann, wenn den anderen nicht mehr einfällt, als wahlweise munter drauf zu hauen, auszugrenzen oder gar mal eben eine Veranstaltung zu zerstören. In all dem Getöse fällt es nicht weiter auf, dass die AfD zum großen Teil gar nicht weiß, was sie will, außer vielleicht ausrangierte Positionen von Union und FDP einzunehmen – zumal sie unterhalb der Fraktionsebene wenige arbeitsfähige Strukturen besitzt.
Das einzige echte eigene Thema, die Europapolitik, wird bei Landeswahlen kaum mehr ziehen – zumal keiner vorhersehen kann, was aus der Gesamtpartei wird. Eine neoliberal-konservative Lucke-Partei oder ein rechtsäußeres Ideologieprojekt? Wer weiß.
Natürlich, es stimmt ja: Dort, wo die Argumente fehlen, arbeitet die AfD mit Vorurteilen, schürt Ängste und bedient sich bei Sprüchen, die so auch bei der extremen Rechten Verwendung finden. Die Rhetorik des Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke grenzt oft genug ans Völkische. Er selbst besitzt dabei die unangenehme Anmutung eines Missionars, auf den Deutschland gerade noch gewartet hat, derweil sein Fraktionsvize Stephan Brandner den parlamentarischen Dauerrüpel gibt.
Doch wie Rot-Rot-Grün darauf reagiert, ist falsch. Wer meint, dass es ausreiche, die AfD pauschal in die Nazi-Ecke zu stellen, handelt intellektuell unredlich und politisch dumm. Man sollte wenigstens registrieren, dass die AfD schlau genug ist, Leute auszuschließen, die offen rassistisch argumentieren und zu versuchen, zwischen Asylrecht und Zuwanderung zu differenzieren.
Richtig, hierbei handelt es sich, genauso wie beim Angebot Höckes, seine Abgeordnetenwohnung an Flüchtlinge zu geben, insbesondere um Taktik. Aber wenigstens scheint die AfD so etwas zu besitzen.
„Geo“-Schaper: Groteske Geldvernichtung in der Nannen-Ära beim „Stern“ (Zitat der Woche)
Ich habe die Nannen-Zeit beim Stern noch miterlebt, und die Verschwendung damals war wirklich unfassbar. Mag sein, dass der “stern” eine Zeitlang auch deshalb erfolgreich war, dennoch war das oft eine groteske Geldvernichtung. So arbeiten Chefredakteure aber schon seit mindestens 25 Jahren nicht mehr.
Michael Schaper, Chefredakteur von Geo Wissen, in einem Interview mit Peter Turi. Schaper gehörte dem legendären ersten Jahrgang der Hamburger Journalistenschule an, geleitet von Wolf Schneider, der am 7. Mai vor neunzig Jahren in Erfurt geboren wurde und in seinem nächsten Buch auf „mein langes, wunderliches Leben“ zurückblickt („Hottentotten Stottertrottel“ erscheint am 24. April bei Rowohlt).
Zitat-der-Woche-verdächtig ist auch Schapers Antwort auf die Kress-Frage: „Sehnen Sie sich manchmal danach, einen schnellen, oberflächlichen Artikel zu schreiben?“
Ist das ein Angebot zur freien Mitarbeit?
Oberstes Verwaltungs-Gericht gegen die Pressefreiheit
Der ehemalige thüringische Innenminister Christian Köckert wird vom Landgericht Meiningen wegen Vorteilsnahme zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt. Doch die Presse bekommt den Tenor des Urteils nicht: Das Handelsblatt hat die Herausgabe verlangt, das Landgericht hat sie verweigert, das Meininger Verwaltungsgericht hat die Herausgabe angeordnet (in einer anonymisierten und neutralisierten Fassung), das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat die Anordnung wieder kassiert mit der Begründung: Eine Veröffentlichung könne Zeugen im weiteren Verlauf der Revision beeinflussen.
Diese Entscheidung ist eine massive Einschränkung der Pressefreiheit. Gestern (17. März 2015) hat der Bundesgerichtshof die Revision verworfen: Der Ex-Innenminister ist wegen Bestechung rechtskräftig verurteilt. Damit ist die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zwar unbedeutend geworden, aber die grundsätzliche Entscheidung bleibt ein Skandal: Kann ein Gericht den Artikel 5 des Grundgesetzes aushebeln.
Offenbar hat der BGH darüber nicht verhandelt; es gibt zur Zeit nur eine Pressemitteilung und noch nicht das komplette Urteil. Im Zweifel sollte das Handelsblatt bis zum Verfassungsgericht gehen.
