Alle Artikel der Rubrik "M. Presserecht und Ethik"

Vorbildlich: Ein Chefredakteur entschuldigt sich wegen „rassistischer“ Grafik

Geschrieben am 11. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Die Republik scheint nach den Silvester-Übergriffen in Köln im Ausnahmezustand zu sein, was die Medien und die Politik betrifft. Da reicht ein falsches Bild, ein falscher Satz, und der Sturm bricht los in den Netzwerken, die schnell nicht mehr sozial sind. Da hilft nur eines: Schnell reagieren, auch am Wochenende, so wie es Wolfgang Krach tat, einer der beiden SZ-Chefredakteure. Er entschuldigte sich für zwei Illustrationen, die Leser zum Teil vehement als „rassistisch“ kritisiert hatten. Krach nutzte dafür den Facebook-Auftritt der  Süddeutschen Zeitung. Er war  schnell und verhinderte so einen langen Shitstorm.

So sah es auch eine Leserin, die Krachs ehrliche Entschuldigung auf Facebook kommentierte als Beweis, dass die SZ nicht nur in der Werbung behauptet, ein Qualitätsmedium zu sein:
Gut , dass Sie sich entschuldigen. Besser ist noch, wenn Sie wirklich verstehen, warum diese Grafik sowohl rassistische als auch sexistische Stereotype bedient und ab jetzt doppelte Vorsicht walten lassen. Sie sind ein Qualitätsmedium. Ihre Stellungnahme bestätigt das. Viele Kommentare hier lassen mich allerdings an der Qualität ihrer Leser_innen zweifeln.

Die Reaktion von Krach ist vorbildlich; hier im Wortlaut:

Am Wochenende haben wir sowohl in der gedruckten Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ als auch auf SZ.de ausführlich über die Ereignisse der Silvesternacht von Köln und die sexuelle Gewalt berichtet, die dort vielen Frauen angetan worden ist. Wir haben dabei unter anderem zwei Illustrationen verwendet.

Süddeutsche Zeitungs Foto.Die eine zeigt eine Faust im Kopf, die andere symbolisiert einen sexuellen Übergriff auf eine weiße Frau durch eine schwarze Hand (http://on.fb.me/1SbvU9n). Diese zweite Illustration hat bei etlichen unserer Leserinnen und Leser Unverständnis und Wut hervorgerufen; sie kritisieren sie als sexistisch und rassistisch.

Unsere Absicht war, mit den beiden Illustrationen deutlich zu machen, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen nicht nur aus physischen Übergriffen besteht, sondern meist im Kopf und im Denken beginnt. In den begleitenden Texten haben wir so differenziert wie möglich über die Ereignisse von Köln, die Angriffe auf die Frauen, die Motive und die Hintergründe der Taten, das Versagen der Polizei und auch über die Instrumentalisierung der Taten durch rechte Demagogen berichtet.

SZ Titelseite (kleiner Teaser) am 9.1.16 Die zweite Illustration läuft dieser differenzierenden Absicht jedoch entgegen. Sie bedient stereotype Bilder vom „schwarzen Mann“, der einen „weißen Frauenkörper“ bedrängt und kann so verstanden werden, als würden Frauen zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollten wir nicht. Wir bedauern, wenn wir durch die Illustration die Gefühle von Leserinnen und Lesern verletzt haben und entschuldigen uns dafür.

Wolfgang Krach, Chefredakteur

 

 

 

 

Innenminister de Maiziere gegen den Presserat: Es darf keine Schweigespirale geben

Geschrieben am 9. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Ein Migrations- oder ein Flüchtlingshintergrund darf nicht verschwiegen werden. Das wäre im Ergebnis nur Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Politik und Medien bewusste Verzerrung vorwerfen.

