Was die Leser immer wieder stört: Das Elend der Fremdwörter
Die Leser klagen, die Leser zürnen, die Leser wenden sich ab – wie Silke Müller aus Erfurt, die seit 29 Jahren die Thüringer Allgemeine liest und sich immer wieder über die Fremdwörter ärgert. In einem Leserbrief schreibt sie:
In einer Kolumne habe ich bei „Allochthonen“ das große Fremdwörterbuch bemüht, heute bin ich in der Publikumskritik(!) zu „Don Carlo“ über „evoziert“ und „inauguriert“ gestolpert. Muss denn so etwas sein?
Ich habe nach dem Abitur studiert, kenne also etliche Fremdwörter. Aber die hier genannten Fremdwörter finde ich nicht mehr lustig, sondern nur noch ärgerlich und völlig fehl am Platz. Ich habe keine Lust, in der Zukunft ständig das Fremdwörterbuch oder „Google“ in der Nähe haben zu müssen, wenn ich Ihre Zeitung lese.
In seiner Samstags-Kolumne „Leser fragen“ antwortet TA-Chefredakteur Paul-Josef Raue:
Die Kenner der Schriften von Karl Marx werden die „Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation“ von 1864 gelesen haben, die mit dem Satz beginnt: „Es ist Tatsache, dass das Elend der arbeitenden Massen nicht abgenommen hat.“
Die meisten werden die Schrift weder gelesen noch von ihr gehört haben. So unbekannt wie diese Schrift von Marx ist auch das Wort: Inaugural meint schlicht „Einführung“; inauguriert meint „eingeführt“ oder „angekündigt“.
Sie haben Recht, verehrte Frau Müller, es ist ein Elend mit den Fremdwörtern. Sie gehören nicht in eine Zeitung, die von allen verstanden werden will – und nicht nur von Bildungsbürgern mit Abitur, die beim „Allochthonen“ auch nur noch den Kopf schütteln.
Es gibt Zeitgenossen, besonders zahlreich in der Kultur, die wollen nicht verstanden werden: Sie wollen sich abheben vom einfachen Volk, sie sind stolz auf ihre Bildung und freuen sich, wenn nicht jeder sie versteht. Wir Redakteure denken anders – aber schreiben nicht immer so, leider.
Bisweilen scheut man sich, etwa „Ausländer“ zu sagen, und flüchtet in Begriffe wie „Allochthonen“, mit denen Sozialwissenschaftler Ausländer bezeichnen, die in Deutschland leben.
Wer „evoziert“, der beschwört oder ruft hervor. Es gibt also gute und verständliche deutsche Wörter statt der fremden. Wir müssen nur den Mut haben, uns der deutschen Sprache zu bedienen.
Thüringer Allgemeine, 28. September 2013
Präsenz – ein einfältiges, unbrauchbares Wort (Friedhof der Wörter)
Das hat Reich-Ranicki nicht verdient! „Seine Präsenz“ überschreibt TV-Weggefährte Hellmuth Karasek einen Nachruf in der Literarischen Welt. Präsenz ist ein Allerweltsbegriff wie Bereich oder Massnahme, bedeutet alles und nichts und verweist nur auf die Denkfaulheit des Autors, sich genau auszudrücken.
Präsenz, dem Lateinischen und Französischen entlehnt, bedeutet: Anwesenheit, Gegenwart – mehr nicht. „Die Gewerkschaft fordert mehr Präsenz der Polizei auf den Straßen“, ist ein Mode-Satz in einer Pressemitteilung, gerne auch von Zeitungen übernommen; so wäre er trefflich übersetzt: Polizisten sollen mehr Streife fahren.
In einem anderen Pressetext steht:
Dieses Wissen soll dazu führen, Schnelltests zu entwickeln, mit denen die Präsenz solcher Gifte nachweisbar ist.
In diesem Satz kann man „die Präsenz“ einfach streichen, und der Satz wäre kürzer und der Sinn klarer. Denn: Was nachweisbar ist, auch auch anwesend.
Und wer sich schämt, einen Körper erotisch zu nennen, der schwadroniert so:
Die sinnliche Präsenz der Körper hat auch eine erotische Note.
