Alle Artikel der Rubrik "Aktuelles"

Meistgeklickt in der Vorwahl-Woche: Die FAZ gegen die taz

Geschrieben am 23. September 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 23. September 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Sehr dicht beinander lagen die Klickzahlen in der Woche vor der WahL.

1. Die FAZ druckt einen Text, den die taz nicht drucken wollte

Offenbar um die Wahlchancen der Grünen nicht zu drücken, verhinderte die taz-Chefredakteurin einen Text über Pädophilie bei den frühen Grünen. Aber Unterdrücken funktioniert heute nicht mehr.

2. Wie AP recherchierte, ob der Unglücks-Zug zu schnell gefahren ist

Ein älterer Blog über eine überraschende und gelungene Recherche

3. Lange Sätze, kurze Sätze und das Drei-Sekunden-Gesetz

Noch ein älterer Text: Immer wieder geklickt der Text über die Gesetze der Verständlichkeit, sozusagen Basiswissen für Journalisten

4. Wo schlägt das politische Herz von Redakteuren?

Dazu gibt es einen Blog mit Antwort: Es schlägt links

5.Merkel und ihre Unbestimmtheit: Die stellt Journalisten doch zufrieden

Der kryptische Titel verweist auf die Lehrjahre der Kanzlerin: Die lernte bei Genscher, dass man mit Journalisten nett umgehen muss und wenig sagen – das reicht.

Das Herz von Journalisten schlägt weit links

Geschrieben am 23. September 2013 von Paul-Josef Raue.
2 Kommentare / Geschrieben am 23. September 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, B. Die Journalisten.

Die Frage lautete hier am 21. September: Wo schlägt das politische Herz von Redakteuren? Es schlägt links.

Den Hinweis auf eine Weischenberg-Studie von 2005 gab Alexander Will: „Journalismus in Deutschland“ nach einer Repräsentativbefragung durch das Journalistik-Institut der Universität Hamburg. Danach wählen Journalisten völlig anders als ihre Leser. Rund 1500 Journalisten wurden nach ihrer Parteineigung befragt, nicht nach ihren Wahlabsichten:

1. Die Grünen (35,5)
2. SPD (26,0)
3. Wechselwähler / „Ich neige keiner Partei zu“ (19,6)
4. CDU (8,7)
5. FDP (6,3)

Auf einer Skala von 1 (politisch weit links) bis 100 (politisch weit rechts) liegen die Journalisten mit 38 recht weit links; ihre eigenen Medien ordnen sie ziemlich genau in der Mitte ein.

Die Vorliebe für die Grünen ist vor allem bei den Journalistinnen zu finden (43 Prozent) und den Jüngeren von 36 bis 45 Jahren (42 Prozent).

Dieser Text folgte im Blog am 21. September, also am Tag vor der Bundestagswahl (leicht redigiert):

Wen wählen Redakteure? Wir hatten in einem kleinen Kreis diskutiert: Sollen wir in der Redaktion eine geheime Wahl abhalten? Wir entschieden uns dagegen: Das Ergebnis wird in die Öffentlichkeit kommen und der Redaktion das Leben schwer machen, gleich wie das Ergebnis ausgehen wird.

Die FTD, als es die deutsche Ausgabe noch gab, war sogar einen Schritt weitergegangen: Sie hat eine eigene Wahlempfehlung abgegeben, wie es in angelsächsischen Zeitungen sogar üblich ist.

Die Bildzeitung schreibt heute nicht, wie die Redakteure wählen; sie zeigt 50 Reporter, die sagen, wen sie nicht wählen. Die unbeliebteste Partei bei den ausgewählten Bild-Reportern sind die Grünen und die Linken; die FDP zieht weniger Abneigung auf sich als die beiden Volksparteien und die AfD.

Zwei Reportern gelingt es sogar, zu schreiben, wen sie wählen: “Ich wähle lieber ein Original und nicht die CDU, weil die nie von allein auf die Energiewende und die Homo-Ehe gekommen wären.” (Jörg Schallenberg, Nachrichten) Und: “Ich möchte, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt.” (Stephanie Bilges, Politik) Da wäre allerdings noch die Leih-Zweit-Stimme für die FDP möglich.