Sagt Innenminister Thomas de Maizières im Interview mit der FAZ. Er meint das generell und plädiert indirekt für die Abschaffung von Richtlinie 12.1 des Pressekodex, die eine Erwähnung von Nationalitäten bei Straftätern nur ausnahmsweise gestattet („Erwähnung könnte Vorurteile gegenüber schutzbedürftigen Gruppen schüren.“) Die Tabuisierung der Herkunft von Kriminalität ist laut de Maizières nicht der richtige Weg.

Der Innenminister plädiert dafür, dass der Bürger sich selber eine Meinung bilden solle in Kenntnis aller Informationen:

Wir müssen schon aufpassen, dass nicht vor lauter politischer Korrektheit die Dinge nicht beim Namen genannt werden. Und wir müssen die Bürger auch nicht in Watte packen.

Der Innenminister greift einen Begriff auf, den Elisabeth Noelle-Neumann, Chefin des Allensbacher Meinungsforschungs-Institut, vor gut vier Jahrzehnten geprägt hat: „Es darf keine Schweigespirale geben.“. Medien bestimmen laut Noelle-Neumann die öffentliche Meinung, so dass Bürger, die eine andere Meinung haben, gehemmt werden, diese zu äußern: „Belohnt wird Konformität, bestraft wird der Verstoß gegen das übereinstimmende Urteil“, so Noelle-Neumann in ihrem Buch „Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut“.

Im Interview bezieht de Maizières die Schweigespirale nicht nur auf die traditionellen Medien, sondern vor allem auf das Internet, das seine „große aufklärerische Wirkung“ verloren habe:

Internetforen sind sich selbst bestätigende Zirkel, in denen fremde Argumente als störend empfunden werden.

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Quelle: FAZ 9. Januar 2016, Aufmacher Titelseite und Seite 2

 

Kriminelle Ausländer: Presserat wirft mehr Fragen auf, als Hilfe zu geben

Geschrieben am 8. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Dürfen Journalisten erwähnen, dass Nordafrikaner und Araber wahrscheinlich an den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht beteiligt waren? Der Deutsche Presserat, die moralische Instanz der Zeitungen und Magazine, sagt: „Noch akzeptabel“.

Was bedeutet „noch“? Eigentlich darf man – siehe Richtlinie 12 – die Herkunft von Verdächtigen nicht nennen. Aber es gibt Ausnahmen, so Presserats-Pressesprecherin Edda Eick im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd):

  • Es handelt sich um ein Massenverbrechen, das in dieser Dimension so noch nicht stattgefunden hat.
  • Möglicherweise steckt eine größere kriminelle Struktur hinter der Tat und die Polizei fahndet mit Täterbeschreibungen.

Nicht erlaubt seien „bloße Spekulation darüber, ob das Motiv für die Taten mit der religiösen Zugehörigkeit etwas zu tun haben könnte; hierfür müsse es konkrete Anhaltspunkte geben“.

Fragen bleiben:

  •  Dürfen Journalisten bei einer Tat und einem Täter, der eine Frau vergewaltigt, keine Nationalität angeben?
  • Oder erst bei der Fahndung?
  • Gilt der Polizeibericht, wenn er eine Nationalität erwähnt, als Erlaubnis, diese zu erwähnen?
  • Wann wird ein Verbrechen ein Massenverbrechen? Bei fünf, bei fünfzig oder erst bei mehreren hundert Tätern wie in Köln?
  • Was sind konkrete Anhaltspunkte für eine religiöse Zugehörigkeit? Wird sie erst konkret, wenn der Täter  „Allah ist groß“ gerufen hat oder ein Bekennerschreiben verbreitet?
  • Wenn, so Eick, der Pressekodex mit seinem Verbot, die Nationalität zu nennen, die „Belange aller gesellschaftlichen Gruppen, die sich als Opfer tiefverwurzelter Vorurteile fühlen“ berücksichtigt: Wie unterscheidet man zwischen Vorurteilen und Urteilen? Selbst aufgeklärte Muslims beklagen das tief verwurzelte Frauenbild des Islam: Ist das ein Urteil oder Vorurteil oder „Stereotyp“?

