Die Überschrift des Tages: „Dr. a.D.“
Die Überschrift steht auf der Meinungsseite der Süddeutschen über dem Kurz-Kommentar, in dem Roland Preuss die Niederlage der Ex-Bildungsministerin Schavan begrüßt im Plagiatsverfahren vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht:
Dr. a.D.
Ein schönes Spiel mit Buchstaben: Normalerweise sind Zusätze zum Doktortitel positiv – wie „h.c.“ (ehrenhalber). „a.D.“ bedeutet „außer Dienst“, bezeichnet das Ende eines Dienstlebens – hier also: das Ende eines Doktortitels. Kompliment!
Die SZ fragt: Darf ein Chefredakteur Kapuzenpullis tragen? Und dazu noch selbstbewusst auftreten?
Die Süddeutsche streitet offenbar darüber, ob der Chef der Online-Redaktion in die Chefredaktion aufsteigen darf. Alina Fichter listet in der Zeit sechs Schwächen auf, die gegen Online-Chef Stefan Plöchinger als Chefredakteur sprechen:
1. Fehlendes schreiberisches Profil;
2. fehlende begnadete Schreibe;
3. kein Intellektueller;
4. zu wenig Demut;
5 extrem selbstbewusstes Auftreten;
6. Kapuzenpulli-Träger.
Für ihn spricht laut Zeit nur: Er ist ein sehr guter Redaktions-Manager.
Muss jetzt auch Heribert Prantl in der SZ-Chefredaktion um seine Position bangen? Er trägt zwar Anzüge, aber ist nicht bekannt als demütiger und zurückhaltender Journalist.
Was in dem Zeit-Artikel auffällt:
> Plöchinger sehen wir auf dem Foto nicht mit Kapuzenpulli, sondern mit weißem Hemd und dunklem Jackett: Er kann also auch seriös.
> Für die Demütigung Plöchingers, also die Sechser-Liste, gibt es keine Zeugen: Alle bleiben anonym. Warum ist der Medien-Journalismus so oft eine recherchefreie Zone? Gerüchte werden feil geboten wie im Ein-Euro-Laden.
> In der SZ-Chefredaktion, so die Zeit, werden Kommentare umgeschrieben. Muss man sich die Chefredaktion als Fälscher-Werkstatt vorstellen: Aus einem schwarzen Kommentar wird ein roter? Aus einem Ja ein Nein? Aus einer Vermutung eine Tatsache? Oder ist schlicht „Redigieren“ gemeint?
> Ein wohlfeiler Rat für alternde Chefredakteure ist auch enthalten: Wer als Freund des Internets in Erscheinung treten will, der zeige „seinen iPad“ in der Konferenz. Kurt Kister soll ihn schon zeigen. Aber der Mann ist wirklich ein begnadeter, demütiger Schreiber ohne übertriebenes Selbstbewusstsein. Dafür stehe ich mit meinem Namen ein.
Quelle: Die Zeit 20. März 2014
FACEBOOK-Kommentar von Harald Klipp (21.3.2014)
Wir wissen doch alle, dass es auf die inneren Werte ankommt. Das wesentliche Kriterium sollte sein, dass er seine Mitarbeiter akzeptiert, mitnimmt und führt und dabei auch der Zeitung eine Perspektive gibt. Selbstbewusstsein ist gut, wenn er es auch für die gesamte Redaktion gegenüber der wirtschaftlichen Unternehmensführung ausstrahlt. Das wären meine frommen Wünsche…
Ortsmarke bei AP: Statt „Sewastopol, Ukraine (AP)“ ab sofort: „Sewastopol, Krim (AP)“
Die Ukraine steuert nicht mehr die Krim: Das ist die Begründung der amerikanischen Nachrichtenagentur AP, um die Ortsmarke zu ändern: Erst der Stadtname, dann als Ländername „Krim“
Warum nicht „Sewastopol, Russland“?, fragt der Agentur im AP-Blog. Die Antwort ist ein wenig seltsam: Die Krim ist geographisch getrennt von Russland, hat keine Landgrenze. Allerdings verfährt AP in aller Seltsamkeit so auch schon lange mit anderen Inseln wie „Palermo, Sizilien (AP)“, auch wenn Sizilien Teil von Italien ist, oder „Guadeloupe“ als Teil von Frankreich.