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Quelle: Handelsblatt vom 17. März 2015
Der längste Buchtitel des Jahres? Aller Zeiten? oder: „Jetzt sprechen die Opfer“ (Friedhof der Wörter)
Bei der Leipziger Buchmesse zeichnete das Magazin „Was liest Du“ am Wochenende den „ungewöhnlichsten Titel“ aus, der das Zeug hat, mit 18 Wörtern auch der längste Titel 2014 zu werden:
Wir sind glücklich, unsere Mundwinkel zeigen in die Sternennacht, wie bei Angela Merkel, wenn sie einen Handstand macht
Autor ist der Regensburger Thomas Spitzer, der sich einen „Slammer“ nennt. Das amerikanische Wort ist abgeleitet von dem Verb „to slam“, das der nutzt, der eine Tür zuknallt oder jemanden runtermacht.
Slammer treffen sich zum „Poetry Slam“, einem Dichter-Wettstreit, bei dem jeder in kurzer Zeit einen neuen Text meist frei vorträgt und das Publikum am Ende den Sieger kürt. Im vergangenen Jahr siegte in Leipzig auch ein Slammer, dessen Buchtitel drei Wörter weniger hatte: „Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr und der Junge mit dem Löffel im Hals“.
Während die großen Dichter früher kurze Titel schätzten wie „Lotte in Weimar“ oder „Ulysses“, begann der Schwede Jonas Jonasson 2009 mit einem neun Wörter langen Titel die Bestseller-Liste zu erobern: „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“. Im schwedischen Original war der Titel allerdings ein Wort kürzer: „Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann“.
Acht Wörter lang war auch der Buchtitel, den die Frankfurter Buchmesse einst als kuriosesten Buchtitel auszeichnete: „Begegnungen mit dem Serienmörder. Jetzt sprechen die Opfer“. Diese Ehrung gibt es nicht mehr. Leider.
Post vom Anwalt mit Unterlassungs-Forderung: Wie ein Chefredakteur damit offensiv umgehen kann
Bundesliga-Manager und Trainer müssen sich einiges gefallen lassen, wenn die Stürmer keine Tore mehr schießen. So erging es auch Hertha-Manager Michael Preets mit dem Tagesspiegel. Dort bekam er die Schuld für die Misere zugeschoben:
„Hoffen, bangen, hoffen. Trotz des Siegs vom Samstag gegen Augsburg könnte Hertha das fragwürdige Kunststück schaffen, in sechs Jahren dreimal abzusteigen. Manche glauben, den Grund für die Misere zu kennen: Manager Michael Preetz und seine Halbherzigkeit.“
Offenbar bemühte Michael Preetz einen Anwalt und forderte, der Tagesspiegel solle nicht mehr schreiben, er liege nachts wach vor Kummer. Lorenz Maroldt, Tagesspiegel-Chefredakteur, überlässt den Fall nicht allein seiner Rechtsabteilung, sondern berichtet darüber in einem Newsletter „Checkpoint“ mit leisem Spott:
Schon wieder Post vom Anwalt von Michael Preetz. Jetzt will er nicht mehr nur, dass nicht mehr geschrieben wird, dass er 2012 nachts wach lag und über Schuld und Schicksal grübelte, nein – jetzt er will er auch noch, dass geschrieben wird, dass er nicht nachts wach lag und über Schuld und Schicksal grübelte. Also, wenn das stimmt, dann wäre das reichlich verantwortungslos: Dem Verein ging es doch damals echt dreckig – und da genießt der Manager den Schlaf der Selbstgerechten? Arme Hertha.
„Um Himmels Willen“ – nein, „willen“ wird klein geschrieben (Friedhof der Wörter)
Sechs Millionen schauen „Um Himmels Willen“, die MDR-Serie mit Fritz Wepper als Bürgermeister und Janina Hartwig als Ordensschwester Hanna. Und sie sehen beim Vorspann einen Fehler, Dienstag für Dienstag: Der „willen“ in der Wendung „Um Himmels willen“ wird klein geschrieben! Ohne Wenn und Aber.
Da kennt selbst der Duden kein Mitleid, der sonst einen Fehler, wird er nur oft genug gemacht, als richtig anerkennt. Alle Wörter, die ähnlich gebildet werden, schreiben wir klein, so ist die Regel: „Du bist schuld am Unfall“ oder „Mir ist angst“.
Allerdings beweist unsere Sprache mit konstanter Boshaftigkeit, dass sie eine schwere Sprache ist: Groß geschrieben wird die Angst in „Ich habe Angst“.