Das Sowohl-Als-auch des Presserats macht die Arbeit in den Redaktionen nicht einfacher:  „Journalisten dürfen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Informationen zu verschweigen“, rät der Presserat; andererseits „können auch mit kleinen Meldungen schon starke Ressentiments gegen Minderheiten geschürt werden“.

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Quelle: epd von Mittwoch, 6. Januar 2016; Gespräch mit Referentin für Beschwerdeführung beim Deutschen Presserat, Edda Eick.

In meinem Blog am 7. Januar hatte ich – ohne Kenntnis des epd-Berichts – vermerkt, es gebe keine Reaktion des Presserats. Auf seiner Homepage schweigt der Presserat auch am 8. Januar noch. In der Rubrik „Aktuelles“ stammt die letzte Meldung vom 3. Dezember 2015.

 

Kriminelle Ausländer und Flüchtlinge: Muss der Presserat seinen Kodex ändern?

Geschrieben am 7. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Nach dem Silvesterabend auf dem Kölner Bahnhofsplatz werden Medien hart kritisiert: Dürfen sie sexuelle Übergriffe auf Frauen verschweigen oder verharmlosen, um Fremdenfeindlichkeit nicht zu schüren? Dürfen sie die Herkunft der Täter unterdrücken?

Auf der einen Seite sind Medien wie ARD und ZDF, aber auch die taz, die ihre Zurückhaltung verteidigen. Daniel Bax schreibt in der taz:

Unter dem Druck der rechten Gegenöffentlichkeit aus dem Netz, sind auch seriöse Medien im vorauseilendem Gehorsam dazu übergegangen, die Herkunft von Straftätern offensiv zu benennen – jedenfalls, so lange es sich um migrantische Straftäter handelt.

Auf der anderen Seite kritisieren nicht nur Nutzer der sozialen Medien die Zurückhaltung oder gar Einseitigkeit von Journalisten, vor allem im Fernsehen, sondern beispielsweise auch Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer. Er versteht die Menschen, die den „Nanny-Journalisten“ vorwerfen, „eher einem pädagogischen als einem journalistischen Auftrag zu folgen“.

Das sind die Fakten und Fragen:

  1. Der Presserat zieht diese Grenze in der Berichterstattung:

    In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

    In dieser Richtlinie 12 überwiegt das pädagogische Moment. Der Presserat setzt voraus: Die Leser oder zumindest eine ausreichend große Zahl haben Vorurteile. Daraus folgt er: Der Journalist soll durch Verschweigen bewirken, dass die Leser in ihren Vorurteilen nicht bestärkt werden.

  2. Wie berichten Journalisten über Debatten, die öffentlich toben, ausgelöst durch die sozialen Netzwerke und einem Aktualitäts-Druck, der kaum Zeit zum Nachdenken lässt? Journalisten haben eine Recherche- und Sorgfalts-Pflicht: Reicht der Hinweis darauf aus, erst spät – vielleicht zu spät – zu informieren und reagieren?
  3. Gibt es eine Tendenz zur moralischen Zensur in einigen Medien? Hindert diese Zensur an einer intensiven Recherche? Der Vorwurf der Einseitigkeit aus moralischen Gründen trifft vor allen ARD und ZDF. FAZ-Redakteur Michael Hanfeld nennt es das „betreute Fernsehen“.
  4. Stehen wir vor einer Spaltung der Medien, zumindest im Internet: Die aktuellen, schnellen und vorschnellen, die jede Nachricht sofort raushauen, gegen die seriösen, die auf Sorgfalt achten, den Hintergrund ausleuchten und dem Leser Orientierung geben?