Weitere Abneigungen:

Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil mir gut verdienende Öko-Intellektuelle, die sich mit grünem Anstrich zum Gutmenschen stilisieren, stinken. (Claudia von Duehren, Berlin)

Sorry, Linkspartei, das wird nichts mehr mit uns! Ex-SED-Genossen, Staatsgläubigkeit, verlogener Pazifismus, Wirtschaftsfeindlichkeit – never. (Ralf Schuler, Politik)

Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil niedersächsisches Fleisch mein Gemüse ist! 🙂 (Cornelia Missling, Hannover)

Ich wähle auf keinen Fall FDP, damit die weltfremden Liberalen endlich im Niemandsland der Politik verschwinden. (Olaf Wehmann, Berlin)

Ich fand Steinbrück im Wahlkampf so unerträglich, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben NICHT die SPD wähle. (Claudia Weingärtner, Nachrichten)

Ich wähle auf keinen Fall CDU, weil ich Frau Merkel den Mut zu wirklichen Reformen abspreche. (Victor Reichardt, Politik)

Quellen: Media-Perspektiven 7/2006 (Journalismus in Deutschland 2005) / Bild, 21. September 2013

Politiker und Bürger: Der Fluch des Wissens und taktische Unverständlichkeit (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 22. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Politiker sprechen gern von Bürgernähe, vor allem vor der Wahl. Sie geloben Transparenz, also Durchsichtigkeit: Danach soll alles, was Politiker tun, für jedermann sichtbar und verständlich sein.

In den Programmen der Parteien ist die Bürgernähe nur ein Wort. Kommunikations-Forscher der Hohenheimer sprechen ein vernichtendes Urteil über die Verständlichkeit politischer Texte aus; dies war Thema der vergangenen Kolumnen.

Den Grund für die Unverständlichkeit sehen die Wissenschaftler in den Diskussionen von innerparteilichen Experten. Professor Frank Brettschneider erklärt:

Diesen ist meist nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wähler ihr Fachchinesisch nicht versteht, wir nennen das den Fluch des Wissens.

Ein Beispiel aus einem Parteiprogramm sei zitiert und nicht erklärt: „Comprehensive Test Ban Treaty“

Doch nicht allein der „Fluch des Wissens“ hindert die Politiker, klar und verständlich zu schreiben: „Zudem nutzen sie abstraktes Verwaltungsdeutsch, um unpopuläre Positionen absichtlich zu verschleiern.“ Dies nennen die Wissenschaftler „taktische Unverständlichkeit.“

Und wie sieht ein verständliches Politiker-Deutsch aus? Die Wissenschaftler geben vier Hinweise, die für jeden hilfreich sind, der verstanden werden will:

1. Keine Fremd- und Fachwörter ohne Erklärung. Wer über kein Fachwissen verfügt – wie die meisten Bürger – und wer keine akademische Ausbildung hat, steht vor einer kaum überwindbaren Hürde.

2. Keine Wortungetüme, also lange Wörter, und zu viele Hauptwörter; sie erschweren das Lesen und blockieren das Verstehen.

3. Keine langen Sätze; Bürger, die sonst wenig lesen, haben Schwierigkeiten, lange Sätze zu zertrümmern.

4. Keine mit Informationen überfrachteten Sätze; Ein Satz soll möglichst nur eine Information vermitteln.

Wer diese Regeln nicht befolgt, wird vom Bürger bestraft: Er liest nicht weiter.

Die übrigen Folgen der Parteiprogramm-Serie:

Rekord – Der längste Satz im Wahlprogramm
Liquiditätsanforderungen – Wortungetüme in Wahlprogrammen
Wer hat das längste Wort im Wahlprogramm? Mehr als 42 Buchstaben?

Thüringer Allgemeine 23. September 2013

Reich-Ranickis Abschiedssätze

Geschrieben am 21. September 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 21. September 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, B. Die Journalisten.

Nach einem langen Abend im Rosengarten an der Ostsee, erinnert sich Doris Runge, verabschiedete sich Marcel Reich-Ranicki stets:

Es hätte ein wunderschöner Abend werden können, hättet ihr mich auch einmal zu Wort kommen lassen.

Quelle: FAZ, 20. September 2013

Wo schlägt das politische Herz von Redakteuren?

Geschrieben am 21. September 2013 von Paul-Josef Raue.
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Wen wählen Redakteure? Wir hatten in einem kleinen Kreis diskutiert: Sollen wir in der Redaktion eine geheime Wahl abhalten? Wir entschieden uns dagegen: Das Ergebnis wird in die Öffentlichkeit kommen und der Redaktion das Leben schwer machen, gleich wie das Ergebnis ausgehen wird.

Die FTD, als es die deutsche Ausgabe noch gab, war sogar einen Schritt weitergegangen: Sie hat eine eigene Wahlempfehlung abgegeben, wie es in angelsächsischen Zeitungen sogar üblich ist.