Im „Friedhof der Wörter“ der vergangenen Woche haben wir das Sprachwissen getestet. Das ist richtig:
> „Über die Strenge schlagen“ oder „Über die Stränge schlagen“? „Stränge“ ist richtig, denn die Redewendung folgt einem Bild aus dem Reiter-Milieu: Das Pferd ist unruhig und schlägt über den Zugstrang hinaus. Pech für alle, die nicht reiten: Sie haben das Bild nicht im Kopf, sie müssen die richtige Schreibweise einfach lernen – oder, was am besten ist – das Sprachbild meiden.
> „Unentgeltlich“ oder „unentgeldlich“? Das Adjektiv hat nichts mit dem Geld zu tun, sondern leitet sich vom Verb „entgelten“ ab: „Unentgeltlich“ ist also korrekt.
> Ein Fleißkärtchen bekommt, wer die Frage richtig beantwortet hat: „ohne einander“ oder „ohneeinander“? Die zweite Fassung ist richtig – nahezu unglaublich, zudem auch hässlich anzusehen: „ohneeinander“. Am besten meidet man dieses Wort, das analog zu „miteinander“ zusammengeschrieben wird.
Wer noch einmal die Schwere unserer Sprache spüren will, schaue sich noch diesen korrekt geschriebenen Satz aus einem Gedicht von Phil Bosmans an und sei verwirrt:
„Liebe heißt, einander nahe zu sein, ohne einander zu besitzen.“
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 9. März 2015
Die deutsche Sprache ist eine schwere Sprache – selbst für Drehbuch-Schreiber (Friedhof der Wörter)
Sechs Millionen schauen die MDR-Serie „Um Himmels Willen“ mit Fritz Wepper als Bürgermeister und Janina Hartwig als Ordensschwester Hanna. Und sie sehen beim Vorspann einen Fehler, Dienstag für Dienstag: Der Willen der Wendung „Um Himmels willen“ wird klein geschrieben.
Da kennt selbst der Duden kein Mitleid, der sonst einen Fehler, wenn er nur oft genug gemacht wird, als richtig anerkennt. Die Folgen wäre zu heftig, denn alle Wörter, die anderen Wörtern entstanden sind, werden klein geschrieben: „Du bist schuld am Unfall“ oder „Mir ist angst“. Allerdings beweist unsere Sprache mit konstanter Boshaftigkeit, dass sie eine schwere Sprache ist: Groß geschrieben wird die Angst in „Ich habe Angst“.
Im „Friedhof“ der vergangenen Woche haben wir Ihr Sprachwissen getestet: Was ist richtig: „Über die Strenge schlagen“ oder „Über die Stränge schlagen“? „Stränge“ ist richtig, denn die Redewendung folgt einem Bild aus dem Reiter-Milieu: Das Pferd ist unruhig und schlägt über den Zugstrang hinaus. Pech für alle, die nicht reiten: Sie haben das Bild nicht im Kopf, sie müssen die richtige Schreibweise einfach lernen – oder, was am besten ist – das Sprachbild meiden.
„Unentgeltlich“ oder b) „unentgeldlich“? Das Adjektiv hat nichts mit dem Geld zu tun, sondern leitet sich vom Verb „entgelten“ ab: „Unentgeltlich“ ist also korrekt.
Ein Fleißkärtchen bekommt, wer die Frage richtig beantwortet hat: „ohne einander“ oder „ohneeinander“? Die zweite Fassung ist richtig – nahezu unglaublich, zudem auch hässlich anzusehen: ohneeinander. Am besten meidet man auch dieses Wort, das zusammengeschrieben wird analog zu „miteinander“.
Wer noch einmal die Schwere unserer Sprache spüren will, schaue sich diesen korrekt geschriebenen Satz aus einem Gedicht von Phil Bosmans an: „Liebe heißt, einander nahe zu sein, ohne einander zu besitzen.“
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 9. März 2015
Ein Test: Die beliebtesten Fehler – Was ist richtig? Was ist falsch?
Kann man Geld und Wertpapiere mit Bratensaft verwechseln? Wir haben es geschafft!
NSU-Opfer haben bisher mehr als eine Million Euro bekommen. Zu dieser Nachricht formulierten wir die Überschrift: „Das Geld stammt aus einem Fond für Opfer rechtsextremistischer Gewalt“. Ein Leser aus Erfurt hat die Redakteure der Thüringer Allgemeine erwischt: „Gemeint ist sicher ein ,Fonds‘, also der Topf mit Geld. Bei einem Fond handelt es sich bekanntlich um Bratensaft als Grundlage für eine Sauce.“
Er hat Recht. Wir haben das „s“ in Fonds als Plural-s gewertet und übersehen, dass es zum Wort gehört: Ein Fonds ist ein Fonds, in Einzahl und Mehrzahl. Der Bratensaft, der Fond, wird erst im Plural identisch mit dem Fonds.