Die Debatte, geführt von Journalisten und in sozialen Netzwerken, sollte der Presserat aufgreifen: Dürfen Journalisten in einer aufgeklärten Gesellschaft zum Vormund ihrer Leser und Zuschauer werden? Sind sie laut Verfassung nicht Treuhänder der Bürger, die selber entscheiden sollen, wie sie Nachrichten bewerten? Hat sich die Öffentlichkeit nicht wesentlich durch die sozialen Netzwerke verändert – und muss nicht der Pressekodex darauf reagieren?

Sieben Tag nach der Silvesternacht in Köln hat sich der Presserat noch nicht geäußert – im Gegensatz zum DJV, der größten Journalistengewerkschaft; ihr Vorsitzender Frank Überall:

Eine nicht durch solide Recherchen gedeckte Verdachtsberichterstattung ist nicht nur unvereinbar mit den Prinzipien des professionellen Journalismus, sondern auch innenpolitisch brandgefährlich.

Lügenpresse (9) Meine Chronik des Jahres: Wie Regionalzeitungen reagieren

Geschrieben am 31. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Das posteten Leser zum Thema „Lügenpresse“ auf unserer Facebook-Seite.

Thomas Bärsch reagierte mit fünf Punkten in der Zeitung:

1. Unser oberster Anspruch heißt Wahrhaftigkeit

Wer jemanden der Lüge bezichtigt, der beschuldigt ihn, vorsätzlich wahrheitswidrig zu reden oder zu schreiben. Er nimmt zugleich für sich in Anspruch zu wissen, was die Wahrheit ist.Wir Journalisten erheben diesen Anspruch für uns nicht – vor allem aus der Erkenntnis heraus, dass es die eine objektive und unveränderliche Wahrheit oft nicht gibt. Stattdessen haben wir uns die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit zur Aufgabe gemacht.Wahrhaftigkeit heißt, nach der Wahrheit zu streben. Es heißt nicht, in ihrem vollständigen Besitz zu sein oder dies von sich zu behaupten. Wenn wir berichten, dann im Ergebnis von Recherchen, von Informationen aus verschiedenen Quellen und oft auch auf der Grundlage unserer Beobachtungen – zum Beispiel bei Demonstrationen.

2. Wir reklamieren für uns keine Vollständigkeit

Es gehört zur journalistischen Sorgfalt, dass wir unsere Leser erkennen lassen, was recherchierte Fakten, was Aussagen Dritter und was unsere eigenen Beobachtungen sind. Dabei vermeiden wir es, den Eindruck zu erwecken, der von uns gelieferte Bericht, das von uns gezeichnete Bild spiegele die Wirklichkeit bis ins letzte Detail wider. Vielmehr wählen wir oft aus einer Vielzahl von Fakten und Aussagen aus, die es den Lesern ermöglichen, sich ein möglichst ausgewogenes und umfassendes Bild zu machen und eine eigene Meinung zu entwickeln.Wichtig ist dabei für uns vor allem, dass wir keine Fakten weglassen, die entscheidend für das Verständnis eines Sachverhalts sind oder diesen sogar konterkarieren.

3. Weglassen ist keine Fälschung und keine Lüge

Immer wieder sehen wir uns mit dem Vorwurf konfrontiert, wir würden die Wirklichkeit verfälschen, indem wir Fakten oder auch einzelne Meinungsäußerungen nicht veröffentlichen. Dann ist das Wort „Lügenpresse“ schnell gesagt.Tatsache ist, dass wir Fakten und Aussagen nach ihrer Relevanz für die Beurteilung eines Sachverhalts wichten. Darüber, ob unsere jeweilige Entscheidung richtig ist, wird vor allem in der aktuellen Flüchtlingsdebatte oft gestritten – übrigens auch während der Entscheidungsfindung innerhalb der Redaktion.Entscheidend ist für uns, ob Informationen nachprüfbar oder glaubhaft sind. Wenn es etwa  einen Polizeieinsatz in Flüchtlingsheimen gibt, berichten wir darüber.