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Ortsmarke heißt bei dpa „Ortszeile“, früher: Aufgabeort. Wer kennt noch andere Begriffe?
Kölner Verlage legen Lokalredaktionen zusammen: Eins ist besser als zwei (Zitat der Woche)
Wir sagen: lieber eine starke Lokalredaktion als zwei schwache.
Helmut Heinen, Herausgeber der Kölnischen Rundschau, legt vier seiner Lokalredaktionen mit denen des Kölner Stadtanzeiger zusammen und fusioniert sie in einer eigenen Gesellschaft. In den vier Lokalredaktionen werden 30 Redakteure weniger arbeiten als heute, aber immerhin noch 67 Redakteure, also durchschnittlich 17 pro Lokalredaktion.
Quelle: Kress, 18. März 2014
Die Zeitung macht den Untertanen zum Bürger! Wir brauchen eine Leselust-Prämie für die Schulen!
Warum geben wir Millionen von Euro für die Anschaffung von Tablets und Notebooks und Whiteboards in den Schulen aus – aber für Lese-Projekte haben wir kaum Geld übrig?
Die Frage stellte ich auf der Leipziger Buchmesse beim 2. Mitteldeutschen Bildungstag. „Ist die Zeitung zeitgemäß für die Schule“ lautete die Frage. Meine Antwort in einem Vortrag war eindeutig „Ja“:
Wer liest, entdeckt die Welt: Er weiß viel, er denkt mit, und er macht mit – in der Gesellschaft, in der sich Menschen souveräner bewegen, die sich Urteile bilden können anstatt Vorurteilen hinterher zu laufen. Die Zeitung macht den Untertanen zum Bürger.
Nicht die Hardware ist wichtig für die Bildung der Zukunft, sondern die Software, der Inhalt der Bildung, das was der Direktor Andreas Jantowski von der Thüringer Lehrerfortbildung (Thillm) Weltverständnis nennt und was im „Handbuch des Journalismus“ Weltkenntnis genannt wird.
Der komplette Vortrag am 14. März 2014:
Ich habe eine schwierige Klasse“, erzählt ein Lehrer, „am schlimmsten ist es am frühen Morgen. Die Schüler sind aggressiv, laut, springen wild umher, ohne jede Disziplin. Das änderte sich radikal, als wir morgens eine Zeitung für jeden Schüler bekamen. Ich hatte mich entschlossen, vor dem Unterricht eine halbe Stunde für die Zeitungslektüre zu geben.
Von einem Tag auf den anderen erkannte ich meine Klasse nicht wieder: Sie stürzten sich auf die Zeitung, unterhielten sich mit ihren Nachbarn über Artikel, halfen einander, wenn sich einer in der Zeitung verirrte.Klar musste ich mich auch zurückhalten. Sie lasen nicht die Artikel, die ich mir gewünscht hatte: Statt Politik stand der Sport vorne, statt Kultur das Vermischte.
Dieser Zeitungs-Auftakt am Morgen tat dem gesamten Unterricht gut. Als nach vier Wochen keine Zeitung mehr in die Schule kam, fehlte uns etwas – etwas Wichtiges. Das gemeinsame Lesen war zum Ritual geworden.
Dieses Gespräch mit einem Lehrer führte ich vor 25 Jahren. In der hessischen Universitätsstadt Marburg fand das vielleicht erste Schul- und Zeitungsprojekt statt, in dem eine Zeitung und eine Lehrerfortbildung zusammen in die Schule gingen.
(Es wäre wohl eine schöne Aufgabe herauszufinden, was sich in den Jahrzehnten solcher Schul-Zeitungsprojekte alles verändert hat: Welche Themen spielten 1985 eine Rolle, welche 2000 und welche heute? Wie sahen Lehrer die Projekte vor 30 Jahren? Und wie heute? Wie unterscheiden sich diese Projekte in West und Ost?)
25 Jahre – das scheint mit Blick auf Medien, aber auch auf die Gesellschaft eine Ewigkeit zu sein. Vor einem Vierteljahrhundert kannte kaum jemand das Internet, flächendeckende Netze für Handy wurden erst aufgebaut, das „Smartphone“ stand noch nicht einmal im Duden.