Kehren wir zu Karaseks Nachruf zurück: Der Autor mag dem Redakteur die schändlich einfallslose Überschrift „Seine Präsenz“ anlasten. Allerdings steht im Text:
Reich hat eine Präsenz in der deutschen Kultur, die aus seiner Entschiedenheit, aus seiner produktiven Streitlust und aus seinen Bühnentalenten besteht…
Im Nebensatz stehen die starken Wörter: Entschiedenheit, Streitlust, Bühnentalent; im Hauptsatz das schwache Wort Präsenz. Was meint Karasek damit? Stellenwert (auch schwach), Bedeutung (noch schwach), Größe (besser), Ausstrahlung (empfiehlt der Duden). Hat Reich-Ranicki nicht Größeres verdient?
Im Duden ist auch der „Präsenzdiener“, ein österreichisches Wort, zu finden: Der Soldat, der den Grundwehrdienst leistet. Früher nannte man ihn „Schütze Arsch“ – derb, aber klar.
Thüringer Allgemeine, geplant für den 30. September
Kommentare auf Facebook:
Anton Sahlender gefällt das:
„Kann es nicht sein, dass Präsenz im Laufe der Zeit im Sprachgebrauch eine stärkere Wirkung entwickelt hat als z. B. Anwesenheit? Ich empfinde es so…“Petra Breunig: …Präsenz im Sinne von Ausstrahlung…
Paul-Josef Raue: Wörter, die immer allgemeiner gebraucht werden, dürften nicht stärker, sondern schwächer werden. Präsenz hat immer eine spezifische Bedeutung, die wir dann auch benennen sollten – etwa Ausstrahlung. Klare Bedeutung, klarer Sinn, klare Wörter. Und oft genug kannst Du Präsenz einfach ersatzlos streichen.
Politiker und Bürger: Der Fluch des Wissens und taktische Unverständlichkeit (Friedhof der Wörter)
Politiker sprechen gern von Bürgernähe, vor allem vor der Wahl. Sie geloben Transparenz, also Durchsichtigkeit: Danach soll alles, was Politiker tun, für jedermann sichtbar und verständlich sein.
In den Programmen der Parteien ist die Bürgernähe nur ein Wort. Kommunikations-Forscher der Hohenheimer sprechen ein vernichtendes Urteil über die Verständlichkeit politischer Texte aus; dies war Thema der vergangenen Kolumnen.
Den Grund für die Unverständlichkeit sehen die Wissenschaftler in den Diskussionen von innerparteilichen Experten. Professor Frank Brettschneider erklärt:
Diesen ist meist nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wähler ihr Fachchinesisch nicht versteht, wir nennen das den Fluch des Wissens.
Ein Beispiel aus einem Parteiprogramm sei zitiert und nicht erklärt: „Comprehensive Test Ban Treaty“
Doch nicht allein der „Fluch des Wissens“ hindert die Politiker, klar und verständlich zu schreiben: „Zudem nutzen sie abstraktes Verwaltungsdeutsch, um unpopuläre Positionen absichtlich zu verschleiern.“ Dies nennen die Wissenschaftler „taktische Unverständlichkeit.“
Und wie sieht ein verständliches Politiker-Deutsch aus? Die Wissenschaftler geben vier Hinweise, die für jeden hilfreich sind, der verstanden werden will:
1. Keine Fremd- und Fachwörter ohne Erklärung. Wer über kein Fachwissen verfügt – wie die meisten Bürger – und wer keine akademische Ausbildung hat, steht vor einer kaum überwindbaren Hürde.
2. Keine Wortungetüme, also lange Wörter, und zu viele Hauptwörter; sie erschweren das Lesen und blockieren das Verstehen.
3. Keine langen Sätze; Bürger, die sonst wenig lesen, haben Schwierigkeiten, lange Sätze zu zertrümmern.
4. Keine mit Informationen überfrachteten Sätze; Ein Satz soll möglichst nur eine Information vermitteln.
Wer diese Regeln nicht befolgt, wird vom Bürger bestraft: Er liest nicht weiter.
Die übrigen Folgen der Parteiprogramm-Serie:
Rekord – Der längste Satz im Wahlprogramm
Liquiditätsanforderungen – Wortungetüme in Wahlprogrammen
Wer hat das längste Wort im Wahlprogramm? Mehr als 42 Buchstaben?
Thüringer Allgemeine 23. September 2013
Reich-Ranickis Stillehre in vier Worten: Keine Wissenschaft! Keine Fremdwörter
Silke Scheuermann wartet in einem Münchner Hotelzimmer auf ihre Lyrik-Lesung und ruft „extrem nervös“ Marcel Reich-Ranicki zu Hause an. Sie möchte für die „Frankfurter Anthologie“ ein Gedicht von Friederike Mayröcker interpretieren.
