Alle Artikel der Rubrik "M. Presserecht und Ethik"

Medien-Professor kritisiert „Sensationalismus“: Zu viele Brennpunkte und Sonderseiten nach dem Terror in Paris

Geschrieben am 17. November 2015 von Paul-Josef Raue.

Medien berichten oft in einem Umfang und in einem Alarmton, wie ihn die Terroristen mittlerweile einberechnen. Insbesondere der IS verfolgt eine kühl kalkulierte Medienstrategie

So kritisiert Kai Hafez die Medien nach den Anschlägen in Paris; der 51-jährige ist Professor für vergleichende Analyse von Mediensystemen und Kommunikationskulturen in Erfurt. Hafez wirft in einem Interview mit Martin Debes (Thüringer Allgemeine) den Medien vor, die Kriegs-Rhetorik des Westens fahrlässig zu verstärken. Zudem werden die Medien Handlanger der Terroristen:

Die Medien sind mehr als nur ein Überbringer der Botschaft. Sie schaffen die Bedeutung solcher Anschläge aktiv mit, in dem sie sie in unsere kollektive Erinnerung einbrennen.

Nüchtern berichten – so empfiehlt der Medienwissenschaftler „und nicht mit so vielen Sondersendungen, Sonderseiten und Sonderausgaben“. Ohne großes mediales Echo verkümmere die Botschaft der Angst und werde zum Rohrkrepierer. „Wir alle müssen versuchen, dem Sensationalismus nicht nachzugeben und bei aller verständlichen Emotionalität den Ball flach zu halten.“

Ähnlich argumentiert der Politologe Herfried Münkler in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, glaubt aber, dass unsere Medienwelt mit den schnell wechselnden Themen auch schnell wieder vergessen könne: Wer erinnert sich noch an die Madrider Anschläge 2004, die mehr Todesopfer gefordert haben als die in Paris? Unsere Gesellschaften führten nach einer Weile ihr normales Leben weiter – „weil sich dabei herausstellt, wie schwach doch letzten Endes die angreifenden Akteure sind. Sie sind nur stark in dem Augenblick, in dem wir durch unsere Aufgeregtheit, unsere Nervosität, ja womöglich  unsere Hysterie wie Schlagkraftverstärker wirken“.

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Quellen: Thüringer Allgemeine und Süddeutsche Zeitung, beide 17. November 2015

 

Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right

Geschrieben am 15. November 2015 von Paul-Josef Raue.

Tagesschau ParisGeduld soll der Zuschauer haben. Geduld, wenn bei einem Länderspiel Explosionen zu hören sind und online die ersten Nachrichten über Attentate zu lesen sind. Geduld, fordert Udo Stiehl, freiberuflicher Nachrichtenredakteur für den Hörfunk (WDR und DLF) – als heftige Kritik an der Langsamkeit der ARD in den sozialen Netzwerken zu lesen war. Als ob der Nutzer von Facebook & Co noch Geduld hätte: Das Netz hat ihn zur sofortigen Nachrichten-Aufnahme dressiert, unverdaut, aber schnell, nur schnell.

„Da ist er nun passiert, der so genannte K-Fall (Krisen-Fall)… und die Erwartungen an die Medien sind unerfüllbar hoch… so viele absurde Forderungen habe ich noch nie gelesen“, schreibt Stiehl leicht zornig im Tagesschau-Blog: „Terrorismus in Paris – und eine unerfüllbare Anspruchshaltung“. Stiehl ist – erstaunlich – erstaunt, ja verwirrt über die heftigen Reaktionen in Twitter und auf Facebook. Das erstaunt: Stets nach schockierenden Ereignissen bricht eine solche Kritik über ARD und ZDF herein, aber auch über die meisten anderen Medien.

Stiehls Reaktion ist teilweise devot, teilweise realistisch:

  • Devot: Wenn er die Sportreporter, die das Länderspiel moderierten, in Schutz nimmt, aber ihnen auch journalistische Kompetenz abspricht: Die Moderatoren hätten sich auf das Spiel konzentriert – „und nun müssen die Kollegen plötzlich über Entwicklungen berichten, die nicht vorhersehbar sind“.
    Journalismus hat stets mit dem Nicht-Vorhersehbaren zu tun, und es ist eine Frage der Professionalität, damit schnell und kompetent umzugehen. Sind Sportjournalisten Fachidioten, die alles, was nicht rund ist, überfordert? Nein, meint Stiehl, und schreibt das Gegenteil: „Die Kollegen vom Sport sind Journalisten, aber sie haben sich – verständlicherweise – nicht zusätzlich auf eine Krisenberichterstattung vorbereitet.“
    Als ob sich Attentate und Katastrophen  per Telefon zu normalen Redaktionszeiten ankündigen, damit sich Journalisten darauf vorbereiten können!
  • Realistisch: „Es kann nur noch improvisiert werden.“ Dabei bleiben die Grundsätze seriösen Journalismus unangetastet: Recherche und gesicherte Informationen. „Aber das dauert! Und diese Geduld müssen nicht nur wir aushalten, sondern auch Sie“, schreibt Stiehl.
    Seriöse Medien brauchen Zeit, um die Wahrheit zu erkunden – anders als im Netz. „Auf sämtlichen Kanälen können Spekulationen stattfinden“, so Stiehl, „ohne dass es Fakten bedarf. Aber ist das Journalismus? Reicht Ihnen das aus? Ich hoffe nicht. Ohne journalistische Überprüfung, ohne redaktionelle Bearbeitung und ohne intensive Recherche ist das alles nicht mehr als Voyeurismus. Und das kann es doch nun wirklich nicht sein.“
    Also: „Wer verlässliche Berichterstattung wünscht, braucht vor allem eines: Geduld. Und wer die nicht aufbringen möchte, weil er glaubt, Journalisten könnten hexen, zaubern oder sonstige Wunder vollbringen, dem können wir – ganz ehrlich – nicht helfen.“