Gemeinhin werden Redaktionen eher links eingeordnet, offenbar weil Intellektuelle sich eher links drehen. Gibt es seriöse empirische Untersuchungen aus Redaktionen? Antworten erbeten!

Die Bildzeitung schreibt heute nicht, wie die Redakteure wählen; sie zeigt 50 Reporter, die sagen, wen sie nicht wählen. Die unbeliebteste Partei bei den ausgewählten Bild-Reportern sind die Grünen und die Linken; die FDP zieht weniger Abneigung auf sich als die beiden Volksparteien und die AfD.

Zwei Reportern gelingt es sogar, zu schreiben, wen sie wählen: „Ich wähle lieber ein Original und nicht die CDU, weil die nie von allein auf die Energiewende und die Homo-Ehe gekommen wären.“ (Jörg Schallenberg, Nachrichten) Und: „Ich möchte, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt.“ (Stephanie Bilges, Politik) Da wäre allerdings noch die Leih-Zweit-Stimme für die FDP möglich.

Weitere Abneigungen:

Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil mir gut verdienende Öko-Intellektuelle, die sich mit grünem Anstrich zum Gutmenschen stilisieren, stinken. (Claudia von Duehren, Berlin)

Sorry, Linkspartei, das wird nichts mehr mit uns! Ex-SED-Genossen, Staatsgläubigkeit, verlogener Pazifismus, Wirtschaftsfeindlichkeit – never. (Ralf Schuler, Politik)

Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil niedersächsisches Fleisch mein Gemüse ist! 🙂 (Cornelia Missling, Hannover)

Ich wähle auf keinen Fall FDP, damit die weltfremden Liberalen endlich im Niemandsland der Politik verschwinden. (Olaf Wehmann, Berlin)

Ich fand Steinbrück im Wahlkampf so unerträglich, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben NICHT die SPD wähle. (Claudia Weingärtner, Nachrichten)

Ich wähle auf keinen Fall CDU, weil ich Frau Merkel den Mut zu wirklichen Reformen abspreche. (Victor Reichardt, Politik)

Reich-Ranickis Stillehre in vier Worten: Keine Wissenschaft! Keine Fremdwörter

Geschrieben am 20. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Silke Scheuermann wartet in einem Münchner Hotelzimmer auf ihre Lyrik-Lesung und ruft „extrem nervös“ Marcel Reich-Ranicki zu Hause an. Sie möchte für die „Frankfurter Anthologie“ ein Gedicht von Friederike Mayröcker interpretieren.

Sie ruft an, nimmt sich vor, keine Anglizismen zu benutzen und redet vom Mayröcker-Sound und vom Event. „Wie sprechen Sie denn?“, bellt der Meister, „Sie sind doch kein kleines Mädchen mehr.“ Aber nach kurzem Gespräch bittet er um einen Text mit dem Hinweis:

Aber na gut, machen Sie, schreiben Sie auf, was Ihnen persönlich an diesem Gedicht gefällt. Keine Wissenschaftsprosa! Keine Fremdwörter! Was Ihnen gefällt!“

Keine Wissenschaftsprosa! Keine Fremdwörter! Das ist Reich-Ranickis Stillehre in vier Worten. MRR starb am 18. September 2013.

Quelle: FAZ 20. September 2013

Die FAZ druckt einen Text, den die taz nicht drucken wollte

Geschrieben am 18. September 2013 von Paul-Josef Raue.

„Und wer kontrolliert die Zeitungen?“ Es gibt kaum eine Diskussion mit Politikern und nicht selten auch mit Leser, in der nicht diese Frage gestellt wird. Die Antwort ist einfach: Die Medien kontrollieren die Medien.

Ein gutes Beispiel lieferte die Sonntagszeitung der FAZ: Sie druckte auf der zweiten und dritten Seite einen Beitrag, den die taz-Chefredakteurin Ines Pohl nicht drucken wollte. Thema von Christian Füllers „Die große Legende“ ist die Förderung von Kindesmissbrauch und Pädophile durch die Grünen in ihren Anfangsjahren.

Die FAS kündigte den Beitrag auf der Titelseite an: „Die taz-Chefin wollte den Text nicht drucken. Genannt wurden dafür alle möglichen Gründe, auch in der Redaktionskonferenz.“ Die Gründe waren: Falsche Tatsachen, falsche Kausalketten, handwerkliche Schwächen. Der Hauptgrund war wohl der Wahlkampf und die schädliche Wirkung des Artikels auf die Grünen, die der taz nahestehen.

Füllers Artikel endet:

Der grüne Moralist ist nackt – und alle können es sehen.