Sie ruft an, nimmt sich vor, keine Anglizismen zu benutzen und redet vom Mayröcker-Sound und vom Event. „Wie sprechen Sie denn?“, bellt der Meister, „Sie sind doch kein kleines Mädchen mehr.“ Aber nach kurzem Gespräch bittet er um einen Text mit dem Hinweis:
Aber na gut, machen Sie, schreiben Sie auf, was Ihnen persönlich an diesem Gedicht gefällt. Keine Wissenschaftsprosa! Keine Fremdwörter! Was Ihnen gefällt!“
Keine Wissenschaftsprosa! Keine Fremdwörter! Das ist Reich-Ranickis Stillehre in vier Worten. MRR starb am 18. September 2013.
Quelle: FAZ 20. September 2013
Wie viele Leser verstehen „Leasing“ in der Überschrift?
„Leasing“ steht in der Überschrift auf der Wirtschaftsseite. „Das Wort verstehen viele Leser nicht“, sagt der Chefredakteur in der Abendrunde.
„Das kennt doch mittlerweile jeder“, erwidert der Wirtschaftschef.
„Aber Leasing ist doch nur etwas für Manager mit Dienstwagen, der normale Mensch holt sich einen Kredit“, lässt der Chefredakteur nicht locker.
„Nein, nein“, stöhnt der Wirtschaftschef und legt sein Gesicht ob solch großer Weltfremdheit in Falten, „Leasing ist auch unter Privatkunden schon das Normale.“ Also – bleibt Leasing in der Überschrift stehen.
Redaktionen machen Zeitungen für ihre Kunden, ihre Leser: Sie sollen und müssen alles verstehen. Auto-Konzerne verkaufen Autos an ihre Kunden: Sie sollen und müssen alles verstehen.
„Allein der Name Leasing schrecke viele bislang doch ab“, sagt Anthony Bandmann, Sprecher der Volkswagen-Bank, heute in der Welt (16. September); zudem sei Leasing für Privatleute eher ein Nischenthema.
Via Facebook:
Sebastian Lange hat geschrieben:
Ja, man könnte auch Mietkauf sagen. Doch ob man es goutiert (!) oder nicht: Manche fremdsprachigen Begriffe haben nun einmal Einzug in den deutschen Sprachgebrauch gefunden. Beim Leasing sind die Aufnahme in den Duden und das BGB Indizien dafür. Und ich werde auch künftig Jeans und T-Shirt ablegen, nur die Schwimmshorts anbehalten und vorher noch schnell das Smartphone beiseitelegen, bevor ich in den Swimmingpool springe.
Ok, ich würde definitiv auch ins Schwimmbecken springen und die Badehose anziehen, aber nicht die Baumwollhose und das Baumwoll-Leibchen ablegen. Und mein Multifunktions-Mobiltelefon beiseitelegen? Ich weiß nicht. Weil das Bemühen, verständlich zu schreiben, aber wirklich wichtig ist, und weil Sie es sind, lieber Herr Raue, kommt hier noch ein „Lächelgesichtchen“: 🙂
Rekord – Der längste Satz im Wahlprogramm hat 71 Wörter (Friedhof der Wörter)
Selbst die Linken können den FAZ-Feuilletonisten Gerhard Stadelmaier nicht schlagen: Der brachte in einem Satz 208 Wörter unter und seine Leser zur Verzweiflung (siehe Blogbeitrag). Das ist Jahresrekord!
Die Linke schafft allerdings den Satzlängen-Rekord in den Wahlprogrammen der Parteien: 71 Wörter.
Zur Ehrenrettung der Partei muss ich einräumen: Der Satz enthält eine lange Aufzählung, klar gegliedert und gut verständlich (siehe unten). Er zeigt, dass die schiere Länge noch nichts über die Verständlichkeit aussagt; schwierig wird es erst, wenn der Satz lang und verschachtelt ist – wie bei der FDP.
Die Liberalen schaffen mit 68 Wörtern den zweiten Platz, aber den ersten Platz in der Unverständlichkeit. Sie beginnt – und das ist ein Kunststück – gleich mit zwei Nebensätzen:
Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.
Betätigen Sie sich einfach mal als Satz-Pathologe: Wo ist der Hauptsatz?
Auf dem letzten Platz finden wir die CDU. Auch deren 42-Wörter-Satz ist kein Beispiel für guten Stil:
Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.