Und so schwach, wie die Kritiker meinen, war die ARD nicht: Nach dem Länderspiel gab es eine kurze Tagesschau-Sonderausgabe mit dem ersten Bericht der Frankreich-Korrespondentin; es folgten weitere Sonderausgaben. Am nächsten Abend schmiß die ARD das gesamte Abendprogramm um und zeigte Informationen und Analysen statt eines Spielfilms.

Stiehls Hinweis ist richtig: Das Fernsehen lebt von Bildern. Nur: Wenn es die nicht gibt, reichen Sätze, als Laufband ins laufenden Programm eingeblendet, so wie es an Wahlabenden passiert, wenn der Ausgang unklar ist und der „Tatort“ läuft.

Oder die Zentrale blendet kurz einen Sprecher ein, vielleicht in einem kleinen Fenster, der die wenigen Fakten von den vielen Gerüchten trennt, um Geduld bittet, aber den Zuschauern das sichere Gefühl gibt: Wir sind dabei, wir recherchieren – und wenn ihr dabei bleibt, bekommt ihr wirkliche Informationen!

Darauf könnte man sich vorbereiten. Und mit den Sportjournalisten müsste man trainieren: Das ist nichts Ungewöhnliches, weder  im Sport und im Journalismus.

Unantastbar bleibt das eherne Gesetz des Journalismus, das in Nachrichtenagenturen jedem Praktikanten am ersten Tag eingebimst wird: Be first, but first be right. „Sei der Erste, aber der Erste, der’s richtig bringt“ – So steht es auch im Nachrichten-Kapitel des „Neuen Handbuch des Journalismus“ auf Seite 116.

Nachtrag: ARD-Moderator Matthias Opdenhövel twittert: „Danke für Schlaumeierkritik aus D. Tut gut nach so einer Nacht im Auge des Terrors.“

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Screenshot Tagesschau

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Facebook-Debatte über Sinn und Übersetzung von „Be fist, but first be right“

Peter Huberth Vielleicht würde eine Nachhilfestunde in Englisch nicht schaden.

Anton Sahlender Dann geben Sie doch gleich den Nachhilfelehrer für diesen Fall, lieber Herr Peter Huberth

Moritz Cremers „Sei der Erste, aber zuerst gehe sicher, dass du das Richtige berichtest.“ Klingt zwar nicht mehr so schön wie die englische Version, trifft aber den Sinn.

Anton Sahlender Ich meine, so bekomme ich es soeben von jemanden erklärt, der das studiert hat, dass auch die Paul-Josef Raue – Version zutreffend ist. Die vorliegende komprimierte Version, wie sie die englische Sprache erlaubt, kann ohnehin nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß ins Deutsche übersetzt werden. Deshalb ist die Raue-Version ok. Die Moritz -Version ist gleichermaßen zutreffend, wohl aber sprachlich sehr ausführlich. Sie nimmt nicht die prägnante Kürze aus der englischen Fassung mit. Die bleibt auf der Strecke.
Ich bestehe nicht auf die Richtigkeit dieser Erklärung, sondern nur auf die journalistische Korrektheit der Ausgangs-Aussage und auf die kommt es hier an.

Moritz Cremers Ich sehe das anders. Leider. Denn es ist nun mal eine Abwägung, ob ich der Erste bin, oder ob ich alle meine Informationen überprüfe. In diesem Sinne würde ich sogar sagen „Sei nicht der Erste, sondern sei der Erste, der es richtig bringt“, auch wenn das dem „ehernen Gesetz“ des Herrn Raue widerspricht.
Was die prägnante Kürze angeht, sollte die nach meiner Ansicht zugunsten der Verständlichkeit zurücktreten.

Anton Sahlender Die Verständlichkeit ist in Raues Version vorhanden. Ich füge ihr absichtlich aber den journalistischen Grundsatz an: „Richtigkeit vor Schnelligkeit“.
Während Raues Version weiterhin demgegenüber auch eine sehr ehrgeizige Priorität dabei setzt, trotz Richtigkeit doch der Erste zu sein, setzt ihre Version die Priorität bei der Richtigkeit vor der Schnelligkeit. Sie kommt damit dem von mir genannten Grundsatz näher. Sie gibt damit vielleicht aber die ehrgeizige Intention der englischen Aussage nicht wieder. Die will offenbar beides.

Peter Huberth Danke Herr Cremers für ihre Unterstützung.