Wer in die Geschichte der beiden Wörter hinabsteigt, entdeckt die Verwandtschaft der aus dem Französischen entlehnten Wörter. Dennoch: Ein Fehler bleibt ein Fehler.
Die Verwechslung von Fonds und Fond finden wir auch in der Liste der „beliebtesten Fehler“. Testen Sie: Was ist richtig? Was ist falsch?
1. a) „Über die Strenge schlagen“ oder
b) „Über die Stränge schlagen“?
2. a) „ohne einander“ oder
b) ohneeinander?
3. a) „unentgeltlich“ oder
b) unentgeldlich“?
4. a) „um Himmels Willen“ oder
b) „um Himmels willen“?
Die Auflösung kommt im nächsten Friedhof.
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 1. März 2015
Zu Schnibbens („Spiegel“) Medien-Tsunami: Lokalzeitungen können überleben – nur wie?
Bravo! sollten wir Cordt Schnibben zurufen. Endlich! sollten wir hinzufügen. Endlich eröffnet einer, dessen Stimme Gewicht hat, eine tiefe Debatte über die Zukunft der seriösen Medien. Er hat es schon einmal vor einigen Monaten im Spiegel versucht – mit mäßiger Resonanz. Lasst uns dazu beitragen, dass eine große Debatte entsteht!
Ich bin mit Leib und Seele ein Lokaljournalist, der in Schnibbens Essay keine Rolle spielt. Deshalb meine Replik. Der Text ist dem Spiegel-Blog entnommen, er wird durch meine eingerückten Anmerkungen unterbrochen:
Wenn man das, was seit einigen Jahren die Medien erschüttert, als Tsunami bezeichnet, dann ist der Blogger Richard Gutjahr einer derjenigen, der auf dieser Welle der Zerstörung jauchzend dem Strand entgegen surft. TV-Moderator Claus Kleber ist dann derjenige, der sich auf der öffentlich-rechtlichen Segelyacht gelassen rauf und runter schaukeln lässt, und Printvater Wolf Schneider schaut von einem Hügel aus kopfschüttelnd zu.
Leser mögen Bilder, wenn sie ihnen sinnlich erklären,was nur schwer zu verstehen ist. Aber Bilder müssen stimmen, dieses stimmt nicht: Ein Tsunami ist eine Naturkatastrophe, die Veränderung der Medien ist Menschenwerk; der Tsunami ist Schicksal, also unabwendbar und gott- oder schicksalsgesteuert, die Medien hängen von den Veränderungen der Gesellschaft ab – für die weder Gott noch ein Schicksal herhalten können – und von der Bereitschaft der Journalisten und Manager, auf Veränderungen zu reagieren.
Und ich? Laufe am Strand aufgeregt auf und ab und zeige warnend zum Horizont. Darum habe ich bei den drei Journalisten aus drei verschiedenen Generationen mal nachgefragt, wie sie auf die Krise ihrer Branche blicken. Und auch bei Jessica Schober, einer jungen Journalisten, die wie eine Handwerksgesellin von Redaktion zu Redaktion zieht: Sie taucht unter der mächtigen Welle durch, hält nicht viel vom hektischen Ist-Zeit-Journalismus.
Noch einmal das Bild: Unter einer Tsunami-Welle kann man nicht durchtauchen: Wer das probiert, überlebt nicht. Wir sind froh, wenn wir ein tolles Sprachbild gefunden haben, aber wir dürfen es auch nicht endlos strapazieren.
Und, mit Verlaub, ich kann mir keinen Spiegel-Reporter oder -redakteur vorstellen, der aufgeregt auf und ab läuft. In keiner Redaktion in Deutschland dürfte ein Journalist so ausgeruht nachdenken können, recherchieren und schreiben wie beim Spiegel. Das ist allerdings purer Neid.
Die Krise des Journalismus und der Medien folgt der Gesellschaft, die sich in einem Atem raubenden Tempo aufteilt, in Teilen wieder vereinigt und auf ein Ziel steuert, das keiner kennt und das es vielleicht gar nicht geben wird. Deshalb hat die Tageszeitung die größten Schwierigkeiten: Sie war (und ist zum Teil noch) das einzige Medium, das nahezu alle Zielgruppen bedient und die Gesellschaft vereint. Ein Medium, in dem sich alle wiederfinden, tut der Demokratie gut – und deshalb ist die ökonomische und journalistische Krise der Tageszeitung auch eine Krise der Demokratie, zumindest der deutschen Prägung.