Ein Nebensatz ist ein Nebensatz, weil er eine Nebensache enthält. Ein Hauptsatz ist ein Hauptsatz, weil er die Hauptsache enthält. Ein 2-Wörter-Hauptsatz „Wir wollen“ und ein 40-Wörter-Nebensatz sind schlicht ein Unsinn.
Claudia Thoms ist Kommunikations-Wissenschaftlerin an der Universität Hohenheim. Sie hat, zusammen mit Professor Frank Brettschneider, die Wahlprogramme untersucht und weiß, wie sie formuliert sein sollten:
Zu lange Sätze erschweren das Verständnis – vor allem für Wenig-Leser. Sätze sollten möglichst nur jeweils eine Information vermitteln.
Auf den Wahlplakaten gelingt es ja.
PS. Gestern war der Tag der deutschen Sprache (immer am zweiten Samstag im September). Wer hat’s gemerkt? Wer hat ihn gefeiert?
Die längsten Sätze im Wortlaut:
1. Die Linke – 71 Wörter
Einführung des Mindestlohns von 10 Euro die Stunde, Zurückdrängen von Leiharbeit, Befristungen und Minijobs, Erhöhung der Renten, Rücknahme der Rente erst ab 67 Jahren, Lohn- und Rentengerechtigkeit in Ostdeutschland, solidarische Gesundheitsversicherung, Vermögenssteuer, Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen und Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro, Abzug aus Afghanistan und Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, Verbot von Waffenexporten – das sind Entscheidungen, die eine neue Regierung sofort treffen könnte, das sind unsere Sofortforderungen für einen Politikwechsel.
2. Die FDP – 68 Wörter
Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.
3. SPD 62 Wörter
Dafür bedarf es der Überwindung von Ungleichheiten in den Gesellschaften und der Schaffung von guter Arbeit, die sich an der Decent Work Agenda der ILO orientiert, der Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung, der Hilfen beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme im Sinne eines Basisschutzes nach dem Konzept des Social Protection Floors der UN und der ILO sowie der Gleichstellung von Männern und Frauen.
4. Grüne – 59 Wörter
In einer notwendigen Diskussion um die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs müssen die Fragen eigener Einnahmequellen für die Länder, die Neuordnung des Finanzausgleichs, Probleme der Konnexität und der Weiterleitung von Finanzmitteln zwischen den Ebenen, Altschuldenhilfe auch für überschuldete Kommunen und einer kommunalen Mindestausstattung gerade vor dem Hintergrund der Schuldenbremse baldmöglichst in einer weiteren Föderalismuskommission zwischen Bund, Ländern und Kommunen geklärt werden.
5. Piratenpartei – 51 Wörter
Die Piratenpartei wird – in Zusammenarbeit mit dem weltweiten Netzwerk an Piratenparteien und allen anderen Parteien und Organisationen, die gleiche oder ähnliche Vorstellungen haben – die Verhandlung und den Abschluss eines internationalen Vertrages – des „International Liberty Agreement (ILA)“ – initiieren, der Mindeststandards für bürgerliche Freiheiten, insbesondere aber nicht ausschließlich in digitalen Netzen, verbindlich festlegt.
6. CDU – 42 Wörter
Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.
Die meisten Journalisten sind nicht kritikfähig (Zitat der Woche)
Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund:
Ich bin kritikfähig bis zum Umfallen. Das sind die meisten Journalisten nicht. Wenn ich mal sage, dass jemand keine Ahnung vom Fussball hat, ist er beleidigt. Ich hab‘ in meinem Leben mehr Kritik abbekommen, als man sich vorstellen kann. Das vergessen heute nur alle.
(Interview mit der Süddeutschen Zeitung „Guardiola und ich arbeiten komplett anders“, 23. August 2013)
Sprachbild der Woche (in demselben Interview); Klopp über seinen neuen Star „Pappa“ Sokratis, der unbedingt in der Borussen-Mannschaft spielen will:
Pappa ist darauf heiß wie Frittenfett.
Wenn Rezensenten metaphern: Lynchen und Demolieren in Bayreuth
Wie drastisch und menschenverachtend darf die Sprache sein? Die Sprache des Feuilletons? Ist „Lynchen“ ein Sprachbild, das angemessen ist in der Besprechung einer Opern-Inszenierung? In der Süddeutschen Zeitung schreibt Reinhard J. Brembeck über den „Siegfried“ in Bayreuth:
Als der Vorhang fällt, setzt ein Buhgeschrei ohnegleichen ein. Hätte sich Castorf gezeigt, er wäre gelyncht und das Festspielhaus demoliert worden.