Peter Huberth Lieber Anton, meine nur noch rudimentär vorhandenen Kenntnisse der englischen Sprache qualifizieren mich nicht für eine Aufgabe als Nachhilfslehrer.

Anton Sahlender Peter, dann qualifizieren sie Dich eigentlich auch nicht für deine Empfehlung …

Zündeln Redakteure, wenn sie über Gewalt in Flüchtlings-Unterkünften berichten?

Geschrieben am 28. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Erst verfügte laut Gewerkschafts-Angaben der Innenminister in Thüringen, die Polizei solle nicht mehr über Einsätze in Flüchtlings-Unterkünften berichten, nun enthüllen auch die Kieler Nachrichten solch ein Schweigen der Polizei in Schleswig-Holstein. FDP-Chef Kubicki postet in Facebook:

Sollte es zutreffen, dass die Redaktion der „Kieler Nachrichten“ tatsächlich von der Landespolizei aufgefordert wurde, nicht über Fälle in der Flüchtlingsthematik zu berichten, die von der Landespolizei selbst als ‚relevante Ereignisse‘ eingestuft wurden, dann wäre das ein Skandal. Ressortleiter Michael Kluth berichtet dies in seinem Kommentar von heute.

Die Begründung für solch ein Vorgehen, die Presse ‚zündele‘, rechtfertigt in keinem Fall die Geheimhaltung offensichtlicher Tatbestände. Sie ist sogar doppelt skandalös. Denn erstens ist die Meinungs- und Pressefreiheit in unserem Grundgesetz festgeschrieben. Sie bildet damit einen der Grundpfeiler unserer Republik. Zweitens dürfen wir nicht jeden, der Kritik übt, ja nur kritische Fragen stellt, in den Senkel stellen und mit dem Vorwurf der Zündelei belegen.

Wenn die Verantwortlichen den Eindruck vermitteln, es würden wesentliche öffentlichkeitsrelevante Fakten verschleiert und die Debatte unehrlich geführt, sorgt dies für einen massiven Vertrauensverlust der Menschen in unsere demokratische Ordnung. Es verhindert nicht nur eine sachliche Auseinandersetzung, sondern macht die Menschen erst empfänglich für antidemokratische Kräfte.

Neonazis stellen Lokalredakteur unentwegt nach: Die ganze Geschichte

Geschrieben am 27. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Dortmunder Neonazis brandmarken den Ruhr-Nachrichten-Redakteur Peter Bandermann im Netz als „Volksverräter“, stellen eine Todesanzeige mit seinem Namen ins Netz, werfen Farbbeutel auf sein Haus. Als Peter Bandermann ein Brötchen beim Bäcker kaufen will, wird er von statdtbekannten Neonazis umstellt, bedrängt und genötigt. Er zeigt sie an, doch die Staatsanwaltschaft sieht nur eine subjektive Belästigung und keine „schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“. Sein Chefredakteur Kiwit veröffentlicht in seinem Newsletter den Brief der Staatsanwaltschaft und  kommentiert: „Ein rechtsstaatliches Armutszeugnis und ein Freibrief für die Neonazis“.

Nachdem in diesem Blog der Fall dokumentiert worden war, gab es auch kritische Stimmen und den Vorwurf, unfair gegenüber der Staatsanwaltschaft zu sein: Was ist genau passiert? Was heißt „bedrängen und nötigen“? Hat die Staatsanwaltschaft nicht einfach „vorschriftsmäßig“ gehandelt?

Peter Bandermann selber schildert ausführlich die Anfeindungen der Neonazis in einer Mail an diesen Blog:

Bis dahin ertragene Anpöbeleien auf Demonstrationen oder Verunglimpfungen im Internet waren Vorläufer für eine Verschärfung der Repressionen. Ende November 2014 veröffentlichten Dortmunder Neonazis im Internet eine Liste mit 10 Dortmunder Namen, die als Volksverräter gebrandmarkt wurden. Vor ihren Privathäusern sollten Demonstrationen stattfinden. Über die Auswahl von drei „Nominierten“ sollte abgestimmt werden.

Die Wahl fiel auf den Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau, auf ein weiteres SPD-Mitglied und auf mich als Redakteur der Ruhr Nachrichten. Ich beobachte und berichte in Dortmund seit 15 Jahren.

Nach einem von der Polizei ausgesprochenen Verbot gegen den Demo-Anmelder, die Versammlung direkt vor meiner Haustür stattfinden zu lassen, gab es Aufrufe im Internet, mich dennoch zu „besuchen“. Zunächst wurden in meiner Nachbarschaft Flugblätter über mich verteilt. In der Nacht zum 2. Weihnachtstag 2014 kam es zu einem Farbanschlag auf das Haus, in dem ich zur Miete wohne. Die Täter wurden nicht ermittelt. Das Verfahren wurde sechs Wochen später eingestellt.

Im Februar 2015 wurden im Internet eine Todesanzeige mit meinem Namen und die Ankündigung meines bevorstehenden Todes veröffentlicht. Ein Ermittlungsergebnis gibt es bislang nicht.