Die piependen oder singenden oder kreischenden Smartphones nerven heute die Lehrer. So haben wir schon einen Vorzug der Zeitung ermittelt, der ein Vierteljahrhundert überlebt hat:
Wer liest, braucht Konzentration und Ruhe; Lesen ist kein Nebenbei-Medium wie Radio-Hören oder Fernsehen auf dem Smartphone mit seinem kleinen Bildschirm. Hirnforscher warnen sogar davor, uns nur den hektischen Medien anzuvertrauen: Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren leide schon – und sei bei den Studenten an den Universitäten unübersehbar.
Ich vermute, dass der Leseknick nach der zweiten Klasse – also Sieben- und Achtjährige lesen kaum noch – dass dieser Leserknick mit der Überforderung des Bewusstseins zu tun hat. Aber das ist nur eine Vermutung.
Offenbar verändern sich unser Gehirn und unser Bewusstsein nicht so rasant wie die Smartphone-Industrie, die uns schon Brillen und bald Kontaktlinsen anbieten wird, durch die wir nicht nur die wirkliche Welt sehen werden, sondern eine zweite und dritte Welt, die andere für uns zubereiten.
Dagegen ist die Zeitung ein Ruhe-Pol, ein Kälte-Pol – eben das genaue Gegenteil von Fiktion, auch das Gegenteil von „Second-Hand-Nachrichten“, also von allem, was geliket, gelinkt und abgekupfert wird in Twitter und Facebook und anderen Netzwerken.
Doch ich will nicht in eine wohlfeile Kulturkritik einstimmen: Unsere Welt und unsere Gesellschaft ist, wie sie ist. Dreißig Millionen Deutsche bewegen sich schon im mobilen Internet. bei der Altersgruppe unter dreißig sind es schon fast alle.
Das bedeutet aber nicht, dass wir – wenn wir über die nächste Generation sprechen – nicht gegensteuern können. So etwas nennen wir Bildung, und die Institution, die wir dafür geschaffen haben, ist die Schule.
Dabei muss die Zeitung nicht unbedingt gedruckt auf Papier erscheinen; sie kann auch auf dem Bildschirm eines Computers oder Smartphones zu lesen sein. Ich möchte nur am Rande die Vorteile des Papiers andeuten:
Hinter einen Zeitung habe ich mehr Ruhe als vor einem Computer; ich kann mich besser konzentrieren und mir einfacher einen Überblick verschaffen als auf einer Homepage. Das ist im Unterricht nützlich, aber mehr nicht.
Übrigens: Gehen Sie mal im Bahnhof oder am Flughafen in den Zeitschriften-Laden: Die größte Abteilung sind die Computer-Magazine; zu den großen gehören auch die Jugend-Zeitschriften. Warum wohl?
Es stimmt auch nicht, dass sich jungen Leute nicht mehr aus seriösen Quellen informieren – oder sich überhaupt nicht mehr für Politik im weiteren Sinne informieren.
Zwar schauen Jugendliche seltener als ihre Eltern in die gedruckte Zeitung, aber im Internet schlagen sie die Seiten der bekannten Magazine und Zeitungen auf – mit weitem Abstand vor der Tagesschau und anderen TV-Sendern. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter knapp 600 Schülern zwischen 12 und 22 aller Schulformen, die Josephine B. Schmitt von der Universität Hohenheim im Januar vorgestellt hat.
Die Zahlen sind beeindruckend und überraschend:
> 29 Prozent der Schüler nennen die Online-Angebote von Printmedien, wenn sie gefragt werden „Welche Internetseite nutzt Du aktuell am häufigsten, um dich über das tagesaktuelle politische Geschehen zu informieren?“
> Die sozialen Netzwerke folgen weit dahinter mit 15 Prozent,
> Google-News und ähnliche mit 10 Prozent;
> die Öffentlich-Rechtlichen erreichen 8 Prozent, knapp hinter den Privaten wie N24 oder ntv.