Am Rande sei eine Pikanterie erwähnt: Die taz-Chefredakteurin beschwerte sich in der Redaktionskonferenz, dass der Streit öffentlich wurde. Der Autor dieses Blogs erinnert sich gut daran, wie genüsslich die taz Diskussionen anderer Redaktionen in ihrem Blatt ausbreitet – in der Regel ohne die Angegriffenen zu befragen.

FAS 15. September 2013

Kommentar von Anton Sahlender via Facebook

Da gibt es durchaus noch etwas mehr Kontrolle: Gesetze, Presserat, Leser und da und dort Ombudsleute

Wie viele Leser verstehen „Leasing“ in der Überschrift?

Geschrieben am 16. September 2013 von Paul-Josef Raue.

„Leasing“ steht in der Überschrift auf der Wirtschaftsseite. „Das Wort verstehen viele Leser nicht“, sagt der Chefredakteur in der Abendrunde.

„Das kennt doch mittlerweile jeder“, erwidert der Wirtschaftschef.

„Aber Leasing ist doch nur etwas für Manager mit Dienstwagen, der normale Mensch holt sich einen Kredit“, lässt der Chefredakteur nicht locker.

„Nein, nein“, stöhnt der Wirtschaftschef und legt sein Gesicht ob solch großer Weltfremdheit in Falten, „Leasing ist auch unter Privatkunden schon das Normale.“ Also – bleibt Leasing in der Überschrift stehen.

Redaktionen machen Zeitungen für ihre Kunden, ihre Leser: Sie sollen und müssen alles verstehen. Auto-Konzerne verkaufen Autos an ihre Kunden: Sie sollen und müssen alles verstehen.

„Allein der Name Leasing schrecke viele bislang doch ab“, sagt Anthony Bandmann, Sprecher der Volkswagen-Bank, heute in der Welt (16. September); zudem sei Leasing für Privatleute eher ein Nischenthema.

Via Facebook:

Sebastian Lange hat geschrieben:

Ja, man könnte auch Mietkauf sagen. Doch ob man es goutiert (!) oder nicht: Manche fremdsprachigen Begriffe haben nun einmal Einzug in den deutschen Sprachgebrauch gefunden. Beim Leasing sind die Aufnahme in den Duden und das BGB Indizien dafür. Und ich werde auch künftig Jeans und T-Shirt ablegen, nur die Schwimmshorts anbehalten und vorher noch schnell das Smartphone beiseitelegen, bevor ich in den Swimmingpool springe.

Ok, ich würde definitiv auch ins Schwimmbecken springen und die Badehose anziehen, aber nicht die Baumwollhose und das Baumwoll-Leibchen ablegen. Und mein Multifunktions-Mobiltelefon beiseitelegen? Ich weiß nicht. Weil das Bemühen, verständlich zu schreiben, aber wirklich wichtig ist, und weil Sie es sind, lieber Herr Raue, kommt hier noch ein „Lächelgesichtchen“: 🙂

Meistgeklickt: Journalisten, die ihr Gesicht zeigen, und Merkel, die von Genscher lernte (2. Septemberwoche)

Geschrieben am 16. September 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 16. September 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Die Frage, ob Redakteure ihr Gesicht in der Zeitung zeigen sollen, hatte einen Klick mehr in der zweiten Septemberwoche als das Merkel-Zitat, von wem sie ihre Unbestimmtheit gelernt habe. Das waren die meistgeklickten Beiträge in meinem Blog:

1. Sollen Journalisten in der Zeitung ihr Gesicht zeigen?

Die Frage entzweit Redaktionen. Mainpost-Ombudsmann Anton Sahlender greift die Frage in seiner Kolumne auf und bejaht sie.

2. Merkel und ihre Unbestimmtheit: Die stellt Journalisten doch zufrieden

Merkel lernte in jungen Politikerjahren von Genscher: Der sagte wenig und machte Journalisten dennoch glücklich. Es geht auch ohne gelben Pullover.

3. Wie Christian Nienhaus einen guten Chefredakteur definiert

Selten hat ein Verleger so deutlich gesagt, wie er sich seinen Chefredakteur vorstellt: Als mächtigen Meinungsmacher und Freund seiner Leser.

4. Erste Wahl! Was auf den neuen dpa-Chefredakteur zukommt

In der zweiten Woche unter den meistgeklickten Fünf: Sven Goesmann, der erst nächstes Jahr sein neues Amt antritt.

5. Rekord – der längste Satz im Wahlprogramm hat 71 Wörter

Die Wahlprogramme sind kein Leckerbissen für Freunde der deutschen Sprache – im Gegenteil. Wortungetüme und lange Sätze: Warum tun Parteien ihren Wählern dies nur an? Wer Lust hat, noch einmal den längsten Satz in deutschen Zeitungen zu lesen, der folge diesem Link.