Ende August 2015 veranstaltete das Zentrum für politische Schönheit in Berlin vor einem von mehreren Neonazis bewohnten Haus im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld ein Schauspiel. Dafür war ich als Reporter eingesetzt. Nach Beendigung dieser Kunstaktion war ich auf dem Weg zum versteckt abgestellten PKW. Neonazis erkannten, verfolgten und stellten mich überraschend in einem Ladenlokal und veröffentlichten die gefilmte Szene im Internet.

Wir erhalten anonyme Anrufe mit elektronisch verstellten Anrufen und erhalten Post, u. a. ein Infoblatt über das Gefängnis in Bautzen sowie Kataloge mit Nazi-Devotionalien. Hinzu kommen online veröffentlichte „Hinweise“ auf den Umgang mit Volkverrätern in früheren Zeiten.

In einer der Anzeigen ist umfangreich dargestellt worden, welche Methoden die Bedroher wählen.

 

 

Neonazis stellen Redakteur nach – Staatsanwalt zuckt mit den Schultern: „Nicht schwerwiegend“

Geschrieben am 26. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Peter Bandermann schreibt in der Dortmunder Lokalredaktion der Ruhr-Nachrichten über Neonazis. Denen gefällt das nicht: Als er vor einigen Wochen beim Bäcker ein Brötchen kaufen wollte, umstellen ihn einige stadtbekannte Neonazis, bedrängten und nötigten ihn.

RN und Neonazis

RN und Neonazis

Peter Bandermann informierte die Staatsanwaltschaft, die keine Beeinträchtigung von Arbeit und Leben des Redakteurs sieht und nur mit den Schultern zuckt:

Nicht ausreichend ist, dass die Belästigungen subjektiv als nachteilig empfunden werden. Die von Ihnen geschilderten Beeinträchtigungen sind nicht als schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung anzusehen.

Wolfram Kiwit, RN-Chefredakteur, veröffentlicht in seinem Newsletter das Schreiben im Original und kommentiert: „Ein rechtsstaatliches Armutszeugnis und ein Freibrief für die Neonazis“.

 

Polizisten und Behörden sollen die Wahrheit sagen, erklärt Thüringens Innenminister

Geschrieben am 19. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Es gibt bisweilen seltsame Pressemitteilungen aus Ministerien, das ist eine davon:

„Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger spricht sich für bessere Kommunikation aus“ lautet die Überschrift zu einem Treffen des Innenministers mit Vertretern des Bundes der Kriminalbeamten (die namenlos bleiben), der Deutschen Polizeigewerkschaft (die namenlos bleiben) sowie der Gewerkschaft der Polizei (die namenlos bleiben). Dann folgen drei Sätze, die bemerkenswert sind:

  • Der Innenminister und die Vertreter der Gewerkschaften waren sich einig, dass für die Pressearbeit in den Polizeiinspektionen das Thüringer Pressegesetz sowie der Pressekodex des Presserates maßgeblich sind.
  • Öffentlichkeitsarbeit erfolgt dann, wenn sie geboten ist, der Vorfall von öffentlichem Interesse ist und die allgemeinen Persönlichkeitsrechte dabei gewahrt bleiben.
  • Landesbehörden sind dabei grundsätzlich gegenüber Journalisten zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet, so lange keine Ermittlungsergebnisse gefährdet oder persönliche Angaben ohne öffentliches Interesse preisgegeben werden.

Was ist bemerkenswert:

1. Ein Minister muss hervorheben, dass seine Beamten die Wahrheit sagen sollen.

2. Der Minister beruft sich auf den Pressekodex, der Journalisten zur Wahrheit verpflichtet – und der nicht für den Staat geschrieben wurde, sondern für die Kontrolleure des Staates.

3. Nach so viel bewunderswerter Offenheit und Wahrheitsliebe tritt der Minister gleich den Rückzug an: Die Polizei entscheidet, was geboten ist, sie entscheidet, was von öffentlichem Interesse ist, und sie entscheidet, was Ermittlungen gefährdet. Bleibt dann doch nur der Wild-Unfall auf der Kreisstraße übrig?

Immerhin stellte der Minister klar, dass er keinen politischen Einfluss nehme und der Polizei keinen Maulkorb mehr umbinden wolle. Hintergrund des Treffens und der Presseerklärung ist die Empörung über einen Maulkorb-Erlass des Ministers, den Kai Christ öffentlich gemacht hatte, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Thüringen: Die Polizei solle nicht über Einsätze in Asylbewerber-Heimen berichten. Das sei politisch nicht erwünscht, hatte der Gewerkschafts-Chef mehrfach erklärt.

 

 

 

 

Die Revolution war nicht die Revolution der Redakteure, gleichwohl begeisterte sie die Freiheit (Interview: 25 Jahre Einheit)

Geschrieben am 29. September 2015 von Paul-Josef Raue.
„Wir feiern 25 Jahre Deutsche Einheit – doch das Land sieht wenig geeint aus. Warum wächst nicht richtig zusammen, was einem Bonmot nach zusammen gehört?“ Mit dieser Frage eröffnet Stefan Wirner ein Interview für den Newsletter der Drehscheibe mit dem Autor dieses Blogs – “ über seinlokalesGrenzgängertum und seine Sicht auf das geeinte Deutschland“. Meine Antwort:

Das ist eine Frage, die im Westen gestellt wird: Warum, liebe Ostdeutsche, seid Ihr noch nicht wie wir? Diese Frage mögen Ostdeutsche nicht, weil ein Unterton mitschwingt: Wir haben Euch eine Billion Euro Entwicklungshilfe gegeben, so dass Eure Straßen besser sind als unsere; wir erwarten auch ein wenig Dank und wollen nicht mehr das ewige Genörgel hören!