Josephine B. Schmitt meint: „Offensichtlich wirkt sich die Strahlkraft der auch aus der Offlinewelt bekannten Medienmarken im Internet positiv aus und gibt den jungen Nutzern das Gefühl, dass sie auf den entsprechenden Portalen verlässliche Inhalte finden.“
„Gut lesbar und einfach zu verstehen “ muss das ideale Online-Nachrichtenmedium für die jungen Leute sein; da unterscheiden sie sich nicht von den älteren Lesern. Das sind die entscheidenden Kriterien für eine Nachrichtenseite, die Jugendliche gerne nutzen wollen:
1. Verständlich muss sie sein.
2. sie ist aktuell („Sie informiert sofort, wenn es etwas Neues in der Welt gibt“)
3. sie ist unterhaltsam und abwechslungsreich
4. sie hat Bildergalerien
5. sie ist neutral
6. sie hat viele Hintergrund-Informationen
Keine große Rolle spielt die Partizipation, allenfalls mögen Jugendliche Umfragen und die Möglichkeit, Artikel zu bewerten.
Allzu sicher können sich die Journalisten von Zeitungen und Magazinen aber nicht sein, dass Jugendliche den hohen Wert von seriösen Angeboten erkennen.
„Die Vertrauenswürdigkeit von Nachrichtenquellen sind von geringerer Bedeutung“, stellt Josephine B. Schmitt fest. Daraus folgert sie – für Lehrer und Journalisten: Jugendliche müssen noch intensiver hinsichtlich der Herkunft und Vertrauenswürdigkeit von Informationen sensibilisiert werden.
Also – es kommt nicht darauf an, ob Papier oder Bildschirm, es kommt auf den Journalismus an. Es geht, ohne Übertreibung, um unsere Demokratie, es geht darum, wie wir künftig zusammenleben wollen.
Lesen als Kulturfähigkeit ist ein Merkmal einer zivilisierten, demokratischen Gesellschaft. Jedes Mitglied der Gesellschaft kann sich immer wieder selbstständig orientieren, informieren, sich neu justieren und sich so in die Gesellschaft einbringen.
So hat der Direktor des Thillm seinen Vortrag eingangs des Mitteldeutschen Bildungstags geschlossen. Ich gehe noch weiter:
Ohne unabhängigen Journalismus wird unsere Freiheit bald nicht mehr viel wert sein; ohne die Kontrolle der Mächtigen werden wir mit Propaganda abgespeist. Macht kontrolliert sich nur selten selber, sie neigt zur Selbstherrlichkeit und Abschottung.
Unsere Demokratie ist angewiesen auf Bürger, die gut informiert sind. Sie ist angewiesen darauf, dass eine Mehrheit der Gesellschaft informiert ist über die wichtigen Angelegenheiten und Debatten. Nur wer gut informiert ist, kann gut mitreden.
Wenn der Bürger nicht mehr Bescheid weiß, nehmen wir ihm seine Macht, nehmen wir der Demokratie ihre Vitalität.
Überlegen Sie sich bitte: Was passiert mit unserer Demokratie, sagen wir in zehn Jahren, wenn die Mehrzahl der Bürger keine Zeitung mehr liest – oder sagen wir: ohne seriösen, unabhängigen Journalismus in Wahlen geht und mitentscheiden soll?
Wir kennen heute schon den Zusammenhang: Dort wo die Menschen kaum Zeitungen abonniert haben, ist die Wahlbeteiligung gering. Zeitungs-Verweigerung und Wahl-Verweigerung gehören leider zusammen.
Die Grundlage für eine gut informierte Gesellschaft kann und muss die Schule schaffen. Wir wissen von großen Zeitungsprojekten in Schulen: Es ist möglich, die Lust am Zeitungslesen zu entfachen. Das setzt voraus, dass sie erst einmal eine Zeitung in die Hand bekommen, dass sie die Technik des Zeitungslesens lernen (ja, das muss man lernen), dass sie die Lust und die Möglichkeiten des Zeitungslesens entdecken.
Wer junge Menschen daran hindert, die Lust am Lesen zu wecken, schadet ihnen und schadet – auf die Zukunft gesehen – unserer Demokratie. Dafür brauchen wir keine Milliarden wie zur Rettung böser Banken. Wir könnten eine millionenstarke Leselust-Prämie gebrauchen. Wer so viel Phantasie hat, Abwrack-Prämien für Autos zu erfinden, könnte auch eine Leselust-Prämie erfinden.
Ich bin sicher: Die meisten Lehrerinnen und Lehrer machen mit. Meine Erfahrung aus fast dreißig Jahren mit Zeitungs-Schulprojekten ist eindeutig: Die meisten Lehrer machen sogar begeistert mit, wenn sie die erste Scheu abgelegt haben und sich die Schulleiter nicht allzu sehr querlegen und Eltern nicht allzu aufmüpfig sind und schimpfen „Unsere Kinder sollen viel lernen und nicht Zeitungen lesen“.