Der Rezensent, so ihn einer fragte, rechtfertigte sich wohl: Ist doch Ironie! Ist doch nur ein „Spaß“! Ist doch Kunst!
Das ähnelte dem Verhalten von Hundebesitzern. Rast ihr Liebling auf einen Jogger zu und freut sich aufs Zupacken bereit, ruft der Besitzer: „Keine Angst, der will doch nur spielen.“
SZ, 31. Juli
Als alle Journalisten – egal wie blöd – einen Job fanden
Wenn sich alternde Chefredakteure, Chefreporter und Journalisten-Stars bei Kongressen treffen, die mindestens tausend Euros kosten, wenn sie abends an der Bar hocken mit melancholischer Untergangs-Miene, dann klagen sie:
Wir retteten den Journalismus, wir retteten Zeitungen und andere darbende Medien – wenn wir nicht so viele schwache, schwächelnde und einfach dumme Redakteure hätten. Alle, die an ihrem Whiskey nippen, nicken wie früher das Negerlein in den katholischen Kirchen, wenn man einen Groschen einwarf (ich entschuldige mich für das Negerlein, aber – um der historischen Wahrheit wegen: so hieß es nun mal).
Wenn man kein Chefredakteur mehr ist, in Weisheit alt geworden und einfach nur noch Bestseller-Autor, dann darf man auch öffentlich schreiben, was die Jüngeren verplaudern:
Dass früher alles besser war und alle sowieso, behaupten alle, die früher nicht besser waren als heutige Journalisten. Weil aber fast alle Jungen damals einen Job fanden auf dem Medienmarkt, ganz egal, wie blöd sie auch sein mochten, hielten sie sich bereits nach der ersten gedruckten Zeile zu Höherem, mindestens zum Chefredakteur berufen. Auf diesem Irrglauben beruht die Ballade von den guten alten Zeiten der sogenannten Vierten Gewalt.
So schreibt Michael Jürgs zu den „Trauerfeiern“ nach dem Verkauf des Hamburger Abendblatt und Hörzu und anderen Springer-Blättern „ins Ruhrgebiet“; die WAZ- oder Funkegruppe erwähnt er in seinem Fünfspalter nicht einmal.
Ins Poesiealbum journalistischen Überlebenskünstler seien noch einige Jürgschen Merksätze geschrieben:
Verleger tranken, egal welcher Couleur, den Champagner aus den Gehirnschalen ihrer Besten. Bis auf Rudolf Augstein, der Bier vorzog.
Jürgs ist ein exzellenter Schreiber. Warum beugt er sich der Marotte, die als modern gilt: Unvollständige Sätze laufen frei herum und bellen wie ein Hauptsatz („Bis auf Rudolf Augstein…“) So schriebe es ein Jürgs in besten Zeiten: „- bis auf Rudolf Augstein, der Bier vorzog“.
> Eigentümer – jeder auf seine Art im Herzen mehr Journalist als Kaufmann.
> Allen Verlegern ging es – je nach Perspektive – um den wahren Journalismus und nie nur um die Ware Journalismus.
>Bleibt heute nur der Blick zurück im Zorn über das Heute? Ach was. Wehmut ist zwar erlaubt, aber Schwermut unnötig.
> An den Seilen der Totenglöckchen ziehen die üblichen Seilschaften der Theoretiker.
Quelle: Süddeutsche Zeitung 27. Juli, Medienseite „Schaut auf diese Stadt“
Redaktion der Zukunft: Keine deutschen Sprachkenntnisse erforderlich
Wollen Sie „Strategien zur redaktionellen Veränderung“ kennenlernen? WAN-Ifra bietet Schulungen in vier deutschen Städten an und macht allen Chefredakteuren und Leitenden Redakteuren die Teilnahme schmackhaft:
Für die Teilnahme sind keine deutschen Sprachkenntnisse erforderlich.
Offenbar qualifiziert zu höheren Aufgaben nicht mehr die Kenntnis der deutschen, sondern der englischen Sprache. Wenn ich mir Leserbriefe durchlese: Nicht wenige Leser vermuten dies schon seit einiger Zeit.
In der Einladung in deutscher Sprache wird eine Roadshow angekündigt, um den Workflow in den Griff zu bekommen beim Publizieren in einer Multi-Channel-Umgebung mit digitalen Tools. Dies gilt als Förderung von Qualitätsjournalismus.
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