Viele Westdeutsche vergessen: Es gab vor der Revolution keinen DDR-Bürger, der etwas anderes als Diktatur erfahren hatte – erst die Nazis, dann die sowjetischen Besatzer, dann die SED. Das steckt in der Seele, das können sie mit noch so viel Euros und Autobahnen nicht heilen. Und nach der Revolution mussten die Ostdeutschen komplett ihr Leben und ihren Alltag ändern, nichts, wirklich nichts blieb mehr, wie es vorher war. Und irgendwann konnten die Ostdeutschen all die guten Ratschläge aus dem Westen nicht mehr hören. Kurz: Sie vermissten und vermissen Respekt.

Gerade in der aktuellen Frage der Aufnahme von Flüchtlingen scheint das Land extrem gespalten: Während im sächsischen Heidenau ein Mob das Flüchtlingslager angreift, gehen die Bilder der Münchner um die Welt, die am Bahnhof Flüchtlinge willkommen heißen. Trügen diese Bidler? Oder woher kommen diese Unterschiede?

So extrem gespalten sind wir nicht. Die Angst vor den Fremden ist im Westen ähnlich verbreitet wie im Osten – und in anderen Ländern Europas übrigens noch stärker. Aber Sie bedienen mit Ihrer Frage ein typisch westdeutsches Vorurteil: Der Osten ist braun. Sie können München und Heidenau vergleichen, aber sie könnten auch Erfurt mit Weissach und Remchingen vergleichen: In Thüringen ein herzlicher Empfang und große Hilfe, im Südwesten brennende Asylbewerber-Heime. Aber das Aufrechnen bringt wenig: Wir haben ein gesamtdeutsches Problem und ein noch viel größeres europäisches.

Belegen nicht sämtliche Zahlen, dass die Fremdenfeindlichkeit im Osten um einiges höher ist als im Westen?  In keiner westdeutschen Stadt gab es pogromartige Vorkommnisse wie in Hoyerswerda, Rostock oder zuletzt Heidenau.

Generalisierung ist in der Tat falsch. Die meisten Ostdeutschen sind nicht fremdenfeindlich, auch wenn korrekt ist: Es sind mehr als im Westen. Aber die schiefe Darstellung fängt schon in der „Tagesschau“ und in den Zeitungen an: Heidenau bekommt einen Spitzenplatz in den Nachrichten, während ein brennendes Flüchtlingsheim in Baden-Württemberg hinten im Meldungsblock zu finden ist.  Auch Medien folgen ihren Vorurteilen und Vorlieben. Selbst der Bundespräsident sprach wieder von „Dunkeldeutschland“ – und suggerierte: Der Osten ist der dunkle Teil Deutschlands.

Teilen Sie die Ansicht, dass die Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern ein Erbe der DDR, des selbsternannten „besseren Deutschlands“ ist?

In der Tat wirkt im Osten die SED-Propaganda nach, die den Menschen suggerierte: Wir in der DDR haben aufgeräumt, wir sind die saubere, das nazifreie Deutschland.

Was ist daran korrekt? Im Adenauer-Deutschland wollte man schnell den Wohlstand, kümmerte sich kaum um die Nazi-Vergangenheit, berief Nazis sogar zum  Generalbundesanwalt oder als Bundesminister; es gab mehr Nazis in hohen Ämtern als in der DDR, die allerdings in den Aufbau-Jahren auch auf Nazis nicht verzichtet hat.

Im Westen stellten die Achtundsechziger dann ihren Eltern unbarmherzig Fragen wie: Was habt Ihr gemacht, als die SS die Juden aus Eurer Nachbarschaft vertrieb? Diese Debatten haben die westliche Gesellschaft massiv verändert. In der DDR musste sich keiner die Fragen stellen, der Staat nahm die Antwort ab: Macht Euch keine Gedanken, wir haben alles richtig gemacht – im Gegensatz zum revanchistischen und kapitalistischen Westen! Gleichzeitig sperrte man die Gastarbeiter in Gettos, zwang Frauen aus Vietnam oder Angola, die schwanger wurden, zur Abtreibung oder zum Verlassen der DDR: Also keine Spur von Willkommenskultur in der DDR, sondern nur aufgesetzte Freundschafts-Parolen.

Der Gesellschaft im Osten fehlt die Erfahrung, die Fragen nach dem richtigen Leben in einer Diktatur, gleich welcher, zu stellen. Das war und ist eine Aufgabe für Politiker, Lehrer und Redakteure – auch wenn sie dabei niemals in begeisterte Gesichter schauen: Die Menschen wittern gleich Gefahr, wenn diese Debatte droht. Sie reagieren durchweg mit Abwehr: Ihr wollt unser Leben miesmachen, wollt Jahrzehnte unseres Lebens entwerten  – übrigens ein Vorwurf, den Westdeutsche schnell zu hören bekommen, wenn sie mitreden wollen.