4. Facebook & Co. sind nicht die Wirklichkeit

Wir berichten nicht über alles, was wir hören oder lesen. Das gilt vor allem dann, wenn es auf Gerüchten beruht, die sich über die sozialen Netzwerke verbreiten. Für uns gilt: dass eine Behauptung oft wiederholt wird, macht sie nicht wahr.Leider beobachten wir eine gewisse Neigung mancher Menschen, Gerüchten und Mutmaßungen zu glauben, dagegen aber von Journalisten recherchierte oder hinterfragte Informationen als Lüge abzustempeln. Stammen diese Informationen gar aus offiziellen Quellen – also zum Beispiel von Behörden –, lässt der Vorwurf der Staatsnähe meist nicht lange auf sich warten.

5. Meinungs- und Pressefreiheit sind zwei Dinge

Gern wird jetzt von diesen beiden Freiheiten gesprochen. Die erste ist ein Grundrecht, das den Bürgern garantiert, ihre Meinung frei und offen zu äußern – auch gegen den Staat. Der AfD-Fraktionschef Björn Höcke nutzt dieses Recht, wenn er etwa auf Demonstrationen spricht.Die Pressefreiheit dagegen ist das Recht der Presse auf freie Ausübung ihrer Tätigkeit – ohne staatliche Zensur oder jedwede andere Form der Einmischung von außen. Zu dieser Freiheit gehört für uns, dass wir selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang wir von der Aktuellen Stunde und der Demonstration am Mittwoch berichten. Schon jetzt können wir versprechen, dass wir dies ausführlich tun werden. Nicht versprechen können wir dagegen, dass unsere Berichterstattung allen passen wird.

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Zum guten Schluss für alle Chefredakteure, die 2015 wenig zu lachen hatten. Thomas Bärsch ist amtierender Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, der das Schmunzeln nicht verlernt hat; er schrieb am 13. Dezember diesen Tweet

Ist das laute Abspielen von Heino eigentlich noch Ruhestörung oder schon Landfriedensbruch?

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Im Dezember ist dieser Blog zum Tausender geworden: Über tausend Blog sind  seit der Gründung 2012 von 160.000 Besuchern gelesen worden. Es ist ein kleiner Blog geblieben, bewusst auf eine kleine feine Leserschaft von Journalisten konzentriert und auf Leser, die  Journalismus als Garanten der Demokratie verstehen.

Ich wünsche allen Lesern, Kommentatoren und Kritikern meines Blogs ein gutes Jahr 2016, in dem sie das Lachen und Lächeln nicht verlernen sollten.

Gewerkschafts-PR wird zum Weihnachts-Aufmacher der Süddeutschen

Geschrieben am 27. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.

Der Aufmacher der Süddeutschen Zeitung in der Weihnachts-Ausgabe ist ein Angstmacher: „Flüchtlingskrise und Terrorgefahr überfordern Deutschlands Polizei“, so der Beginn der Unterzeile. Ob ein Angstmacher die Leser unterm Tannenbaum abholt, dürften die meisten Blattmacher deutlich verneinen: Sie empfehlen den Mittelweg zwischen dem Elend der Welt und der Rührseligkeit der stillen Nacht. Den geht in der SZ Heribert Prantl, der Moralist für besondere Aufgaben (gern auch christlich), auf der vierten, der Meinungsseite: Auch er denkt nach über Angst und Eingreiftruppen, aber er meint nicht die irdischen, in der Polizeigewerkschaft organisierten, sondern die himmlischen, die Engel.

Der Prantl wäre der bessere Aufmacher gewesen: „Engel ist jeder, der Kraft hat, aus dem Ring der Unversöhnlichkeit zu springen.“ Aber ein Kommentar als Aufmacher?  Der Angstmacher, den die SZ wählte, ist auch einer, wenn man ihn freundlich beurteilt. Eigentlich ist er ein PR-Beitrag der Gewerkschaft, der wie eine Nachricht präsentiert wird.