Deshalb schürft Cordt Schnibbens Analyse nicht tief genug: Wir müssen nicht nur in den verschiedenen Generationen fragen (wobei, am Rande festgestellt, junge Journalisten nicht typisch für ihre Generation sein müssen – aber das ist ein eigenes Thema); wir müssen auch deutlich unterscheiden zwischen nationalen Medien und regionalen / lokalen. Dass ein Spiegel-Reporter mit leichter Mißachtung in die Provinz schaut, nehme ich ihm nicht übel, sehe ich als Deformation professionnelle.
Das Problem des Spiegel ist aber nicht unbedingt das Problem der Thüringer Allgemeine. Den Spiegel – aber auch FAZ und SZ – liest kaum mehr jemand in Thüringen, die Lokalzeitung noch jeder zweite; erschiene nicht noch das Neue Deutschland, würde im Osten kein nationales Blatt von Bedeutung gelesen.
Wenn es nicht den dramatischen Rückgang der Anzeigen gäbe, würden wir in Lokalzeitungen noch nicht über eine Krise sprechen. Dass wir darüber sprechen, wenn auch viel zu wenig, ist notwendig: Unser Journalismus stimmt nicht mehr. Wir sind auf dem Niveau der achtziger Jahre stehen geblieben und waren nicht mal verdutzt, wie viele Leser an uns vorbeigezogen sind.
Als Steve Jobs vor fünf Jahren das iPad in die Höhe hielt, wurde mir klar, dass sich unser Beruf radikal verändern wird, damals sah ich wie viele noch mehr die positiven als die negativen Veränderungen. Inzwischen ist klar, dass Tablets und Smartphones das Zeitbudget für alle Printmedien und die Zahl der Leser reduziert, die für Journalismus bezahlen; dass die Vertriebs- und Werbeerlöse schnell sinken; dass die Verleger idiotischerweise Redakteursstellen und ganze Redaktionen streichen, also journalistische Qualität abbauen. Die größte Veränderung, die das mobile Netz bringt, oft wird das übersehen, ist allerdings die Umkehrung des Verhältnisses zwischen Journalisten und Lesern.
Die Beobachtung ist korrekt, aber Journalisten waren stets mit technischen Veränderungen konfrontiert: Allein in einem halben Jahrhundert, also einem Journalistenleben, verschwand der Bleisatz, kamen die Redaktionssysteme mit dem Redaktroniker im Gepäck (bei den Lokalzeitungen, nicht beim Spiegel), stiegen die Renditen, weil die schwere Technik immer weniger Personal brauchte. Damals haben die Manager das Sparen gelernt, in den Druckereien und der Vorstufe; das Muster nutzen sie auch heute – allerdings bei den Journalisten. Das Problem der Medien sind nicht allein die Journalisten, ich wage zu behaupten: Es gibt mehr nachdenkliche und gute Journalisten als Manager.
Nur was setzen wir Journalisten dagegen? Was verstehen wir unter Qualität, wenn Qualität mehr ist als Selbstbefriedigung, sondern übereinstimmen soll mit der Qualitäts-Forderung der Leser?
Ich bleibe bei den Lokalzeitungen. Wir haben nicht das Problem des Spiegel: Unsere Leser haben uns schon immer kontrollieren können, weil sie sich in ihrer Stadt und Nachbarschaft auskennen. In einer Lokalzeitung können sie ihre Leser nicht an der Nase herumführen. Aber sie können die falschen Themen setzen, sich mit den Mächtigen verbünden und glauben, im Rotary-Club ihre Leser kennenzulernen.
Die Debatte um die Zukunft des Lokaljournalismus – also quantitativ der Mehrheit der gedruckten Tages-Medien – hat noch gar nicht richtig begonnen. Zu viele Lokaljournalisten arbeiten wie in den achtziger Jahren und hoffen, den Ruhestand noch gerade unbeschadet zu erreichen.
Als der Funke-Kommunikationschef Korenke bei einem TA-Symposium die Beamten-Mentalität vieler Redakteure beklagte, gab es einen Aufschrei bei Betriebsräten. In den Schreiben fand man viel Empörung, aber keine Konzepte, noch nicht einmal Hinweis wie: Lasst uns zusammen über die Zukunft nachdenken! Gemeinsam Strategien entwickeln! Gemeinsam Konzepte entwickeln! Gemeinsam Qualität bestimmen!
Meist wird über die Quantität die Qualität einer Redaktion bestimmt: Je mehr Redakteure umso höher die Qualität. Sicher gibt es Redaktionen, die so schwach besetzt sind, dass sich ein Gespräch über Qualität erübrigt. Aber wie viele große Redaktionen sind einfallslos, konzeptlos – und ahnungslos?