Die Reaktion ist verständlich: Was die Seele bedrückt, wird  als Tabu in die Kulissen geschoben. Aber dieses Tabu taugt nicht in einer offenen Gesellschaft, schadet der Demokratie. So sieht der Magdeburger Psychoanalytiker Jörg Frommer auch ein „kleines 68“ im Osten, sieht die Jungen, die hellwach sind, aber nicht laut aufbegehren gegen die Älteren,  sondern einfach aufbrechen – und machen.

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ERSTAUSGABE TA nach der Wende – als Teil einer aktuellen Serie „25 Jahre Thüringen“ in der Thüringer Allgemeine

Thomas Schmid äußerte in der Welt die Befürchtung, dass bei den anstehenden Einheitsfeierlichkeiten diese Konflikte unter den Tisch gekehrt würden. Fehlt uns eine offene und ehrliche Diskussion über die Einheit?

Ja. Es geht dabei weniger um Offenheit und Ehrlichkeit, also um die Debatte überhaupt: Die meisten im Westen interessieren sich nicht für den Osten, und je weiter sie gen Westen oder Süden kommen, umso erschreckender ist das Unwissen, von Empathie ganz zu schweigen.

Andererseits ist die Diskussion auch nicht einfach zu führen: Die Älteren im Osten haben sich meist abgeschottet, empfinden die Westdeutschen als arrogant und besserwisserisch – und haben sich hinter einer unsichtbaren Mauer angenehm eingerichtet. Bisweilen glaube ich: In dem Leben der meisten Ostdeutschen ist so viel geschehen, dass sie müde geworden sind, dass sie meinen: Es reicht für ein Leben, nun soll es mir einfach nur mal gut gehen.

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die Unvollendete Revolution“ geschrieben. Darin sagen Sie aber auch, selten sei eine Revolution im Abendland so gelungen wie diese. Wie passt das zusammen?

Es ist ein realistischer Blick. Keine der Revolutionen nach Ende des Kalten Kriegs war erfolgreich: Schauen Sie nach Russland, in die Ukraine, in den Balkan, nach Nordafrika. Nur eine gelang wirklich;  dabei hatten wir Deutschen keine Erfahrung mit Revolutionen, aber gleich die erste gelang. Und wir sollten stets bedenken: Diese erfolgreiche Revolution haben die DDR-Bürger hinbekommen, nicht die Westdeutschen;  die schauten nur im Fernsehen zu.

Wir sind unbestritten ein Staat und in ein, zwei Generationen auch ein Volk. Es mag noch einige Unverbesserliche geben, die sich nach der DDR zurücksehnen, die überwältigende Mehrheit fühlt sich wohl in dem neuen Deutschland. Wir haben nicht die Probleme wie die Briten mit Schottland oder Spanien mit Katalonien.

Deutschland ist einfach reicher geworden, an Menschen, an Erfahrung, an Kultur (ein Drittel des deutschen Welterbes liegt im kleinen Osten), an Natur. Viele in Europa und der Welt beneiden uns.

Sie haben die Vereinigung journalistisch begleitet, ja sie journalistisch mitgestaltet. Sie waren Korrespondent in der DDR, gründeten als Chefredakteur der Oberhessischen Presse die Eisenacher Presse, waren Chefredakteur in Magdeburg und Braunschweig und schließlich bei der Thüringer Allgemeinen in Erfurt. Welchen Lokaljournalismus fanden Sie 1989/90 im Osten Deutschlands vor?

Einen ängstlichen – auch wenn die DDR-Redakteure im Lokalteil ein wenig mehr zwischen den Zeilen schreiben konnten als im politischen Teil. So war der Lokalteil der meistgelesene in den DDR-Zeitungen; das war auch der Grund für den Erfolg der gewendeten SED-Zeitungen, während die Neugründungen aus dem Westen durchweg scheiterten.

Die Lokalredakteure schrieben in der DDR vor allem über ihre Funktionäre und Helden der Arbeit, priesen den Sozialismus und waren, im heutigen Verständnis, Pressesprecher der Partei. Da viele DDR-Bürger zwar West-Fernsehen schauen konnten, aber keine West-Zeitungen lesen durften, war der Lokaljournalismus, vor allem der politische, völlig unbekannt – auch bei den Redakteuren.

Das Buch zu 25 Jahre Einheit ist im Klartext-Verlag erschienen.

Als Sie als Westdeutscher Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen wurden, der ersten Zeitung, die sich in der DDR für unabhängig erklärt hatte, gab es jede Menge ablehnende Leserzuschriften, wie man Ihrem Buch entnehmen kann. Was haben Sie da gedacht?

Wenig. Einsam war’s, und da besinnt man sich auf seine Professionalität und verlangt sie auch von den Mitarbeitern.

Sie haben bei der Braunschweiger Zeitung das Konzept Bürgerzeitung entwickelt – mit großem Erfolg. Wie wurde das Konzept später in Erfurt, als Sie bei der Thüringer Allgemeinen waren, angenommen?