Recherche fand nicht statt. Es gibt eine einzige Quelle: Zwei Funktionäre der Gewerkschaft der Polizei, der Chef in NRW und  Vizechef im Bund; dazu kommt ein Polizist aus Recklinghausen, der einen „Brandbrief“ geschrieben hat. In die Funktionärs-Erregung stimmt der Redakteur ein: „Die Überlastung hinterlässt Spuren“, wobei der Redakteur durchaus seine eigene Recherche-Überlastung gemeint haben könnte.

Da kommt kein Ministerium, weder Bayern noch Bund, zu Wort, kein anderes Bundesland als NRW rückt in den Blick, keine der privaten Sicherheitsfirmen, die auch ins Visier geraten, wird befragt. Selbst die Grafik zum Text, die den Stellenabbau illustriert, ist schludrig: Gemischt werden Angaben von Gewerkschaft und Statistischem Bundesamt; die Zeitabstände auf einer linearen Zeitachse sind höchst unterschiedlich, mal zwei Jahre, dann drei Jahre, dann neun (!) Jahre, abschließend ein Jahr. Zudem stimmen die Zahlen im Artikel-Text und in der Grafik nicht überein: Während der Text von einem Abbau „bis zu 17.000 Stellen“ spricht, zeigt die Grafik einen Abbau von 22.000.

Die Vergleiche hinken: Was hat die Schließung von Dorfwachen mit Großeinsätzen  wie G-7-Gipfel und Bundesliga-Spielen zu tun? Was eine Rufbereitschaft mit „Heiligabend in Uniform“ (so die irritierende Überschrift)? Wahrscheinlich haben die Funktionäre die schiefen Vergleiche geprägt –  aber ist es Aufgabe eines Journalisten, sie so zu übernehmen?

Wahrscheinlich haben wir zu wenige Polizisten und zu viele Überstunden – doch darum geht es nicht:  Es geht um professionelle Standards des Journalismus, um die rechten Themen zur rechten Zeit, um ausführliche Recherche, um Nachrichten, nach denen man sich richten kann, um klare Analysen, die dem Leser ein eigenes Urteil ermöglichen, um eine klare Sprache  – und Kommentare, die als Kommentare zu erkennen sind.

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Quelle: „Heiligabend in Uniform“, SZ 24. Dezember 2015

 

Kuppelei: Wenn sich in der SZ Anzeigen und Redaktion verbinden

Geschrieben am 11. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.

SZ Reiseseite Thüringen 2 am 10-12-15Reiseteil der Süddeutschen Zeitung am 10. Dezember 2015: Eine normale redaktionelle Seite im normalen Layout über Thüringen, Luther und Bratwurst. Allerdings steht auf einem Viertel der Seite eine Anzeige des Thüringer Umweltministeriums, in dem die „Nationalen Naturlandschaften in Thüringen“ gepriesen werden.

In dem großen Reisebericht kommt ausführlich eine Mitarbeiterin der Thüringen Tourismus GmbH zu Wort. Die Seite ist klein in der Kustode als „eine Sonderseite“ gekennzeichnet. Der Text ist gefällig geschrieben, es ist nette PR.

Die rechtliche Seite: „Wer zusätzlich zur Erteilung eines Anzeigenauftrags die Zugabe einer redaktionellen Besprechung anbietet oder gewährt, handelt unlauter“, zitiert das Handbuch des Journalismus ein Oberlandesgericht.

Die ethische Seite: Ziffer 7 des Pressekodex mahnt zur Trennung von Werbung und Redaktion.

Protest gegen Zensur und Willkür: Eine kurze Geschichte des weißen Flecks in der Zeitung

Geschrieben am 2. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Links die Ausgabe der International New York Times mit Aufmacher über Thailand, rechts die Thailänder Ausgabe mit einem weißen Fleck statt Aufmacher.

Links die Ausgabe der International New York Times mit Aufmacher über Thailand, rechts die Thailänder Ausgabe mit einem weißen Fleck statt Aufmacher.