Marx und Engels sprachen vom Umschlag der Quantität in die Qualität. Das klappte in der sozialistischen Wirtschaft nicht, und auch nicht im Journalismus. Wir brauchen dennoch eine „Dialektik des Journalismus“. Nehmen wir Schnibbens Essay als Einführung dazu und die junge Wortwalz-Kollegin als Begleitung, die sich auf ihrer Homepage rühmt: „Mit Sprache sorgfältig umgehen, auf Schnörkel scheißen.“ Das könnte fast von Wolf Schneider sein.
Können Sie, werter Herr Schnibben, Jessica Schober noch einmal auf die Walz schicken? Mit einem Teil ihres Jubiläums-Bonus (der ja, das muss der Neid lassen, verdammt hoch sein muss)? Sie soll aber mehr schildern als Momentaufnahmen, die hübsch zu lesen sind; sie sollte die Krise nicht in Episoden auflösen – sondern mit einer reifen Idee vom besten Journalismus im Lokalen starten und prüfen, wo er gelingt und wo er misslingt und wie die Idee zu korrigieren ist. Am Ende hätten wir ein Konzept, das zur Debatte taugt. Und wir hätten eindlich eine Debatte statt Hunderte von Kongressen zu Online und Bezahl-Modellen.
Bevor ich zum SPIEGEL wechselte, arbeitete ich bei der „Zeit“. Wir glaubten damals an das Erfolgsrezept: Wir schielen nicht auf den Leser, wir machen die Zeitung für uns Journalisten, es werden sich schon genügend Leser finden, die für so ein Blatt bezahlen.
Auf meinem Flur saß ein Ressortleiter, der sich köstlich über Leserbriefe amüsieren konnte. Wenn sich ein Leser darüber beschwerte, dass ein Leserbrief unbeantwortet geblieben war, ließ er dem Schreiber mitteilen, er habe leider einen Zimmerbrand zu beklagen und dabei müsse wohl auch dessen Leserbrief in Flammen aufgegangen sein.
Es war die große Zeit der journalistischen Autokratie, die Texte wurde über den Lesern abgeworfen, wer sie kritisierte, wurde als Querulant abgetan, dem man am besten das Abo kündigte. Wir bestimmten, welche Themen mit welchen Informationen – oft auch mit welchen Meinungen – unsere Leser zur Kenntnis nehmen konnten, nur die Konkurrenz zwischen den überregionalen Medien sorgten für eine gewisse Pluralität. Dieses Gatekeeper-Monopol ist durch das Netz, insbesondere das mobile Netz, aufgebrochen worden, jeder Leser ist sein eigener Gatekeeper, erstellt sich seine Agenda – unterstützt von Suchmaschinen und sozialen Medien – quer durch alle Medien und all die Themen, die ihn interessieren, selbst zusammen.
Schöne Anekdoten aus der Geschichte des Journalismus: Wie wir lernten, den Leser zu vergessen. Warum haben wir uns diesen Dünkel nach dem Krieg nur geholt?
Solche Geschichten gibt es auch aus dem Lokalen zu erzählen: Wie die Honoratioren, zu denen auch die Verleger zählten, die Zeitung beherrschten. Da gibt es in einem leider vergessenen Buch von Karl-Hermann Flach von 1968 Deprimierendes zu lesen: „Macht und Elend der Presse“. Das meiste davon stimmt heute noch; wir sollten das Buch nachdrucken, zumindest den ersten Teil.
Schwer verständlich ist: Warum haben viele Lokalredakteure diese Rolle der Verleger übernommen? Warum sind sie so obrigkeitshörig? Die meisten Redaktionen gehören mittlerweile zu Konzernen oder großen Verlagen: Da findet kein Vereinspräsident oder Bürgermeister mehr so starkes Gehör, dass ein Chefredakteur oder Lokalchef bangen müsste. Die Konzentration der Zeitungen hat also nicht nur den Nachteil, dass Sparkonzepte übermächtig werden, sondern durchaus einen großen Vorteil für die Unabhängigkeit der Redakteure.Anders als bei den überregionalen Medien gibt es im Lokalen noch das Monopol, das wohl noch lange bestehen wird – wenn die Redakteure überhaupt recherchieren und das recherchieren, was ihre Leser wirklich interessiert. Wolf Schneider hat Recht: „Gute Lokalzeitungen haben die besten Überlebenschancen.“ Aber, aber: Sie dürfen nicht mehr die Überregionalen kopieren, die die Konkurrenz mit TV und Internet längst verloren haben; sie müssen konsequent die Themen ihrer Leser spielen – Provinz sein, aber nicht provinziell agieren. Professionellen Journalismus mögen auch die Leser einer Lokalzeitung.