Die Ostdeutschen diskutieren gerne. Das taten sie schon in der DDR reichlich, schrieben unentwegt Eingaben; das war auch möglich, wenn sie die Tabus beachteten. So nutzten die Leser der TA sehr schnell die Möglichkeiten, mit ihren Meinungen in die Zeitung zu kommen, auch die Querdenker, Nörgler und Besserwisser. Schon nach wenigen Wochen haben wir die tägliche „Leser-Seite“ eingeführt, auf der – gestaltet wie eine schöne redaktionelle Seite – nur unsere Leser zu Wort kommen. Den Redakteuren war das anfangs unheimlich, bei einigen ist das heute noch so.

Es blieb nicht bei der Leser-Seite, immer wieder beziehen wir unsere Leser mit ein, so dass die Thüringer Allgemeine mittlerweile eine exzellente Bürgerzeitung ist, das beweisen uns auch alle Leser-Untersuchungen: Die Menschen wollen nicht nur wissen, was Redakteure und Politiker meinen, sondern auch wie und was ihre Nachbarn denken und wie sie sich in der Gesellschaft engagieren.

Sie sprechen von einem „Demokratie-Defizit“, das Sie als Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen erlebt hätten. Inwiefern?

Die Redakteure waren nach der Revolution, die ja nicht die Revolution der Redakteure war, gleichwohl von der Freiheit begeistert, so wie sie in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Aber die meisten Redakteure schauten auf den ersten Satz, auf die Meinungsfreiheit. Endlich durften sie kommentieren, was die Druckerschwärze hergab.

Dass aber die Pressefreiheit nicht nur Sonderrechte bietet, sondern auch Pflichten, war weniger bekannt: Die Demokratie zu stärken, die Bürger zu beteiligen und ihnen eine Stimme zu geben, die Mächtigen zu kontrollieren und die Leser verständlich und umfassend zu informieren – vor allem in den Städten und Kreisen – und in die Hinterzimmer der Macht zu leuchten. Nur so lebt die Demokratie.

Die Menschen sind 1989 für Demokratie, die D-Mark, die Wiedervereinigung auf die Straße gegangen. Wie konnte das alles so schnell wieder in ein Ressentiment gegen Demokratie und Marktwirtschaft kippen? War der Westen zu wenig feinfühlig?

Feinfühligkeit war nicht die Stärke des Westens, aber sie war auch nicht vonnöten: Der Westen spielte in der Revolution nur eine Zuschauer-Rolle. Die Menschen im Osten waren die Akteure, die haben nicht für Bananen, die haben für die Freiheit gekämpft, alles andere war hübsches  Beiwerk. Für eine Reise nach Mallorca riskiere ich nicht mein Leben, für die Freiheit, mein Leben selber planen zu können, riskiere ich es schon, wenn ich genügend Mitstreiter finde.

Und da ist auch nichts umgekippt: Nur eine Minderheit im Osten will zurück in die Diktatur; die Hälfte fühlt sich als Gewinner der Einheit, nur – oder immerhin – ein Viertel als Verlierer. Allerdings haben die Ostdeutschen, zum Teil schmerzhaft, die Kehrseite der Freiheit erleiden müssen: Die Demokratie, die sie bekamen, war nicht die des Werbe-Fernsehens, sondern die der „Tagesschau“, in der auch Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit ein Thema war.

Offenbar laufen Revolutionen nach dem Muster ab: Die Diktatur steigert die Sehnsucht nach Freiheit, die Revolution übersteigt sie, es folgt der Jammer. So war das auch nach der deutschen  Revolution: Sanfte Träume und Utopien prallten gegen die harte Wand der Wirklichkeit. Die Ostdeutschen wollten Freiheit und bekamen Westdeutsche, die mit Buschzulage Verwaltung und Justiz einführten.

Ich zitiere in meinem Buch eine Reihe von Umfragen, die belegen: Es gibt so gut wie keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West, wenn  es um die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben geht (sie ist hoch); geht es um die Zuversicht, ist sie im Osten sogar höher als im Westen, vor allem bei den 16- bis 29-Jährigen.

Wenn Sie heute in die Zukunft blicken: Was stimmt Sie dennoch hoffnungsfroh?

Kein „dennoch“! Für Revolutionen gibt es keine Generalproben, „Fehler“ entdeckt man erst im Nachhinein: Wer in rund neun Monaten eine Demokratie, Marktwirtschaft, freie Medien und einen Rechtstaat einführt, der müsste eigentlich scheitern. Deutschland ist nicht gescheitert, wir haben vieles richtig gemacht und können das, was nicht rund läuft, verbessern – und sollten es auch tun.

Thüringen zum Beispiel hat, relativ gesehen, weniger Arbeitslose als Nordrhein-Westfalen und auch weit mehr Menschen in Beschäftigung. Die Liste der Erfolge ist lang, die der Defizite ist allerdings auch nicht klein.

Wer uns große Hoffnung verspricht, sind die Jungen, die Dritte Generation Ost – das sind die zweieinhalb Millionen, die zur Wende noch in die Schule gingen. Die sind der Jammerei überdrüssig, sie sind hungrig, viel hungriger als die meisten im Westen, sie wollen raus in die Welt, wo immer sie einen Platz für sich sehen, aber sie schätzen ihre Heimat. Was für eine Chance für unser Land!