Rekord – Der längste Satz im Wahlprogramm hat 71 Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 15. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Selbst die Linken können den FAZ-Feuilletonisten Gerhard Stadelmaier nicht schlagen: Der brachte in einem Satz 208 Wörter unter und seine Leser zur Verzweiflung (siehe Blogbeitrag). Das ist Jahresrekord!

Die Linke schafft allerdings den Satzlängen-Rekord in den Wahlprogrammen der Parteien: 71 Wörter.

Zur Ehrenrettung der Partei muss ich einräumen: Der Satz enthält eine lange Aufzählung, klar gegliedert und gut verständlich (siehe unten). Er zeigt, dass die schiere Länge noch nichts über die Verständlichkeit aussagt; schwierig wird es erst, wenn der Satz lang und verschachtelt ist – wie bei der FDP.

Die Liberalen schaffen mit 68 Wörtern den zweiten Platz, aber den ersten Platz in der Unverständlichkeit. Sie beginnt – und das ist ein Kunststück – gleich mit zwei Nebensätzen:

Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.

Betätigen Sie sich einfach mal als Satz-Pathologe: Wo ist der Hauptsatz?

Auf dem letzten Platz finden wir die CDU. Auch deren 42-Wörter-Satz ist kein Beispiel für guten Stil:

Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.

Ein Nebensatz ist ein Nebensatz, weil er eine Nebensache enthält. Ein Hauptsatz ist ein Hauptsatz, weil er die Hauptsache enthält. Ein 2-Wörter-Hauptsatz „Wir wollen“ und ein 40-Wörter-Nebensatz sind schlicht ein Unsinn.

Claudia Thoms ist Kommunikations-Wissenschaftlerin an der Universität Hohenheim. Sie hat, zusammen mit Professor Frank Brettschneider, die Wahlprogramme untersucht und weiß, wie sie formuliert sein sollten:

Zu lange Sätze erschweren das Verständnis – vor allem für Wenig-Leser. Sätze sollten möglichst nur jeweils eine Information vermitteln.

Auf den Wahlplakaten gelingt es ja.

PS. Gestern war der Tag der deutschen Sprache (immer am zweiten Samstag im September). Wer hat’s gemerkt? Wer hat ihn gefeiert?

Die längsten Sätze im Wortlaut:
1. Die Linke – 71 Wörter

Einführung des Mindestlohns von 10 Euro die Stunde, Zurückdrängen von Leiharbeit, Befristungen und Minijobs, Erhöhung der Renten, Rücknahme der Rente erst ab 67 Jahren, Lohn- und Rentengerechtigkeit in Ostdeutschland, solidarische Gesundheitsversicherung, Vermögenssteuer, Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen und Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro, Abzug aus Afghanistan und Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, Verbot von Waffenexporten – das sind Entscheidungen, die eine neue Regierung sofort treffen könnte, das sind unsere Sofortforderungen für einen Politikwechsel.

2. Die FDP – 68 Wörter

Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.

3. SPD 62 Wörter

Dafür bedarf es der Überwindung von Ungleichheiten in den Gesellschaften und der Schaffung von guter Arbeit, die sich an der Decent Work Agenda der ILO orientiert, der Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung, der Hilfen beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme im Sinne eines Basisschutzes nach dem Konzept des Social Protection Floors der UN und der ILO sowie der Gleichstellung von Männern und Frauen.

4. Grüne – 59 Wörter

In einer notwendigen Diskussion um die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs müssen die Fragen eigener Einnahmequellen für die Länder, die Neuordnung des Finanzausgleichs, Probleme der Konnexität und der Weiterleitung von Finanzmitteln zwischen den Ebenen, Altschuldenhilfe auch für überschuldete Kommunen und einer kommunalen Mindestausstattung gerade vor dem Hintergrund der Schuldenbremse baldmöglichst in einer weiteren Föderalismuskommission zwischen Bund, Ländern und Kommunen geklärt werden.


5. Piratenpartei – 51 Wörter

Die Piratenpartei wird – in Zusammenarbeit mit dem weltweiten Netzwerk an Piratenparteien und allen anderen Parteien und Organisationen, die gleiche oder ähnliche Vorstellungen haben – die Verhandlung und den Abschluss eines internationalen Vertrages – des „International Liberty Agreement (ILA)“ – initiieren, der Mindeststandards für bürgerliche Freiheiten, insbesondere aber nicht ausschließlich in digitalen Netzen, verbindlich festlegt.


6. CDU – 42 Wörter

Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.

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