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Die Thüringer Allgemeine veranstaltet das Zeitungsprojekt „Tinte“ für Grundschüler zusammen mit dem Thillm. Im vergangenen Jahr haben mitgemacht tausend Schüler aus über 50 Klassen. Die Schüler haben nicht nur gelesen, sondern auch selber geschrieben: Fast 400 Zeitungsseiten sind in dem sechswöchigen Projekt entstanden.
Die Schüler bekamen ein Schülerheft, Reporterausweise und -blöcke, lernten den Aufbau der Zeitung kennen (Was ist ein Aufmacher? Was kommt in eine Nachricht? Was gehört in eine Reportage?), sie werteten Texte aus, schrieben erst kleine Nachrichten, dann längere Texte über ihre Schule, das Projekt und ihre Stadt. Die Kinder interviewten Lehrer, Direktoren, Redakteure, Händler, Marktfrauen und Politiker.
Es gibt eine Auftakt- und eine große Abschlussveranstaltung, bei der alle Klassen ihre Tinte-Projekte zeigen und vorführen. Auch im Internet wird das Projekt natürlich umfangreich begleitet.
„Tinte“ geht weiter, auch wenn es im Osten – im Gegensatz zu Zeitungen und Schulen im Westen – schwierig ist, Sponsoren zu finden.
Im Anschluß an die Vorstellung der Thüringer „Tinte“ stellte die Leipziger Volkszeitung ihr Schulprojekt auf dem Mitteldeutschen Bildungstag vor.
Dialekt und Grammatik: Wie Frau in Wien einen Mann anmacht (Friedhof der Wörter)
Was ist eine „Schlampenschleuder“? Brät darin eine Frau ihren Schwarm an?
Nein, wir sind nicht in der Friedhofs-Abteilung „weibliche Unwörter“, sondern beim österreichischen „Tatort“. In der vergangenen Folge, die Anfang März lief, haben hochdeutsch Geschulte viele Wörter einfach nicht verstanden.
Wer schon an den Ohrenarzt dachte und beginnende Schwerhörigkeit, der sei getröstet: Er hört noch gut, aber versteht eben schlecht – den österreichischen Dialekt, der wie eine durchgehende Nuschelei in den Ohren zerrt.
„Außer koid is der Melanie gar nix mehr“, sagt die Mutter über ihre Tochter, die jahrelang eingesperrt war und der sie gerade eine Wärmflasche gebracht hat. „Koid“ heißt kalt; weiter ist der Satz zumindest grammatisch weit von dem entfernt, was der Duden empfiehlt. Aber so sind Dialekte, und wer sie erhalten will, muss es ertragen oder darf sich sogar daran erfreuen.
Den Hinweis auf die „Untertitel“ im TV-Tatort haben die meisten nicht ernst genommen; aber in der Tat übersetzte die Fernseh-Redaktion das Genuschel ins Hochdeutsche. Ob sie auch die „Schlampenschleuder“ übersetzt hat?
Das Wort war allerdings klar zu vernehmen – und ein Auto war im Bild zu sehen. Die Schlampenschleuder ist ein altes Auto, dem man gut zureden muss, damit es wenigstens eine kurze Strecke fährt. Ob das Wort als weibliches Unwort beerdigt werden muss, können nur die Österreicher entscheiden.
Die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“, die nahe der österreichischen Grenze erscheint, nannte das Wort ein schönes Wort. Dass in Österreich eine Frau ihren Typ nicht anmacht, sondern „anbrät“, fanden die Redakteure in München auch schön.
Aufgefallen war den Münchnern auch der fehlende Genitiv, der in vielen Dialekten, nicht nur im österreichischen, ein Schattendasein führt. „Ich war schon auf beiden Seiten von der Tür“, sagt die Kommissarin und meinte: Sie hat schon Männer aus ihrer Wohnung rausgeworfen; und Männer hätten sie rausgeworfen.
Wem das passiert, für den ist der falsche Genitiv das geringere Problem.
Bio-Journalismus – was ist das?