Ich sehe eine ganz andere Gefahr im Lokalen. Wer schaut, was in den Online-Auftritten der Lokalzeitungen geklickt wird, entdeckt vorne durchweg Blaulicht-Geschichten. Der Hase, der überfahren wird, interessiert mehr als der Bericht aus dem Stadtrat. Daran ist nicht der Hase schuld, sondern die Redaktion – die aus dem Stadtrat nicht so aufregend berichtet, nicht tief genug recherchiert und vom Geschichten-Erzählen nur hört, wenn skurrile Kollegen auf „Storytelling“-Seminare gehen.
Daraus ziehen einige Manager und Chefredakteure schon den Schluss: Online im Lokalen ist Boulevard, also ganz viele Hasen und ganz wenig Politik. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass wir weit vorne im Grundgesetz auftauchen, dass der Artikel 5 nicht nur Rechte vergibt, sondern auch Pflichten. Es ist die Aufgabe von Redakteuren, dafür zu sorgen, dass dieselbe Seriosität der gedruckten Zeitung auch im Netz Nutzer und bald auch Käufer findet. Das schreibt auch Schnibben, wobei es im Lokalen nie Verifikationsabteilungen gab. Für die Verifikation sorgte der ortskundige Kollege, und wenn der irrte: Der Leser.
In diesem unendlichen Universum aus Fakten und Fälschungen, Meinungen und Gerüchten allerdings lauert die Gefahr, zum Spielball von Google, Facebook und Co. zu werden, da liegt die Chance für die alten Medien, so etwas wie Fixsterne zu sein, also durch Recherche, Dramaturgie, Stil, Glaubwürdigkeit und Transparenz herauszuragen. Das setzt allerdings voraus, dass sie ihre journalistische Qualität erhöhen, also Korrespondentennetze und Recherchepools ausbauen, Datenjournalismus und Verifikationsabteilungen aufbauen, es sei denn, sie haben sie, wie der SPIEGEL.
Und die Redakteure müssen ihr Verhältnis zu ihren Lesern neu denken: Journalisten sollten keine Türsteher mehr sein wollen, die entscheiden, was wie in die Köpfe ihrer Leser kommt; Journalisten sollten sich als Lieferanten sehen, die heranschleppen, was ihre Leser vielleicht in ihre Köpfe hereinlassen. Und das bedeutet: transparent zu arbeiten, Grenzen und Widersprüche ihrer Recherchen aufzuzeigen; um Wahrheit zu ringen, aber nicht zu glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein. Und vor allem: im Meinungsaustausch mit den Lesern die Story weiterzuschreiben.
Ja, unbedingt: Respekt zeigen, den Leser ernst nehmen. Aber wie viele Leser sind nur passiv im Netz, haben weder Lust noch Zeit, Storys mit uns weiterzuschreiben? Ist nicht im Netz eine neue Elite unentwegt auf Sendung – neben den Nörglern, Beleidigern und verbalen Totschlägern, die es immer schon gab und die früher nur kein Medium hatten? Oder müssen wir im Dreck der Beleidigungen die Goldklümpchen entdecken?
Reicht es aus, wenn wir nicht mehr im Chefarzt-Ton sprechen?
Die Digitalisierung des Journalismus – eine ihrer Vorzüge – ermöglicht ein ganz neues Verhältnis zum Leser, durch Kommentarfunktionen, Chats, Redakteursblogs und die Personalisierung von Inhalten. Bisher haben die Verlage die Vorzüge der Digitalisierung vor allem in neuen Erlös- und Vertriebswegen von journalistischen Inhalten gesehen, sie investieren in Paywalls, E-Paper und Apps. Das nützt alles nichts, wenn sie gleichzeitig die Investitionen in journalistische Qualität zusammen streichen: Auf den digitalen Märkten ist die Konkurrenz größer als auf den analogen Märkten und das Preisniveau niedriger – wer langfristig wachsende Digitalerlöse will, muss sich gerade im Netz durch Qualität abheben.
„Ach ja, die Qualität!“, seufzt ein hoher Verlagsmanager gerne und blamiert seine Chefredakteure: „Und was bitte ist Qualität?“ Wie manche stottern oder einfach nur erröten.
Selbst wenn wir sie ausreichend bestimmen könnten, bleibt die Frage: Reicht unsere Ausbildung aus? Haben wir uns da schon auf die Zukunft eingestellt? Wer wie Cordt Schnibben beim Qualitäts-Gott Wolf Schneider gelernt hat, könnte lange und gut über den professionellen Journalismus der Zukunft sprechen; aber – wenn ich es recht sehe – wird die anspruchsvolle Ausbildung immer mehr ausgedünnt, so es sie überhaupt je gegeben hat. Wie ist es beispielsweise beim Spiegel?
Es muss schon irritieren, dass Springer Millionen in die wohl beste Journalisten-Ausbildung in Deutschland investiert – ein Verlag, der diese Investition immerhin vor seinen Aktionären rechtfertigen muss.