Sie sagen, Ihr Buch sei kein Geschichtsbuch, eher aber ein Geschichtenbuch. Ich finde, es ist auch ein Erinnerungsbuch. Welche Rolle wird die Erinnerung zukünftig in einer Welt von Facebook, Google und Smartphones spielen?

Erinnerung ist das halbe Leben oder noch mehr. Da spielt es keine Rolle, ob sie die Geschichten am Lagerfeuer erzählen, in Moritaten, Büchern, Zeitungen oder auf Smartphones. Und die jungen Leute, die Smartphone-Generation,  sind geradezu begehrlich, wenn es um die Erfahrungen der Alten geht. Wenn Sie mit Ostdeutschen sprechen, hören sie von den Älteren oft das Argument: „Macht ein Ende mit der Rückschau, mit den Stasi- und Opfern-Geschichten! Die wollen die jungen Leute einfach nicht hören.“ Aber das Gegenteil ist der Fall, die Jungen wollen wissen, wie das Leben in der Diktatur war – nicht als Vorlage für eine Anklage, sondern als Erfahrung, von der sie lernen wollen in der Freiheit, die sie genießen.

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Quelle: Drehscheibe „Die Ostdeutschen vermissen Respekt“

Von „Negern“ und anderen Tabus: Wer bestimmt, was wir sagen dürfen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 20. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Es gibt Wörter, die sind offenbar ein Tabu: „Neger“ zum Beispiel. Als der bayerische Innenminister Joachim Herrmann den Sänger Roberto  Blanco einen „wunderbaren Neger“ nannte, empörten sich viele: Er hat ein Tabu verletzt! Nur – wer verurteilt ein Wort zum Tabu?

Roberto Blanco fühlt sich nicht beleidigt: Das Wort war nicht böse gemeint. Trotzdem entschuldigte sich der Minister.

Die Linken-Abgeordnete Katharina König sprach in der Debatte um den 8. Mai als Feiertag: „Die CDU leidet offenbar an politischem Autismus“. Die CDU fühlte sich nicht beleidigt, aber Autisten empörten sich. Die Abgeordnete entschuldigte sich: „Ein unsäglicher Fehler“.

Wer verurteilt zum Tabu? Einen offiziellen Tabu-Beauftragten gibt es nicht. Meist sind es Kommentatoren in Zeitungen und im Fernsehen, die sich empören. „Rassistisch“ nannte die „Zeit“ des Innenministers „Neger“-Äußerung und Hunderte schlossen sich in Internet-Kommentaren an.

Mitunter sind auch Gruppen, wie die Autisten verletzt, wenn sie sich ausgegrenzt fühlen – auch wenn nicht sie, sondern eine politische Partei diskriminiert werden sollte. Der Tabu-Bruch der Abgeordneten fand kaum Beachtung, weil keine Zeitung darüber berichtete: Die Pressemitteilung löschte der Pressesprecher im Internet, das war’s. Herrmanns „Neger“  dagegen wuchs zur Affäre aus, weil alle Zeitungen berichteten und den Tabu-Bruch beklagten.

Die Schar der Kritiker wächst, die zwar nicht in der Regierung, aber in den „Medien“ einen Tabu-Beauftragten vermuten, der bestimmt, welche Wörter gesagt werden dürfen. Auffällig ist: Die Erregung über eine vermutete „Meinungsdiktatur“ oder „Sprach- und Gedankenpolizei“ wächst in einer Zeit, in der jeder im Internet schreiben kann, was er will.

Der Artikel 5 des Grundgesetzes kennt keine Tabus, sondern garantiert die Freiheit der Meinung. Noch nie konnten so viele öffentlich ihre Meinung äußern und über Tabus diskutieren.

Nur – ist ein Tabu noch ein Tabu, wenn jeder darüber spricht?

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 21. September 2015

Ein guter Journalist sollte von seinen Lesern lernen wollen! (Zitat der Woche)

Geschrieben am 18. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Was Professor Christoph Demerling, Philosoph in Jena, von guten Lehrern fordert:

Ein guter Lehrer sollte immer die Erwartung haben, von seinen Schülern etwas lernen zu können

wäre auch eine brauchbare Maxime für Journalisten:

Ein guter Journalist sollte immer die Erwartung haben, von seinen Lesern etwas lernen zu können.

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Quelle: PM der Uni Jena vom 16.9.15 „Das Wesen der Sprache entschlüsseln“

Lügenpresse (7): CSU-Friedrich als parlamentarische Pegida, eine rechte APO ahnend

Geschrieben am 9. September 2015 von Paul-Josef Raue.
Die veröffentlichte Meinung und die öffentliche Meinungen sind 180 Grad auseinander. Die Politik  ist verflacht: Wir sind alle gegen Atomkraft, gegen das G36 und für offene Grenzen. Es könnte sein, dass in dieser Situation mal wieder eine außerparlamentarische Opposition entsteht. Dann hätten wir eine veränderte Ausgangslage.
Unions-Vizefraktionschef Hans-Peter Friedrich (CSU) zur „Willkommens“-Berichterstattung über Flüchtlinge, er meint „Lügenpresse“, aber spricht das Wort  nicht aus.
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Quelle:Handelsblatt, 9.9.15
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