Miriam Meckel führt ein neues Wort ein: „Biojournalismus“ (Englisch: „organic journalism“). Sie denkt dabei weniger an Bio-Läden und Müsli, an Bio-Fleisch und strickende Studentinnen, also an grüne Visionen; sie führt den Begriff auf das altgriechische und lateinische Wort „Bios“ zurück, das Leben bedeutet.
Sie will Biojournalismus als Abgrenzung zu „standardisierten algorithmischen Produkten“ verstehen:
„Biojournalismus“ ist das Differenzierungskriterium in einem weitgehend technisierten und standardisierten Medienmarkt, geprägt durch Haltung, Stil und individuelles Erzählen. „Biojournalismus“ ist vielleicht das letzte Gefäß für das, was wir heute noch als Ethos des Journalismus bezeichnen…
„Biojournalismus“ kann für nachhaltige Moral sorgen, für ein Gerüst moralischer Orientierung, ohne dass unsere Gesellschaft zu einer geistigen Wegwerfgesellschaft verkommen kann.
Abgesehen von modischem Wortgeklingel wie „nachhaltig“ und „moralische Orientierung“ ist „Biojournalismus“ irreführend: Bios ist auch der Name für einen Speicher, der einen Computer schnell funktionsfähig, also lebendig macht. Aber gegen die Technik und Standards der Computerwelt will Meckel den Journalismus der Zukunft positionieren. Da brauchen wir also ein besseres Wort.
(Miriam Meckel führte den Begriff ein in einem Vortrag zum 25-Jahr-Jubiläum der Holtzbrinck-Journalistenschule, abgedruckt im Handelsblatt, 14.3.2014)
Miriam Meckels Journalismus der Zukunft: Überraschendes, Unerwartetes – statt Algorithmen, die uns ausrechnen
Es gibt gute Gründe dafür, anzunehmen, dass der Journalismus auch in Zukunft ein Überlebenselixier einer freien und demokratischen Gesellschaft sein kann.
Die Freude des Suchens und das Glück des Findens: Journalismus sorgt für Überraschungen. Wenn inzwischen fast überall die Algorithmen übernommen haben, um für uns auszurechnen, was wir mögen, suchen und brauchen, dann wird das Unerwartete, das in einer ungeplanten Begegnung mit dem nicht Gesuchten liegt, immer wichtiger.
Journalismus kann durch gute, auch investigative Recherche Themen setzen, die Unbekanntes bekanntmachen, also für neue Sichtweisen, Perspektivwechsel sorgen. In einer umfassend berechneten Welt ist journalistische Unberechenbarkeit eine Notwendigkeit und ein Marktvorteil.
Vortrag von Miriam Meckel, Universität St. Gallen, zum 25-Jahr-Jubiläum der Holtzbrinck-Journalistenschule, veröffentlicht als Gastkommentar des Handelsblatt (14.3.2014)
Was tut sich im Hirn von digitalen Ureinwohnern und analogen Alten?
Der Sohn pflegt seinen dementen Vater. Er bekommt eine Ahnung vom Alt-Sein:
Vatter muss die Dinge langam belichten, um sie wahrnehmen zu können. Alles Schnelle, Hektische fällt durch sein grobmaschiges Raster. Jüngere Hirne reagieren umgekehrt: Das Neue, Schnelle, Plötzliche nimmt die Aufmerksamkeit sofort gefangen. Ein lebenserhaltender Reflex: Es könnte etwas Gefährliches sein und eine sofortige Reaktion erfordern!
Doch Vatter reagiert nicht mehr. Er schaut nur noch hin. Filtert alles Irritierende aus. Deshalb ist er so unendlich langsam. So fatalistisch. Und so schutzlos. Ich habe zum ersten Mal eine Ahnung davon, was es heißt, alt zu sein. Und dement.
Der Journalist Bernd Eichmann schreibt, wie in einem Tagebuch, über die letzten zweieinhalb Jahre seines Vaters, den er im Sterben begleitet. Dabei entdeckt er, fast nebenbei, die Unterschiede eines jungen und eines älteren Gehirns: Das schnelle, wie wir es bei den Digital Natives beobachten, und das langsame der Alten, die bisweilen geringschätzig auf Jüngere herabschauen, die unentwegt ihr Smartphone in der Hand halten, simsen und chatten und mailen.