Am gestrigen Dienstag (1. Dezember 2015) ist die Thailänder Ausgabe der New York Times ohne Aufmacher erschienen. Außerhalb von Thailand erschien ein Text von Thomas Fuller „Thai spirits sagging with the economy“ (Stimmung und Wirtschaft in Thailand hängen durch), der sich kritisch mit der Militär-Diktatur befasst,  der stark eingeschränkten Pressefreiheit und dem schwierigen Alltag der Thais. Offenbar haben nicht Redakteure den Text entfernt, sondern die Drucker – ob unter Zwang oder in vorauseilendem Gehorsam, ist nicht erkennbar. Die Erklärung im Blatt:

Der Artikel, der hier stand, wurde von unserer Druckerei entfernt. Die International New York Times und ihre Belegschaft spielte keine Rolle bei dieser Entfernung.

 Der weiße Fleck war ursprünglich eine Demonstration der Macht:  Zensoren nahmen Texte und Bilder aus der Zeitung oder schwärzten Sätze und auch komplette Absätze, weil sie den Mächtigen missfielen. Der weiße Fleck signalisierte die Stärke der Diktatur.
Aus dem Instrument der Mächtigen machten Redakteure in der Demokratie ein Instrument zur Kontrolle der Mächtigen.Die taz brachte ein Interview mit Fragen, aber mit durchgestrichenen Antwort-Passagen, die so nicht mehr lesbar waren – als  SPD-Generalsekretär Olaf Scholz ein Interview bei der Autorisierung grundlegend  veränderte hatte.

 

Ähnlich verfuhr die taz 2013 nach einem Gespräch mit dem FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler, der einen Abdruck der Druckfassung des Interviews abgelehnt hatte. Die taz  druckte eine weiße Zeitungsseite nur mit Fragen wie:
Wann haben Sie bewusst wahrgenommen, dass sie anders aussehen als die meisten Kinder in Deutschland?
 Allerdings gab es auch heftige Kritik in den Medien an der Art der Fragestellung. Die Chefredakteurin Ines Pohl meinte denn auch: Die Präsentation war missglückt, aber die Fragen waren in Ordnung.

Ähnlich verfuhr die Zeit auf ihrer Online-Seite, nachdem der DFB ein Interview mit Manager Oliver Bierhoff zurückgezogen hatte: Sie druckte nur die Fragen und ließ den Raum der  Antworten leer.

Joachim Braun, der Chefredakteur des Nordbayerischen Kurier, berichtet:

In einem Interview mit einem bayerischen Ministerpräsidenten (Stoiber)  pfuschten neun Leute bei der Autorisierung herum und veränderten sogar meine Fragen, damit sie besser passen. Ich habe die Seite daraufhin kurzfristig rausgeschmissen und dem Politiker geschrieben, dass ich sauer bin und nie wieder ein Interview mit ihm machen werde. Kurz darauf wurde das Interview erneut autorisiert – fast unverändert zu meinem Entwurf.

Alexander Marinos
, Vize-Chefredakteur der WAZ, schrieb als stellvertretender Chefredakteur des Bonner General-Anzeiger, in einer Umfrage der Drehscheibe:

Ich habe schon wiederholt Interviews nicht abgedruckt, nachdem Interviewpartner oder deren Pressesprecher versucht haben, die Texte im Zuge der Autorisierung komplett umzuschreiben und jeden kritischen Ansatz herauszunehmen – bis in die Struktur der Fragestellungen hinein. Namentlich betroffen waren der damalige Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine und der frühere Bundesumweltminister und heutige SPD-Chef, Sigmar Gabriel.

2012 war eine Debatte in den deutschen Medien entfacht worden zu Sinn und Unsinn von Autorisierung, nachdem die New York Times generell ihren Verzicht auf Autorisierung erklärt hatte. Diese Debatte war auch Gegenstand eines Handbuch-Blogs: „Lass ich mein Interview autorisieren? Ja, es wird besser“.