Von uns Altvorderen, die Wolf Schneider genießen durften, können die Nachkommen lernen, was einen Journalisten zum Profi machen. Von den digitalen Ureinwohner lernen wir – auch eine neue Situation – wie man im digitalen Universum heimisch wird. Was wir allerdings auch lernen und was wir den Nachkommen lehren sollten: Wir müssen künftig herausfinden, wie und wo wir unsere Recherchen vermarkten können – ohne die Regeln zu verletzen wie auf den Mode-Seiten der SZ (obwohl auch über diese Grenzen eine Debatte sinnvoll wäre).
Und wir Journalisten müssen begreifen, dass wir in Zeiten der Digitalisierung in den Lesern mehr sehen müssen als zahlende Kunden, wenn wir auch zukünftig ihr Geld kriegen wollen. Sie sind Experten, Gesprächspartner, Themengeber, manchmal sogar Rechercheure, sie sind Kritiker, Korrektoren, manchmal Nervensägen, in jedem Fall ist ihnen unser Blatt so viel wert, dass sie mehr verdient haben als nur unsere höfliche Aufmerksamkeit. Darin stimmen – Erkenntnis meiner Rundreise – Schreiber, Kleber, Gutjahr und Schober, die vier Journalisten aus vier Generationen, überein, so unterschiedlich und spektakulär auch sonst ihre Antworten auf die Printkrise ausfallen. Zu lesen im neuen SPIEGEL
Noch einmal, und mit Inbrust: „Experten, Gesprächspartner, Themengeber, manchmal sogar Rechercheure, Kritiker, Korrektoren, manchmal Nervensägen“ gab es im Lokalen immer schon; der Chefarzt-Ton klappt selten in einer Lokalredaktion. Aber es bleibt die Frage: Warum machen die meisten Lokalredaktionen so wenig mit den Themengebern und Nervensägen? Wir haben es einfacher als die Überregionalen.
Vor anderthalb Jahren habe ich eine ähnliche Rundreise entlang der Klippe der Krise gemacht, damals zu Chefredakteuren von Tageszeitungen – die ausdauernde Wucht des digitalen Tsunami war schon damals zu spüren. Die „Abendzeitung“ in München hat es bald darauf erwischt, aber es gab Stimmen aus der „SZ“, der „FAZ“ und der „Zeit“, die sich darüber wunderten, dass ein Printredakteur über die Printkrise schrieb: Wie kann man vor dem Tsunami warnen, dann hauen uns die Badegäste ab. Man dürfe die eigene Branche nicht schlecht machen, ganz so, als seien wir immer noch die Türsteher, die Texte über Strukturkrisen in der Luftfahrt, in der Atombranche und sonstwo zulassen, Artikel über die Medienkrise aber aussperren könnten.
Nun reicht es mit dem Tsunami. Und wo kommen denn nur die Klippen her? Und wenn doch: Nach Thailand fahren die Touristen wieder.
Und heute? Die „SZ“ zieht im kommenden Monat zum Schutz eine Paywall hoch, die „Zeit“ veröffentlicht inzwischen eine Krisenstory nach der anderen, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ beschworen drei Redakteure gewagt das Ende der Zeitung auf Papier in sieben Jahren.
Im Gespräch damals warnte „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher, wenn es nicht gelinge, für Qualitätsjournalismus im Netz ausreichend Geld zu erlösen, rutsche die Printbranche in die „Ära des Darwinismus“, in der alle Tages- und Wochenzeitungen gegeneinander mit allen Mitteln um Anzeigenkunden, Leser und das Überleben kämpften. Von einer Paywall ist die „FAZ“ nach wie vor weit entfernt, schreibt im dritten Jahr in Folge tiefrote Zahlen; und der langjährige Mitherausgeber Günther Nonnenmacher warf dem verstorbenen Kollegen hinterher, solche Talking Heads wie Schirrmacher brauche die Zeitung nicht, der habe weder „die Auflage der „FAZ“ steigern können“ noch seien „wegen ihm mehr Anzeigen“ geschaltet worden. Solche Journalisten wie Nonnenmacher – unberührt davon, was und wer eine Zeitung dem Netz überlegen macht – sind die Totengräber der Tageszeitungen.
Musste dies Nachtreten gegen die FAZ und Nonnenmacher sein? Die Schmähung von Schirrmacher durch den Weggefährten war in der Tat unsäglich. Aber was soll es am Ende eines sonst exzellente Essays? Wir Journalisten waren untereinander schon immer schlimmer als die schlimmsten Leser. Wenn wir über Qualität reden, ist Nachtreten wenig förderlich.
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