Das Gehirn seines dementen Vaters stellt sich Bernd Eichmann vor wie eine Daguerrotypie – „entleert von allem Flüchtigen“:
Die verbliebenen Synapsen seines Hirns übermitteln nur noch Eindrücke von Dauer. Vatter muss die Dinge lange belichten, um sie wahrnehmen zu können. Alles Schnelle, Hektische fällt durch sein grobmaschiges Raster,
Ein Graureiher, seit Tagen ständiger Begleiter bei den Ausflügen, hat den Sohn aufmerksam gemacht: Der Reiher, eine Hummel und Flugzeug sind zu sehen. Der Vater sieht nur das Flugzeug:
Das kann er fixieren, weil es seine Blickachse langsam genug passiert. Und da wird mir klar, dass Vatter längst in Zeitlupe sieht und lebt: Das Hirnsegment für Schnelligkeit ist geschlossen. Nur das, was sich langsam oder gar nicht bewegt, findet in seiner Welt noch statt… Und deshalb versteht er meine Welt nicht, die sich aus flüchtigen Eindrücken speist und ständigen Veränderungen unterworfen ist.
Dem Sohn kommt eine Daguerrotypie von 1838 in den Sinn: Ein Pariser Boulevard von oben fotografiert – ein Schuhputzer ist zu sehen und sein Kunde, keine Kutsche, kein Mensch, kein Hund. „Die weit offene Blende und lange Belichtung haben das Bewegte weggewischt, nur das Unbewegt ist erhalten.“
Das Buch:
Bernd Eichmann: Vatter baut ab. Eine Geschichte von Demenz und Liebe. Gütersloher Verlagshaus, 192 Seiten, 17.99 Euro
Eine Besprechung des Buchs im pjraue-Blog
„Online-Kolumnisten sind die Heinzelmännchen der öffentlichen Meinung“
Die meisten Online-Kolumnisten wären gerne Streiflicht-Kolumnisten: Das ist die Kolumne in den deutschen Zeitungen, die Krönung für Journalisten schlechthin. Die großen Zeiten des Streiflichts sind zwar vorbei, als Rhiel-Heyse und andere noch schrieben, aber der Mythos lebt.
So kann sich ein Streiflicht-Autor auch über Online-Kolumnisten lustig machen:
Online-Kolumnisten sind die Heinzelmännchen der öffentlichen Meinung. Sie streuen selber die Erbsen aus, auf denen sie dann in die Herzen und Köpfe der Leser rutschen.
Was für ein Bild! Wenn ein Online-Kolumnist von Erbsen und Köpfen geschrieben hätte, würden sich Streiflicht-Kolumnisten darüber her- und hinmachen. Aber schön sind die Erbsen doch! Aber weiter im Streiflicht: Warum beneidet ihn der Streiflicht-Kolumnist:
Wenn ein Online-Kolumnist ein interessantes Buch gelesen hat, dann schreibt er nicht, ich habe ein interessantes Buch gelesen. Sondern: Ich habe ein Buch gelesen, gegen das ihr alle anderen Bücher knicken könnt. Erstens weil ich es bin, der es gelesen hat…
Warum steht vor „Sondern“ ein Punkt und kein Komma? Weil es ein Streiflicht ist?
Zu einem nichts sagenden Satz in einer Online-Kolumne, viel schlechter als der mit den Erbsen, schreibt der Streiflicht-Kolumnist:
Solche Sätze kamen früher von diesen endlos daherlabernden Dödeln auf dem Oberstufenhof, mit denen gerade wieder mal und logischerweise ein Mädchen Schluss gemacht hatte.
Da haben wir es: Das Streiflicht ist für Leute geschrieben, die zumindest Dödeln oder mehr auf dem Oberstufenhof waren, also Elite-Nachwuchs und nicht Provinzler, die Online-Kolumnen schreiben und die „Glocke“ lesen. Aber – aha, so etwas hat sich auch der Streiflicht-Kolumnist gedacht:
Manchmal finden Online-Journalisten alle Menschen sehr dumm und intolerant.
Das stimmt, aber: Finden das nur Online-Kolumnisten? Und was ist mit den Streiflicht-Dödeln?
Als Online-Kolumnist schreibe ich demnächst nur: Ich habe ein interessantes Streiflicht gelesen.
Quelle: SZ 8. März 2014
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