 Weiße Flecken nannten Jugendliche eine Zeitung, die sie 2008 und 2009 recherchierten und produzierten und am Ende in einer Auflage von 30.000 Exmplaren druckten. Weiße Flecken so stellten die Jugendlichen ihr Projekt vor:
Weiße Flecken, das sind Geschichten, die während der NS-Zeit nicht erzählt werden durften. Die Erinnerung an sie ist für immer verloren, wenn die Zeitzeugen, die von Brno bis Zabrze, von Klagenfurt bis Mainz die NS-Zeit hautnah miterlebt haben, nicht von ihnen berichten. Auf Initiative von step21 interviewen Jugendliche die letzten Zeitzeugen, durchstöbern Archive und stellen Fragen, die nie zuvor gestellt wurden.

Jauchs Mängel-Liste: Diese neun Fehler sollte jeder Journalist im Interview vermeiden

Geschrieben am 27. November 2015 von Paul-Josef Raue.

Günther Jauchs Sendung am Sonntagabend, die am 1. Advent ausläuft, „ist eher eine Show als ein politischer Talk – eine beunruhigende Entwicklung für ein öffentlich-rechtliches Format!“, kritisierte der ARD Programmbeirat schon 2012. Diese Mängel-Liste kann sich auch jeder Zeitungs- und Magazin-Interviewer zu Herzen nehmen. Das sollte jeder Profi, gleich in welchem Medium, vermeiden:

  1. Er hakt selten nach,

  2. er setzt sich teilweise über die Antworten seiner Gäste hinweg,

  3. er vertritt eine klar erkennbare eigene Meinung,

  4. er folgt strikt seinem vorgefertigten Konzept,

  5. er hakt eine Frage nach der anderen ab,

  6. er schürt mit seinen Suggestivfragen teilweise Politikverdrossenheit und kommt damit der Verpflichtung zur journalistischen Sorgfalt nicht nach,

  7. er nimmt in den Fragen zumeist auch die Antworten vorweg,

  8. er geht einer ihm nicht genehmen Gesprächsentwicklung und Konfliktsituationen aus dem Weg, in dem er die andiskutierte Gesprächsschiene nicht weiter verfolgt.

  9. Die Diskussion verläuft selten ergebnisoffen, schon die Titel der Sendungen enthalten oft eine polarisierende These.

Positiv sollte man werten:

  • Er fällt durch seine größtenteils einfach formulierten Fragen auf, so dass auch verschiedene Zielgruppen erreicht werden können,
  • er polarisiert.

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Quelle: Bülent Ürük in Kress-Online 27. November 2015

 

Nico Rosberg oder vom Nachteil des Rampenlichts: „Man vergisst, dass Zeitungen oft Unsinn schreiben“

Geschrieben am 22. November 2015 von Paul-Josef Raue.

Sogar meine Freunde und Familie bewerten und interpretieren ja auch das, was sie von mir im Fernsehen oder in anderen Medien sehen. Das stimmt oft nicht sehr mit der Wahrheit überein… Ich halte Abstand, ich achte wenig darauf, was gesagt und geschrieben wird…

SZ-Redakteur Michael Neudecker erinnert Rosberg an die Frauenfußball-WM 2011, als er auf die Reporter-Frage antwortet, ob er zuschaue: „Warum nicht, man guckt doch auch die Paralympics“ und die Schlagzeile lesen musste „Rosberg vergleicht Frauenfußball mit Behindertensport!“

…das ist ein super Beispiel dafür, was passiert, wenn einmal was in den Medien ist, für das du gar nichts kannst. Der Schaden ist da, du kannst das nicht mehr einfangen…Man vergisst, dass Zeitungen oft Unsinn schreiben… Meistens.

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Quelle: Süddeutsche Zeitung, 21. November 2015

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